21.11.2024
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Dokument-Nr. 10499

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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.12.2010

BVerfG: Abschaffung der Arbeits­lo­senhilfe zum 1. Januar 2005 verfas­sungsgemäßStreichung der Arbeits­lo­senhilfe aus dem Leistungs­katalog der Arbeits­för­derung nicht zu beanstanden

Die Abschaffung der Arbeits­lo­senhilfe zum 1. Januar 2005 war verfas­sungsgemäß. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Die Arbeitslosenhilfe war eine aus Steuermitteln finanzierte Entgel­ter­satz­leistung bei Arbeits­lo­sigkeit, die von der Bundesagentur für Arbeit im Auftrag des Bundes erbracht wurde. Neben weiteren Tatbe­stands­vor­aus­set­zungen setzte die Gewährung von Arbeits­lo­senhilfe dem Grunde nach die Bedürftigkeit des Antragstellers voraus, während sich ihre Höhe nicht am Bedarf des Empfängers, sondern an dessen letztem Arbeitsentgelt orientierte, und sich auf einen bestimmten Prozentsatz eines pauschalierten Netto­a­r­beits­entgelts belief. Die Arbeits­lo­senhilfe wurde in Zeitabschnitten bewilligt; vor jeder erneuten Bewilligung waren sämtliche Leistungs­vor­aus­set­zungen des Anspruchs erneut zu prüfen. Nach § 428 Abs. 1 Satz 1, § 198 Satz 2 Nr. 3 SGB III bestand ferner die Möglichkeit, Arbeits­lo­senhilfe unter erleichterten Voraussetzungen in Anspruch zu nehmen: Auch solche Arbeitnehmer hatten Anspruch auf Arbeits­lo­senhilfe, die das 58. Lebensjahr vollendet hatten und die Regel­vor­aus­set­zungen des Anspruchs allein deshalb nicht erfüllten, weil sie nicht arbeitsbereit waren und nicht alle Möglichkeiten nutzten oder nutzen wollten, um ihre Beschäf­ti­gungs­lo­sigkeit zu beenden. Davon ging die Praxis aus, wenn der Arbeitslose gegenüber der Bundesagentur für Arbeit eine entsprechende Erklärung abgab.

Arbeits­lo­senhilfe von Arbeits­lo­sengeld II abgelöst

Durch das Vierte Gesetz für moderne Dienst­leis­tungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 wurden die Regelungen der Arbeits­lo­senhilfe dahin geändert, dass diese nur noch bis zum 31. Dezember 2004 bewilligt werden durfte; diese Änderung trat am 1. Januar 2004 in Kraft. Zudem wurde die Arbeits­lo­senhilfe ab dem 1. Januar 2005 vollständig aus dem Leistungs­katalog der Arbeits­för­derung gestrichen. An ihre Stelle ist das Arbeits­lo­sengeld II nach den Vorschriften des SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende – getreten, dessen Berechnung sich nicht mehr an dem früheren Einkommen des Hilfe­be­dürftigen, sondern grundsätzlich an dessen Bedarf orientiert.

Beschwer­de­führer fühlt sich durch Abschaffung der Arbeits­lo­senhilfe in Grundrecht auf Eigentum verletzt

Der 1946 geborene Beschwer­de­führer bezog Arbeits­lo­senhilfe. Im Juni 2004 gab er eine Erklärung im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III ab und bezog sodann weiter Arbeits­lo­senhilfe bis zum Jahresende. Seinen Antrag auf Gewährung von Arbeits­lo­sengeld II ab Januar 2005 lehnte der Leistungsträger mit der Begründung ab, das anzurechnende monatliche Einkommen übersteige den ermittelten Gesamtbedarf des Beschwer­de­führers und seiner Ehefrau. Die Klage des Beschwer­de­führers auf Weiterzahlung der Arbeits­lo­senhilfe blieb vor den Sozialgerichten ohne Erfolg. Der Beschwer­de­führer sieht sich durch die angegriffenen Entscheidungen und durch die Abschaffung der Arbeits­lo­senhilfe in seinem Grundrecht auf Eigentum verletzt und rügt ferner einen Verstoß gegen den verfas­sungs­recht­lichen Grundsatz des Vertrau­ens­schutzes.

Abschaffung der Arbeits­lo­senhilfe ist mit Grundgesetz vereinbar

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde des Beschwer­de­führers, soweit sie zulässig war, als unbegründet zurückgewiesen. Die Abschaffung der Arbeits­lo­senhilfe ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gesetzlicher Anspruch auf Arbeits­lo­senhilfe stellt kein Eigentum im Sinne des Grundrechts dar

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Abschaffung der Arbeits­lo­senhilfe verletzt den Beschwer­de­führer nicht in seinem Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG), da der gesetzliche Anspruch auf Arbeits­lo­senhilfe kein Eigentum im Sinne dieses Grundrechts ist. Dies gilt auch für die Gewährung von Arbeits­lo­senhilfe unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Sozia­l­rechtliche Ansprüche genießen nur dann grund­recht­lichen Eigentumsschutz, wenn es sich um vermögenswerte Rechts­po­si­tionen handelt, die der Existenz­si­cherung dienen und auf nicht unerheblichen Eigenleistungen ihres Inhabers beruhen.

Kein unmittelbarer wirtschaft­licher Zusammenhang zwischen Beiträgen zur Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung und Aufwendungen für Arbeits­lo­senhilfe existent

Letzteres trifft auf den gesetzlichen Anspruch auf Arbeits­lo­senhilfe nicht zu. Es bestand kein unmittelbarer wirtschaft­licher Zusammenhang zwischen den Beiträgen zur Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung und den Aufwendungen für die Arbeits­lo­senhilfe. Die Beitrag­s­ein­nahmen dienten allein der Finanzierung des Arbeits­lo­sen­geldes, nicht aber der Arbeits­lo­senhilfe, die im Auftrag des Bundes immer aus Steuermitteln erbracht wurde. Die Arbeits­lo­senhilfe war finanzrechtlich auch nicht als eine aus Beiträgen und Steuern misch­fi­nan­zierte Einheit konzipiert. Die grundlegenden Unterschiede zwischen dem Arbeits­lo­sengeld und der Arbeits­lo­senhilfe schließen auch die Annahme aus, dass beide Leistungen in einem einheitlichen Gesamtanspruch verbunden waren. Während das Arbeits­lo­sengeld eine zeitlich begrenzte Versi­che­rungs­leistung war, traf dies auf die grundsätzlich zeitlich unbefristet geleistete Arbeits­lo­senhilfe nicht zu, die zudem - anders als das Arbeits­lo­sengeld - nur bei Bedürftigkeit unter Berück­sich­tigung des Vermögens gewährt wurde. Die Arbeits­lo­senhilfe war eine sozialpolitisch motivierte Leistung, die ohne Bezug auf die Beitrags­leistung des Versicherten und nicht als modifizierte Fortsetzung des Arbeits­lo­sen­geldes geleistet wurde.

Kein Verstoß gegen Vertrau­ens­schutz­prinzip

Die Abschaffung der Arbeits­lo­senhilfe verstößt nicht gegen das Vertrau­ens­schutz­prinzip, weil sie keine Rückwirkung entfaltete und der Beschwer­de­führer auch nicht aus anderen Gründen vor einer Änderung der Rechtslage geschützt war.

Weder echte noch so genannte unechte Rückwirkung vorliegend

Eine echte Rückwirkung, bei der ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift oder seine zeitliche Anwendung auf einen Zeitpunkt vor der Geset­zes­ver­kündung festlegt, liegt nicht vor. Denn sowohl die Befristung der Neu- oder Weiter­be­wil­ligung der Arbeits­lo­senhilfe bis zum 31. Dezember 2004 als auch ihre Abschaffung zum 1. Januar 2005 wirkten sich lediglich auf zukünftige Bewil­li­gungs­ab­schnitte aus.

Auch eine so genannte unechte Rückwirkung, die vorliegt, wenn ein Gesetz auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechts­be­zie­hungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet, ist nicht gegeben. Die Arbeits­lo­senhilfe wurde nur abschnittsweise und nur nach einer Neuprüfung der Anspruchs­vor­aus­set­zungen bewilligt. Ein Recht, das durch den Vertrau­ens­schutz­grundsatz gegen seine nachträgliche Entwertung hätte geschützt werden können, entstand daher frühestens mit der jeweiligen Neu- oder Weiter­be­wil­ligung der Arbeits­lo­senhilfe und bezog sich nur auf die Zeit bis zum Ablauf des jeweiligen Bewil­li­gungs­ab­schnitts.

Für Beschwer­de­führer bestand von vornherein keine Grundlage für Bildung schutzwürdigen Vertrauens zur Gewährung von Arbeits­lo­senhilfe über den 31. Dezember 2004 hinaus

Das allgemeine Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand einer Rechtslage und seine danach erwartete zukünftige Leistungs­be­rech­tigung ist keine verfas­sungs­rechtlich geschützte Rechtsposition. Auch die Abgabe einer Erklärung nach § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III erweist sich nicht als Disposition des Arbeitslosen, die schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand des Anspruchs begründen konnte. Zudem bestand für den Beschwer­de­führer von vornherein keine Grundlage für die Bildung schutzwürdigen Vertrauens mit dem Inhalt, dass Arbeits­lo­senhilfe über den 31. Dezember 2004 hinaus gewährt würde, weil die Befristung der Arbeits­lo­senhilfe bis zum 31. Dezember und ihr Wegfall ab dem 1. Januar 2005 bereits gesetzlich festgelegt waren, bevor er seine Erklärung nach § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III abgegeben hatte.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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