15.11.2024
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Dokument-Nr. 13118

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Beschluss25.01.2012Bundesverfassungsgericht1 BvR 2499/09, 1 BvR 2503/09
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • JuS 2013, 281Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2013, Seite: 281
  • NJW 2012, 1500Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2012, Seite: 1500
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss25.01.2012

Randale und Polizeiverhör – Berich­t­er­stattung über die Söhne von Uwe Ochsenknecht zulässigBundes­verfassungs­gericht erklärt Untersagung der Berich­t­er­stattung mit Verweis auf Meinungs­freiheit für verfas­sungs­widrig

Eine Berich­t­er­stattung im Internet über nächtliche Randale der Söhne von Uwe Ochsenknecht und ein folgendes Polizeiverhör ist vom Schutzbereich der Meinungs­freiheit umfasst. Auch im Hinblick auf die schutz­be­dürftigen Interessen von jungen Erwachsenen beziehungsweise Jugendlichen hat das allgemeine Persönlichkeits­recht nicht grundsätzlich Vorrang vor der Meinungs­freiheit. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­verfassungs­gerichts hervor.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Streitfalls ist ein Tochter­un­ter­nehmen der Verlegerin der Tageszeitung „Sächsische Zeitung“ und verbreitet Berichte auch über ihre Internetseite. Ihren beiden Verfas­sungs­be­schwerden liegt eine Berichterstattung über einen Vorfall aus dem Jahre 2008 zugrunde, in den die beiden Söhne des Schauspielers Uwe Ochsenknecht, die Kläger des Ausgangs­ver­fahrens, verwickelt waren. Sie wurden in der so genannten „Freinacht“ dabei beobachtet, wie sie zusammen mit einer Gruppe von Freunden Fahrräder traktierten, Blumen aus einem Blumenbeet herausrissen sowie den Telefonhörer in einer Telefonzelle abrissen. Nach Feststellung ihrer Personalien auf der Polizeiwache wurden die Kläger entlassen. Gegen keinen von beiden wurde ein Ermitt­lungs­ver­fahren eingeleitet. Die Beschwer­de­führerin verbreitete auf ihrer Internetseite über diesen Vorfall einen Beitrag unter der Überschrift „Polizei schnappt Ochsenknecht-Söhne“, in dem darüber berichtet wird, dass „die beiden Nachwuchs­schau­spieler und -sänger nach wüster Randale in der Münchener Innenstadt von der Polizei verhört“ worden seien.

BVerfG bejaht Verletzung des Grundrechts auf Meinungs­freiheit

Mit ihren Klagen auf Unterlassung der Berich­t­er­stattung über den Vorfall als Sachbe­schä­digung sowie einzelner den Hergang betreffender Äußerungen hatten die Kläger jeweils in beiden Instanzen Erfolg. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, weil sie die Beschwer­de­führerin in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzen, und die Sachen an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Bericht fällt in Schutzbereich der Meinungs­freiheit

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Verfas­sungs­be­schwerden sind begründet. Der beanstandete Bericht über den in der Sache unstreitigen Vorfall fällt in den Schutzbereich der Meinungs­freiheit. Diese ist zwar nicht vorbehaltlos gewährt, sondern findet ihre Grenze unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Bei Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Zivilrechts haben die Fachgerichte jedoch Bedeutung und Tragweite der Meinungs­freiheit verkannt, indem sie sich nicht hinreichend mit den besonderen Umständen zur Reichweite des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts der Kläger ausein­an­der­gesetzt und ihm dadurch im Rahmen der gebotenen Abwägung den Vorrang eingeräumt haben.

Allgemeines Persön­lich­keitsrecht schützt nicht vor namentlicher Nennung in Wortbe­rich­t­er­stattung

Das allgemeine Persön­lich­keitsrecht schützt insbesondere vor einer Beein­träch­tigung der Privat- und Intimsphäre. Im Bereich der Wortbe­rich­t­er­stattung bietet es nicht schon davor Schutz, überhaupt in einem Bericht indivi­du­a­li­sierend benannt zu werden, sondern nur in spezifischen Hinsichten, wobei es vor allem auf den Inhalt der Berich­t­er­stattung ankommt. Zwar ist für die Berich­t­er­stattung über Strafverfahren anerkannt, dass im Hinblick auf die Unschulds­ver­mutung die Namensnennung oder sonstige Identifikation des Täters nicht immer zulässig sind. Insbesondere bei schwerwiegenden Straftaten kann die Gefahr einer Stigmatisierung des noch nicht rechtskräftig Verurteilten erhöht sein. Hiervon unterscheidet sich jedoch die vorliegende Berich­t­er­stattung über das unstreitige Verhalten einer Gruppe junger Leute auf offener Straße, über das unabhängig von einem Strafverfahren berichtet wird, und das allenfalls von geringfügiger straf­recht­licher Relevanz ist. Zudem berührt der Bericht nur die Sozialsphäre der Kläger, die überdies ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt haben, wobei sie ein Image als „Junge Wilde“ pflegten und ihre Idolfunktion kommerziell ausnutzten. Diese Umstände haben die Fachgerichte nicht ausreichend in ihre Erwägungen eingestellt.

Tatsa­chen­be­richte müssen auch bei daraus resultierenden Nachteilen für Betroffene hingenommen werden

Zudem ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berich­t­er­stattung verwiesen werden kann. Bei Tatsa­chen­be­richten müssen wahre Aussagen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Andererseits ist zweifelsohne das junge Alter der Kläger in die Erwägungen einzubeziehen. Die von den Fachgerichten angenommene Regelvermutung des grundsätzlichen Vorrangs des Allgemeinen Persön­lich­keits­rechts gegenüber der Meinungs­freiheit, sobald schutz­be­dürftige Interessen von jungen Erwachsenen beziehungsweise Jugendlichen in Rede stehen, ist jedoch aus verfas­sungs­recht­licher Sicht zu eng und undifferenziert. Sie übergeht das Erfordernis einer einzel­fa­ll­be­zogenen Abwägung und berücksichtigt vorliegend zu wenig, dass die Bedeutung der Persön­lich­keits­be­ein­träch­tigung sowohl durch das „Öffent­lich­keit­simage“ der Kläger als auch durch die Einordnung ihres Verhaltens als Bagatelldelikt gemindert ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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