21.11.2024
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Dokument-Nr. 31943

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Bundesverfassungsgericht Beschluss31.05.2022

Erfolglose Verfassungs­beschwerde einer Arbeit­nehmer­vereinigung wegen Aberkennung der Tariffähigkeit durch die ArbeitsgerichteVerfassungs­beschwerde teilweise unzulässig

Das Bundes­verfassungs­gericht hat die Verfassungs­beschwerde einer Arbeit­nehmer­vereinigung nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte wehrte, mit denen ihr auf Antrag konkurrierender Gewerkschaften und einiger Länder die Tariffähigkeit aberkannt worden war.

Die zunächst für Kaufmanns­ge­hilfen gegründete Arbeit­neh­mer­ver­ei­nigung beanspruchte zuletzt eine Tarif­zu­stän­digkeit in unter­schied­lichen Branchen und Berufen, darunter Banken, Einzelhandel, gesetzlichen Krankenkassen, Versi­che­rungs­gewerbe, Fleis­ch­in­dustrie, IT-Dienst­leis­tungen, Wirtschafts­prüfung, Anwaltschaft und Reise­ver­an­staltung. Nach eigenen Angaben hatte sie Anfang des Jahres 2020 in einem Bereich, in dem etwa 6,3 Millionen Beschäftigte organisiert sind, selbst 66.826 Mitglieder. Die Arbeitsgerichte entschieden auf Antrag mehrerer konkurrierender Gewerkschaften sowie der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen, der Vereinigung die Tariffähigkeit abzuerkennen. Sie besitze nicht mehr die erforderliche Durch­set­zungs­fä­higkeit, um sie als Tarifpartei anzuerkennen. Hiergegen wendet sich die Beschwer­de­führerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde. Die Arbeitsgerichte verletzten ihr Grundrecht der Koali­ti­o­ns­freiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG. Sie missachteten zudem die Grenzen richterlicher Rechts­fort­bildung und den im Rechts­s­taats­prinzip verankerten Bestimmt­heits­grundsatz, denn höchst­rich­terliche Rechtsprechung sei kein Ersatz­ge­setzgeber.

BVerfG: Verfas­sungs­be­schwerde teilweise unzulässig - Substantiierte Ausein­an­der­setzung fehlt

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist teilweise unzulässig. So fehlt die hinreichend substantiierte Ausein­an­der­setzung damit, dass die Gerichte für Arbeitssachen nicht nur befugt, sondern sogar gehalten sind, die Tariffähigkeit im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG näher zu fassen, wenn und solange der Gesetzgeber die Voraussetzungen für die Gewerk­schafts­ei­gen­schaft nicht regelt. Nach den Darlegungen ist auch nicht erkennbar, dass das Bundes­a­r­beits­gericht über das verfas­sungs­rechtlich zulässige Maß der Rechts­fort­bildung hinausgegangen wäre.

Rechtsprechung des BAG zu Mindest­vor­aus­set­zungen tariffähigen Arbeit­neh­mer­ver­ei­nigung bestätigt

Auch in der Sache verletzen die arbeits­ge­richt­lichen Entscheidungen die Rechte der Beschwer­de­führerin aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht. Die Einwände gegen die Rechtsprechung des Bundes­a­r­beits­ge­richts zu den Mindest­vor­aus­set­zungen einer tariffähigen Arbeit­neh­mer­ver­ei­nigung greifen nicht durch. Insbesondere beurteilt das Bundes­a­r­beits­gericht die Organi­sa­ti­o­ns­stärke im Wege einer grund­rechts­freund­lichen Gesamtwürdigung. Es verzichtet auf starre Schemata, wie etwa prozentuale Schwellenwerte, um den sich stetig verändernden Wirtschafts- und Beschäf­ti­gungs­strukturen gerecht werden zu können.

BAG darf von Tariffähigkeit als Voraussetzung für Tarifabschlüsse ausgehen

Zudem geht das BAG davon aus, dass nicht in jedem Zustän­dig­keits­bereich einer Gewerkschaft ein signifikanter Organi­sa­ti­o­nsgrad vorliegen muss, sondern nur in einem nicht unwesentlichen Teil. Dabei berücksichtigt das Bundes­a­r­beits­gericht die große Zahl sehr unterschiedlich zusam­men­ge­setzter, ökonomisch unterschiedlich situierter und rechtlich unterschiedlich verfasster Gegenspieler. Zudem könnten in einem nennenswerten Umfang mit einer gewissen Kontinuität erreichte Tarifabschlüsse die für die Tariffähigkeit erforderliche Durch­set­zungskraft belegen. Dabei sinkt die Indizwirkung, je geringer der Organi­sa­ti­o­nsgrad im beanspruchten Zustän­dig­keits­bereich ist, und verliert jede Aussagekraft, wenn die Gewerkschaft selbst ihre Zuständigkeit umfassend ändert. Es ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Bundes­a­r­beits­gericht damit davon ausgeht, dass die Tariffähigkeit nicht durch Tarifabschlüsse entsteht, sondern eine Voraussetzung für diese ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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