23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss21.01.2009

BVerfG: Anwohner von Castor-Trans­port­strecken dürfen klagenRechtsschutz gegen Atommüll-Transporte gestärkt - Recht auf effektiven Rechtsschutz

Wenn ein Atommüll­transport (z.B. Castor-Transport) unmittelbar vor der Haustür vorbeiführen soll, können sich die Anwohner dagegen wehren. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass Betroffene, die nahe der Trans­port­strecke wohnen, die Trans­port­ge­neh­mi­gungen des Bundesamts für Strahlenschutz grundsätzlich gerichtlich überprüfen lassen. Hiermit hat es den Rechtsschutz von Anwohnern gegen Atommüll­transporte gestärkt.

Das Bundesamt für Strahlenschutz erteilte im April 2003 einem Unternehmen die Genehmigung, bis einschließlich 31. Dezember 2003 unter Verwendung von Transport- und Lagerbehältern des Typs "CASTOR HAW 20/28 CG" maximal zwei Schienen- und zwölf Straßen­transporte hochaktiver Glaskokillen aus einer Wieder­auf­be­rei­tungs­anlage zum Trans­port­be­häl­terlager Gorleben durchzuführen. Die Beschwer­de­führerin legte als Miteigentümerin eines Wohnhauses, das ungefähr acht Meter von der Trans­port­strecke entfernt ist, Widerspruch gegen diese Genehmigung ein. Nach dessen Zurückweisung erhob sie Klage zum Verwal­tungs­gericht. Das Verwal­tungs­gericht wies die Klage als unzulässig ab, da die Beschwer­de­führerin nicht klagebefugt sei. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberver­wal­tungs­gericht ab. Die Beschwer­de­führerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtlichen Entscheidungen und rügt eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht gab der Verfas­sungs­be­schwerde statt, soweit sich die Beschwer­de­führerin gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung wendet. Die Beschwer­de­führerin ist durch die Entscheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt, weil das Oberver­wal­tungs­gericht den Zugang der Beschwer­de­führerin zum Berufungs­rechtszug in unzumutbarer Weise erschwert hat.

Spezifisches Gefähr­dungs­po­tential bei Beförderung von Kernbrenn­stoffen

Die Verneinung ernsthafter Zweifel an der Richtigkeit des erstin­sta­nz­lichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) genügt nicht den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen. Das Oberver­wal­tungs­gericht hat die Frage des dritt­schüt­zenden Charakters von § 4 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 5 AtG abschließend mit Argumenten verneint, die in der bisherigen Rechtsprechung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts und des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts keine Grundlage finden. Es hat das Urteil des BVerwG vom 22. Oktober 1982 (NJW 1983, S. 1507/1508), das die Anforderungen an die Klagebefugnis bei der Anfechtung immis­si­ons­schutz­recht­licher Vorbescheide für ortfeste Anlagen betrifft, unbesehen auf die atomrechtliche Beför­de­rungs­ge­neh­migung übertragen. Dabei hat es verkannt, dass das von der Beschwer­de­führerin geltend gemachte spezifische Gefähr­dungs­po­tential der Beförderung von Kernbrenn­stoffen eine andere Qualität hat, als die - der genannten Entscheidung des BVerwG zugrun­de­liegende - fortlaufende und dauerhafte Belastung der Umgebung bei ortsfesten Anlagen. Die Beschwer­de­führerin hatte demgegenüber geltend gemacht, dass sich bei Nichteinhaltung des gebotenen Schutzstandards auch bei nur kurzzeitiger, aber massiver Strah­len­ex­po­sition eine erhebliche Gesund­heits­ge­fährdung und Eigen­tums­be­ein­träch­tigung für "Dritte" ergeben könne.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat für die Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG, der zufolge eine atomrechtliche Anlagen­ge­neh­migung nur erteilt werden darf, wenn der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist, und für die gleichlautende Vorschrift des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG, die insbesondere für die Lagerung von Kernbrenn­stoffen in Stand­ort­zwi­schen­lagern einschlägig ist, sowie für die Vorgabe der bestmöglichen Gefahrenabwehr gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 und § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG einen dritt­schüt­zenden Charakter bejaht. Angesichts der Tatsache, dass § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 und Nr. 5 AtG gleichlautend formuliert sind, drängt sich die Frage der Übertragbarkeit der für § 7 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 und Nr. 5 sowie § 6 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 AtG im Hinblick auf den Drittschutz geltenden Grundsätze geradezu auf, ohne dass es für die Frage der Zulassung der Berufung darauf ankäme, wie dies im Ergebnis zu entscheiden sein wird.

Rechtsschutz für "Drittbetroffene"

Die Frage, ob die Rechtsprechung des BVerwG zum Rechtsschutz "Dritt­be­troffener" gegen atomrechtliche Aufbe­wah­rungs­ge­neh­mi­gungen (§ 6 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 AtG) und Anlagen­ge­neh­mi­gungen (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 5 AtG) auf die atomrechtlichen Beför­de­rungs­ge­neh­mi­gungen (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 AtG) zu übertragen sind, erfüllt auch die Voraussetzungen der Grund­satz­be­deutung gemäß § 124 Abs. Nr. 3 VwGO.

Eine weitere Entscheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts wurde im Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren 1 BvR 2594/06 aus den gleichen Gründen aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung in der Sache zurückverwiesen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 08/09 des BVerfG vom 29.01.2009

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