18.10.2024
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Dokument-Nr. 2751

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Beschluss05.07.2006Bundesverfassungsgericht2 BvR 626/06; 2 BvR 656/06
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Bundesverfassungsgericht Beschluss05.07.2006

Anspruch auf Prozess­kos­tenhilfe bei höchst­rich­terlich noch nicht geklärter RechtsfrageAblehnung wäre Verstoß gegen das Gebot der Rechts­schutz­gleichheit

Zwei Verfas­sungs­be­schwerden, die die Anforderungen an die Gewährung von Prozess­kos­tenhilfe für unbemittelte Kläger betrafen, hatten vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht Erfolg.

Die beiden im Jahr 2002 in Deutschland geborenen Beschwer­de­führer sind Staats­an­ge­hörige von Serbien und Montenegro. Die von ihren jeweiligen Eltern durchgeführten Asylverfahren sind bestandskräftig negativ abgeschlossen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte auch die Asylanträge der Beschwer­de­führer ab und forderte unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise auf.

Im fachge­richt­lichen Verfahren war umstritten, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen war, dass Asylanträge für die Beschwer­de­führer gemäß § 14 a Asylver­fah­rens­gesetz als gestellt zu gelten hatten. Die hier maßgeblichen Teile des § 14 a Asylver­fah­rens­gesetz lauten wie folgt: "Reist ein lediges, unter 16 Jahre altes Kind des Ausländers nach dessen Asylan­trag­stellung ins Bundesgebiet ein oder wird es hier geboren, so ist dies dem Bundesamt unverzüglich anzuzeigen, wenn ein Elternteil eine Aufent­halts­ge­stattung besitzt oder sich nach Abschluss seines Asylverfahrens ohne Aufent­halt­stitel oder mit einer Aufent­halt­s­er­laubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 des Aufent­halts­ge­setzes im Bundesgebiet aufhält. (...) Mit Zugang der Anzeige beim Bundesamt gilt ein Asylantrag für das Kind als gestellt." Die Fiktion der Antragstellung soll verhindern, dass durch sukzessive Asylan­trag­stellung überlange Aufent­halts­zeiten in Deutschland ohne aufent­halts­rechtliche Perspektive für die Betroffenen entstehen. Da die Bestimmung erst mit dem Zuwan­de­rungs­gesetz am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, stellte sich die Frage, ob sie auch für die bereits im Jahr 2002 im Bundesgebiet geborenen Beschwer­de­führer anzuwenden war.

Auf ihre Klage hin gewährte das Verwal­tungs­gericht den Beschwer­de­führern Eilrechtsschutz. Ihr Antrag auf Bewilligung von Prozess­kos­tenhilfe für das Haupt­sa­che­ver­fahren hingegen wurde mangels Erfolgsaussicht abgelehnt. Die hiergegen gerichteten Verfas­sungs­be­schwerden waren vor der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts erfolgreich.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechts­s­taats­prinzip gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dies schließt es nicht aus, die Gewährung von Prozess­kos­tenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechts­ver­folgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht dürfen dabei jedoch nicht überspannt werden.

Zwar muss Prozess­kos­tenhilfe nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entschei­dungs­er­hebliche Rechtsfrage noch nicht höchst­rich­terlich geklärt ist. Die Ablehnung der Gewährung kann ungeachtet des Fehlens einschlägiger höchst­rich­ter­licher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellte Ausle­gungs­hilfen ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>). Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchst­rich­terliche Klärung noch aus, so läuft es dem Gebot der Rechts­schutz­gleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozess­kos­tenhilfe vorzuenthalten (vgl. BVerfG, a.a.O.). Denn dadurch würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechts­s­tandpunkt im Haupt­sa­che­ver­fahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen

Danach hat das Verwal­tungs­gericht die Anforderungen an die Erfolgs­aus­sichten der Klagen überspannt. Die entschei­dungs­er­hebliche Frage, ob § 14 a Abs. 2 Asylver­fah­rens­gesetz auch auf vor dem 1. Januar 2005 geborene oder eingereiste Kinder Anwendung findet, war zum damaligen Zeitpunkt weder in der Rechtsprechung des zuständigen Obergerichts noch gar in der des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts geklärt und konnte, wie sich in der ausgeprägten Unein­heit­lichkeit der verwal­tungs­ge­richt­lichen Rechtsprechung zeigt, nicht als einfach und eindeutig beantwortbar erachtet werden. Den Eilanträgen der Beschwer­de­führer hat das Verwal­tungs­gericht denn auch mit der Begründung stattgegeben, der zeitliche Anwen­dungs­bereich des § 14 a Asylver­fah­rens­gesetz müsse einer Überprüfung im Haupt­sa­che­ver­fahren vorbehalten bleiben. Die gleichzeitige Verweigerung von Prozess­kos­tenhilfe für eben diese Haupt­sa­che­ver­fahren ist nicht nachvollziehbar. Sie verletzt die Beschwer­de­führer in ihrem Recht auf Rechts­schutz­gleichheit.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 60/06 des BVerfG vom 05.07.2006

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