21.11.2024
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Dokument-Nr. 31355

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Bundesverfassungsgericht Beschluss24.01.2022

Eilantrag gegen Verbot der Anwendung von Human­ho­möo­pathika durch Tierheil­praktiker erfolglosDargelegte Nachteile rechtfertigen keinen Erlass einer einstweiligen Anordnung

Mit Beschluss hat das Bundes­verfassungs­gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit dem sich die Beschwerde­führerinnen als praktizierende Tier­heil­praktikerinnen gegen § 50 Abs. 2 Tier­arzneimittel­gesetz (TAMG) wenden, der am 24.01.2022 in Kraft getreten ist. Die Verfassungs­beschwerden sind zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Wird im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, gelten dafür jedoch besonders hohe Hürden. Solche für eine Aussetzung sprechenden Gründe von ganz besonderem Gewicht haben die Beschwerde­führerinnen nicht substantiiert dargelegt.

Die Beschwer­de­füh­re­rinnen arbeiten hauptberuflich seit vielen Jahren als Tierheil­prak­ti­ke­rinnen und bestreiten damit einen Großteil ihres Lebens­un­terhalts. Sie behandeln vor allem Hunde, Katzen und Pferde, zum Teil auch Kleintiere. Sie arbeiteten dabei (nahezu) ausschließlich klassisch homöopathisch unter Anwendung hochpo­ten­zierter registrierter Humanhomöopathika. Nach bisheriger und bis zum Ablauf des 27. Januar 2022 geltender Rechtslage ist auch Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, die Anwendung nicht-verschrei­bungs­pflichtiger Humana­rz­nei­mittel bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, gestattet. Tierheil­prak­ti­ke­rinnen und Tierheil­praktiker konnten daher bislang auch bei Haustieren Human­ho­möo­pathika anwenden, da diese zu den nicht-verschrei­bungs­pflichtigen Humana­rz­nei­mitteln zählen. Ab dem 28. Januar 2022 gilt in der Europäischen Union für Tiera­rz­nei­mittel die Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tiera­rz­nei­mittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG. Dies veranlasste den deutschen Gesetzgeber, ein Tierarzneimittelgesetz als eigenständiges Stammgesetz zu verabschieden und im Arznei­mit­tel­gesetz die bisher dort auf Tiera­rz­nei­mittel bezogenen Regelungen zum 28. Januar 2022 aufzuheben. Zu den Regelungen des neuen Tiera­rz­nei­mit­tel­ge­setzes gehört der angegriffene § 50 Abs. 2 TAMG. Danach dürfen Tierhalterinnen und Tierhalter sowie andere Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, Arzneimittel im Sinne des Arznei­mit­tel­ge­setzes bei Tieren nur anwenden, soweit diese von der behandelnden Tierärztin oder dem behandelnden Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind und die Anwendung gemäß der tierärztlichen Behand­lungs­an­weisung erfolgt. Human­ho­möo­pathika sind Arzneimittel im Sinne des Arznei­mit­tel­ge­setzes und können daher künftig insbesondere nicht mehr von Tierheil­prak­ti­ke­rinnen und Tierheil­prak­tikern im Rahmen ihrer Thera­pie­maß­nahmen eingesetzt werden. Die Beschwer­de­füh­re­rinnen tragen vor, dass sie seit vielen Jahren hauptberuflich als Tierheil­prak­ti­ke­rinnen arbeiten und vor allem Hunde, Katzen und Pferde, zum Teil auch Kleintiere behandeln. Mit den Einnahmen aus ihrer Praxistätigkeit bestritten sie jedenfalls einen Großteil ihres Lebens­un­terhalts. Sie arbeiteten therapeutisch ausschließlich oder nahezu ausschließlich klassisch homöopathisch unter Anwendung hochpo­ten­zierter registrierter Human­ho­möo­pathika. Die Beschwer­de­füh­re­rinnen zu I. rügen eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit, die Beschwer­de­führerin zu II. zusätzlich eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und – als Tierhalterin – eine Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit.

BVerfG: Verfas­sungs­be­schwerden weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet

Das BVerfG hat die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Verfas­sungs­be­schwerden sind zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die von den Beschwer­de­füh­re­rinnen ausgeübte Tätigkeit als Tierheil­prak­ti­ke­rinnen unterfällt insbesondere dem Schutzbereich der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. In Art. 12 Abs. 1 GG darf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhält­nis­mä­ßigkeit eingegriffen werden. Der Eingriff muss einem legitimen Zweck dienen und geeignet sowie erforderlich sein, diesen Zweck zu erreichen; ferner darf er die Grund­recht­s­träger nicht in unzumutbarer Weise belasten. Ob § 50 Abs. 2 TAMG diesen Anforderungen entspricht, bedarf der Überprüfung im Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren.

Gründe für besonders schwere Nachteile nicht substantiiert dargelegt

Allerdings haben die Beschwer­de­füh­re­rinnen keine für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe von ganz besonderem Gewicht substantiiert dargelegt. Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, gelten dafür besonders hohe Hürden, weil dies einen erheblichen Eingriff in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers darstellt. Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie, wenn beantragt ist, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, darüber hinaus ganz besonderes Gewicht haben. Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind oder ob sie in der Zeit zwischen dem In-Kraft-Treten eines Gesetzes und der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts in der Hauptsache sehr schwer wiegen. Die von den Beschwer­de­füh­re­rinnen als Tierheil­prak­ti­ke­rinnen vorgetragenen Nachteile sind zwar gewichtig, genügen gemessen an diesen strengen Voraussetzungen für sich genommen jedoch nicht, um die Dringlichkeit einer Eilentscheidung gegen ein Gesetz zu begründen.

Beschwer­de­füh­re­rinnen können ihre weiteren Tätigkeiten fortführen

Die Beschwer­de­füh­re­rinnen legen nicht hinreichend dar, dass ihre in der begrenzten Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise eintretenden beruflichen Nachteile irreversibel oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind oder sonst sehr schwer wiegen. Alle Beschwer­de­füh­re­rinnen üben neben der Behandlung von Tieren mit Human­ho­möo­pathika weitere Tätigkeiten aus, die sie auch bei Geltung der angegriffenen Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache fortführen können. Sie müssen daher die bisher ihre Lebensgrundlage bildende Tätigkeit bis zu einer Haupt­sa­cheent­scheidung nicht vollständig aufgeben und sind innerhalb dieses Zeitraums auch nicht zum Aufbau einer neuen, auf anderen beruflichen Voraussetzungen beruhenden Existenz gezwungen. Wirtschaftliche Nachteile, die Einzelnen durch den Vollzug eines Gesetzes entstehen, sind daneben grundsätzlich nicht geeignet, die Aussetzung der Anwendung von Normen zu begründen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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