21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 5819

Drucken
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss10.03.2008

Grenzen des Anspruchs auf Auskunft über eine behördliche Datensammlung

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat Grenzen für einen Auskunfts­an­spruch den Bürger gegenüber Behörden erheben können aufgezeigt. Behörden können die Auskunft über bei ihnen gespeicherte Daten verweigern, wenn dadurch die Arbeit der Behörde gefährdet würde, die gesammelten Daten dadurch wertlos würden. Dies entschied das Karlsruher Gericht im Falle eines Bürgers, der vom Bundes­zen­tralamt für Steuern Auskunft über den Inhalt von 13 Aktenordern verlangte, die das Amt über ihn zusam­men­ge­tragen hatte.

In der Infor­ma­ti­o­ns­zentrale für steuerliche Auslands­be­zie­hungen sammelt das Bundes­zen­tralamt für Steuern - unter anderem auf der Grundlage des § 88 a Abgabenordnung - steuerlich bedeutsame Angaben über steuerrechtlich relevante Beziehungen von im Inland ansässigen Firmen und Personen zum Ausland und umgekehrt. Die Datensammlung dient der zentralen Erfassung des behördlichen Wissens, um insbesondere den Missbrauch rechtlicher Gestal­tungs­mög­lich­keiten zu verhindern, durch den Steuern rechtswidrig verkürzt werden sollen. Insbesondere sammelt das Bundes­zen­tralamt Hinweise darauf, ob es sich bei ausländischen Gesellschaften um sogenannte Domizil­ge­sell­schaften handelt, die im Ausland ihren Sitz haben, ohne dort geschäftliche oder kommerzielle Tätigkeiten auszuüben. Solche Gesellschaften können dazu genutzt werden, Steuern rechtswidrig zu verkürzen, indem beispielsweise Geschäfte mit einer solchen Gesellschaft vorgetäuscht werden, um Zahlungen an die Gesellschaft als Betrie­bs­ausgaben steuerlich absetzen zu können, die tatsächlich an den Steuer­pflichtigen zurückgeleitet werden. Der Datenbestand des Bundesamtes setzt sich zusammen aus Meldungen des Steuer­pflichtigen selbst, aus Mitteilungen deutscher und ausländischer Finanzbehörden und aus Informationen, die aus allgemein zugänglichen Quellen (z.B. Handelsregister, Nachschla­gewerke) entnommen werden. Bei Bedarf werden die Daten an inländische Finanzbehörden übermittelt.

Beschwer­de­führer verlangt Auskunft über Inhalt von 13 Aktenordnern

Der Beschwer­de­führer verlangte vom Bundesamt Auskunft über die ihn betreffenden Daten. Dem Bundesamt lagen dreizehn umfangreiche Aktenordner vor, in denen der Name des Beschwer­de­führers im Zusammenhang mit mittelbaren und unmittelbaren Beziehungen zu ausländischen Gesellschaften vorkam. Der Beschwer­de­führer stützte seinen Anspruch auf § 19 Bundes­da­ten­schutz­gesetz, wonach dem Betroffenen grundsätzlich Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten zu erteilen ist. Das Bundesamt lehnte die Auskunft unter Hinweis darauf ab, dass die gesammelten Informationen durch eine Auskunft­s­er­teilung wertlos würden. Der Betroffene könnte sich etwa aus Domizil­ge­sell­schaften zurückziehen, die bereits erfasst seien oder in Domizil­ge­sell­schaften tätig werden, die dem Amt noch nicht bekannt seien. Durch die Auskunft­s­er­teilung werde die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben des Amtes gefährdet. Die gegen die Ablehnung gerichtete Klage des Beschwer­de­führers blieb vor den Finanzgerichten erfolglos. Nach Auffassung der Gerichte ist der Auskunfts­an­spruch nach § 19 Abs. 4 Nr. 1 Bundes­da­ten­schutz­gesetz ausgeschlossen. Danach unterbleibt die Auskunft­s­er­teilung, soweit die Auskunft die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der verant­wort­lichen Stelle liegenden Aufgaben gefährden würde.

Auch die Verfas­sungs­be­schwerde hatte keinen Erfolg. Dies entschied der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. Das Interesse des Beschwer­de­führers, von den ihn betreffenden infor­ma­ti­o­ns­be­zogenen Maßnahmen des Staates Kenntnis zu erlangen, wird durch sein Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit in der Ausprägung als Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung geschützt. Das Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung gewährt allerdings keinen Anspruch auf eine bestimmte Art der Infor­ma­ti­o­ns­er­langung. Bei der Ausgestaltung des Zugangs zu Informationen hat der Gesetzgeber zu berücksichtigen, welche Bedeutung ihm für den Grund­rechts­schutz des Betroffenen zukommt. Hierfür sind insbesondere die Art und die Eingriff­sin­tensität der jeweiligen infor­ma­ti­o­ns­be­zogenen Maßnahme von Bedeutung, über die oder über deren Ergebnisse der Betroffene informiert werden will.

Gegenüber einer Datensammlung wie der hier umstrittenen ist ein Infor­ma­ti­o­nsrecht des Betroffenen auf eigene Initiative ein zentraler Baustein einer staatlichen Infor­ma­ti­o­ns­ordnung, die den grund­recht­lichen Vorgaben genügt. Der Gesetzgeber ist folglich verpflichtet, ein solches Infor­ma­ti­o­nsrecht zu schaffen. Für ein behördliches Ermessen bei der Entscheidung über die Auskunft­s­er­teilung ist in derartigen Fällen verfas­sungs­rechtlich kein Raum. Soweit gegenläufige Geheim­hal­tungs­in­teressen des Staates oder Dritter der Information entgegenstehen können, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, geeignete Ausschluss­tat­be­stände zu schaffen, die den einander gegen­über­ste­henden Interessen Rechnung tragen.

Grundsätzlich besteht ein Auskunfts­an­spruch nach § 19 Bundes­da­ten­schutz­gesetz

Diesen Anforderungen trägt § 19 Bundes­da­ten­schutz­gesetz in verfas­sungs­mäßiger Weise Rechnung. Die Norm sieht grundsätzlich einen weit reichenden Anspruch des Betroffenen auf Auskunft vor. Die in der Norm enthaltene Abwägungs­klausel stellt sicher, dass eine Auskunft nur dann unterbleiben darf, wenn das Interesse an der ordnungsgemäßen Aufga­be­n­er­füllung dem Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse des Betroffenen vorgeht.

II. Die Annahme der Gerichte, dass im vorliegenden Fall das Auskunfts­in­teresse des Beschwer­de­führers hinter dem Interesse des Bundesamts an einer ordnungsgemäßen Aufga­be­n­er­füllung zurückstehen musste, ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Ziel der Datensammlung: gleichmäßige Festsetzung und Erhebung von Steuern

1. Die datensammelnde Tätigkeit des Bundesamts ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Speicherung von Informationen in der Datensammlung kann zwar in das Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbst­be­stimmung eingreifen. Für derartige Eingriffe enthält jedoch § 88 a AO eine hinreichende verfas­sungs­gemäße gesetzliche Grundlage. Insbesondere ist die Norm angesichts des von ihr verfolgten Ziels der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung von Steuern mit dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit vereinbar.

Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse des Beschwer­de­führers wiegt gegenüber dem mit der Geheimhaltung verfolgten Ziel der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung von Steuern vergleichsweise geringer

2. Die Gerichte haben bei der Anwendung des in § 19 Bundes­da­ten­schutz­gesetz geregelten Ausschluss­tat­be­stands das grundrechtlich geschützte Auskunfts­in­teresse des Beschwer­de­führers mit dem gegenläufigen öffentlichen Interesse an der Aufga­be­n­er­füllung des Bundesamts in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgewogen. In den angegriffenen Urteilen wird im Einzelnen heraus­ge­ar­beitet, weswegen die Aufga­be­n­er­füllung des Bundesamts durch eine Auskunft­s­er­teilung über die gesammelten Daten gefährdet werden kann. Der Zweck der Aufgabe, Informationen über Domizil­ge­sell­schaften zu sammeln, würde vereitelt. Eine Auskunft­s­er­teilung würde dem Betroffenen offenbaren, über welche seiner unter­schied­lichen Funktionen im Ausland das Bundesamt bereits informiert sei. Der Betroffene könnte sein Verhalten dementsprechend auf den Kenntnisstand des Bundesamtes einstellen. Das öffentliche Interesse an der Aufga­be­n­er­füllung gehe dem Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse desjenigen, über den Daten gesammelt worden sind, vor, da die gesammelten Daten nach einer Auskunft­s­er­teilung weitgehend wertlos würden. Die Einschätzung der Gerichte, das Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse des Beschwer­de­führers wiege gegenüber dem mit der Geheimhaltung verfolgten Ziel der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung von Steuern vergleichsweise geringer, ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

3. Dem Umstand, dass der Beschwer­de­führer infolge des Ausschlusses seines Auskunfts­an­spruchs derzeit die Richtigkeit der gesammelten Daten und die Rechtmäßigkeit ihrer fortdauernden Speicherung nicht wirkungsvoll überprüfen lassen kann, ist Rechnung zu tragen, wenn die Daten in einem konkreten steuer­be­hörd­lichen Verfahren zum Nachteil des Beschwer­de­führers herangezogen werden. Dabei ist sicherzustellen, dass dem Beschwer­de­führer keine Nachteile aus der zeitlichen Verlagerung des Rechtsschutzes erwachsen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 42/2008 vom 28. März 2008

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss5819

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI