21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss28.01.2013

Verfas­sungs­be­schwerde gegen Versagung von Prozess­kos­tenhilfe für Schmer­zens­geldklage erfolgreichAusgangs­ge­richte entscheiden schwierige und bislang ungeklärte Rechtsfragen zu Unrecht bereits im Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahren

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat einer Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Versagung von Prozess­kos­tenhilfe stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlan­des­ge­richts verletzt nach Auffassung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts die Grundrechte des Beschwer­de­führers, weil das Oberlan­des­gericht schwierige und bislang ungeklärte Rechtsfragen im Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahren entschieden sowie eine ernsthaft in Betracht kommende Beweisaufnahme abgeschnitten hat.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Streitfalls war wegen eines Herzleidens in Behandlung. Das behandelnde Krankenhaus lehnte die Aufnahme auf die Warteliste für die Organ­ver­mittlung zur Herztrans­plan­tation ab, weil aufgrund gravierender Verstän­di­gungs­probleme und der deswegen nicht gesicherten Mitwirkung des Patienten die Indikation zur Herztrans­plan­tation fehle.

Beschwer­de­führer rügt Verletzung seines Persön­lich­keits­rechts

Nachdem der Beschwer­de­führer von einem anderen Trans­plan­ta­ti­o­ns­zentrum auf die Warteliste genommen worden war, beantragte er Prozesskostenhilfe für eine Schmer­zens­geldklage gegen das ursprünglich behandelnde Krankenhaus. Die Ablehnung allein wegen fehlender Sprach­kenntnisse diskriminiere ihn und verletze sein allgemeines Persön­lich­keitsrecht.

Vorinstanzen lehnen Antrag auf Prozess­kos­tenhilfe ab

Das Landgericht lehnte die begehrte Prozess­kos­tenhilfe ab; das Oberlan­des­gericht wies die sofortige Beschwerde zurück. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.

Beschwer­de­führer in Grundrechten verletzt

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nahm die Verfas­sungs­be­schwerde zur Entscheidung an und gab ihr statt. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 (Gleichheitssatz) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Rechts­s­taats­prinzip). Daher ist der Beschluss des Oberlan­des­ge­richts aufzuheben und die Sache dorthin zurück­zu­ver­weisen.

Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahren entschieden werden

In der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts sind Inhalt und Reichweite des aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Anspruchs auf Rechts­schutz­gleichheit bereits geklärt. Auslegung und Anwendung der einfach­recht­lichen Vorschriften obliegen dabei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfas­sungsrecht wird jedoch dann verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechts­schutz­gleichheit beruhen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Zudem läuft es dem Gebot der Rechts­schutz­gleichheit zuwider, wenn der unbemittelten Partei - wegen Fehlens der Erfolgs­aus­sichten ihres Rechts­schutz­be­gehrens - Prozess­kos­tenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvoll­ziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrschein­lichkeit zum Nachteil des Beschwer­de­führers ausgehen würde.

Ausgangs­ge­richte haben Anforderungen an Erfolgsaussicht beabsichtigter Rechts­ver­folgung überspannt und Zweck der Prozess­kos­tenhilfe verfehlt

Bei Anwendung dieser Maßstäbe erweist sich die Verfas­sungs­be­schwerde als begründet. Die Ausgangs­ge­richte haben die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechts­ver­folgung überspannt und dadurch den Zweck der Prozess­kos­tenhilfe verfehlt, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen.

Die Ausgangs­ge­richte haben schwierige und bislang ungeklärte Rechtsfragen im Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahren entschieden. In der Literatur wird bereits formal die Ermächtigung der Bunde­s­ärz­te­kammer zum Erlass von Richtlinien in Frage gestellt. Inhaltlich wird an den Richtlinien kritisiert, dass die unzureichende Mitwirkung des Patienten zu einer Kontra­in­di­kation gegen die Aufnahme in die Warteliste führen kann. Soweit die Richtlinien ferner vorsehen, dass die unzureichende Mitwirkung auch auf sprachlichen Verstän­di­gungs­schwie­rig­keiten beruhen kann, lasse dies die Möglichkeit außer Acht, einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Auf die Beantwortung dieser - von der Rechtsprechung bislang nicht geklärten - Fragen kommt es für die Beurteilung der vom Beschwer­de­führer geltend gemachten Ansprüche an.

Beweisaufnahme wäre ernsthaft in Betracht gekommen

Eine Verletzung der Rechts­schutz­gleichheit liegt außerdem darin, dass die Ausgangs­ge­richte Prozess­kos­tenhilfe verweigert haben, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kam sowie keine konkreten und nachvoll­ziehbaren Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass diese mit großer Wahrschein­lichkeit zum Nachteil des Beschwer­de­führers ausgehen würde.

Beschwer­de­führer hätte im Haupt­sa­che­ver­fahren neben benannter Zeugin vernommen beziehungsweise angehört werden müssen

Für die im Ausgangs­ver­fahren zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob ein Gespräch des Beschwer­de­führers mit einer psychologisch erfahrenen Person stattgefunden hat, kommt eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht. Diese Frage ist entschei­dungs­er­heblich, da nach den Richtlinien der Rat einer psychologisch erfahrenen Person einzuholen ist, bevor die Aufnahme in die Warteliste endgültig abgelehnt wird. Im Haupt­sa­che­ver­fahren hätte neben der vom Krankenhaus benannten Zeugin auch der Beschwer­de­führer vernommen beziehungsweise angehört werden müssen, da es um ein entschei­dungs­er­heb­liches Gespräch unter vier Augen zwischen einer Zeugin und dem Beschwer­de­führer als Partei des Ausgangs­ver­fahrens ging.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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