14.12.2024
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Dokument-Nr. 33391

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Bundesverfassungsgericht Beschluss25.09.2023

Verfassungs­beschwerde gegen die Durchsuchung eines Universitäts­lehrstuhls zur Auffindung von Forschungs­unterlagen mangels Fristwahrung erfolglosForschungs­freiheit umfasst Vertraulichkeit erhobener Daten

Das Bundes­verfassungs­gericht hat die Verfassungs­beschwerde eines Universitäts­professors nicht zur Entscheidung angenommen. Dieser wendet sich gegen Gerichts­entscheidungen, mit denen die Durchsuchung der Räumlichkeiten seines Lehrstuhls und die Beschlagnahme von Forschungs­unterlagen angeordnet bzw. bestätigt wurde. Er sieht sich in seiner Forschungs­freiheit verletzt.

Der Beschwer­de­führer ist Inhaber eines Lehrstuhls an einem Institut für Psychologie. Im Rahmen eines Forschungs­projekts zur „Islamistischen Radikalisierung im Justizvollzug“ wurden im Justizvollzug Inhaftierte interviewt. In dem Infor­ma­ti­o­ns­schreiben an die Inter­vie­w­partner heißt es unter anderem: „(…) Wir haben Schweigepflicht und dürfen der Gefäng­nis­leitung oder anderen Bediensteten nichts von dem erzählen, was sie uns sagen. Nur wenn Sie uns von einer geplanten Straftat erzählen, müssen wir das melden.“ Zu den mit den Inhaftierten durchgeführten Interviews existierten – jeweils (noch) nicht anonymisiert beziehungsweise re-anonymisierbar – ein schriftliches Protokoll und ein elektronisch gesicherter Audiofile. Die zuständige Ermitt­lungs­richterin am Oberlan­des­gericht ordnete eine Durchsuchung der Räumlichkeiten des Lehrstuhls des Beschwer­de­führers an, unter anderem nach Tonband­auf­nahmen, schriftlichen Unterlagen und sonstigen Gegenständen, insbesondere einem Gespräch­s­pro­tokoll, mit Bezug zu dem Interviewten und dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Forschungs­projekt. Zudem wurde die Beschlagnahme der Gegenstände angeordnet. Begründet wurde der Beschluss damit, dass gegen eine im Rahmen des Projekts interviewte Person der Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland bestünde. Hiergegen erhob der Beschwer­de­führer erfolglos eine Beschwerde. Das Oberlan­des­gericht wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, dass dem Beschwer­de­führer kein Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht zustehe. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gebiete weder eine andere Auslegung noch folge hieraus ein straf­pro­zes­suales Durchsuchungs- und Beschlag­nah­me­verbot. Eine Ausweitung der straf­pro­zes­sualen Zeugnis­ver­wei­ge­rungs­rechte sei Sache des Gesetzgebers und erfolge grundsätzlich nicht durch eine erweiternde Auslegung oder eine analoge Anwendung der einschlägigen Vorschriften. Selbst wenn dennoch eine Abwägung zwischen der Forschungs­freiheit einerseits und dem Straf­ver­fol­gungs­auftrag andererseits geboten sein sollte, fiele die Abwägung zu Lasten der Forschungs­freiheit aus. Der Beschwer­de­führer rügt eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen. Das Oberlan­des­gericht gehe von falschen Wertungen aus, indem einerseits auf die „Schwere der Tat und die Stärke des Tatverdachts“ abgestellt werde, während andererseits die Forschungs­freiheit „lediglich unerheblich beeinträchtigt“ sei.

Verfas­sungs­be­schwerde wegen Verfristung unzulässig

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Begrün­dungs­an­for­de­rungen hinsichtlich der Fristwahrung. Zu diesen Begrün­dungs­an­for­de­rungen gehört im Zweifelsfall auch die schlüssige Darlegung, dass die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingehalten ist. Daran fehlt es hier. Der Beschwer­de­führer hat die Verfas­sungs­be­schwerde mehr als einen Monat nach dem Datum der Beschwer­de­ent­scheidung des Oberlan­des­ge­richts, durch deren Zugang oder formloser Mitteilung die Verfas­sungs­be­schwer­defrist in Gang gesetzt wurde, erhoben. Weder aus den vorgelegten Unterlagen noch aus dem Beschwer­de­vor­bringen ergibt sich ohne Weiteres, wann die letzt­in­sta­nzliche Entscheidung zugegangen ist. Der Bevollmächtigte des Beschwer­de­führers verweist zur Darlegung des Zugangs­zeit­punktes auf einen Eingangsstempel seiner Kanzlei, der jedoch auf der vorgelegten Ausfertigung der Beschwer­de­ent­scheidung nicht zu finden ist.

OLG verkennt Gewicht und Reichweite der Forschungs­freiheit

In der Sache bestehen jedoch erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verfas­sungs­mä­ßigkeit der angegriffenen Entscheidungen. Das Beschwer­de­gericht hat Gewicht und Reichweite der Forschungs­freiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) nicht angemessen berücksichtigt. Die Forschungs­freiheit umfasst auch die Erhebung und Vertraulichkeit von Daten im Rahmen wissen­schaft­licher Forschungs­projekte als Bestandteil der Prozesse und Verhal­tens­weisen bei der Suche nach Erkenntnissen. Gerade empirische Forschung ist regelmäßig auf die Erhebung von Daten angewiesen und insbesondere aussagefähige sensible Daten können von den Betroffenen oftmals nur unter der Bedingung von Vertraulichkeit erhoben werden. Soweit es, wie hier, um kriminologische Forschungen über Dunkelfelder oder Kontexte strafbarer Verhal­tens­weisen geht, ist dies offenkundig. Die vertrauliche Datenerhebung gehört zur geschützten wissen­schaft­lichen Methode. Die staatlich erzwungene Preisgabe von Forschungsdaten hebt die Vertraulichkeit auf und erschwert oder verunmöglicht insbesondere Forschungen, die, wie das hier betroffene Forschungs­projekt, auf vertrauliche Datenerhebungen angewiesen sind. Soweit das Beschwer­de­gericht davon ausgeht, die Forschungs­freiheit sei vorliegend nur unerheblich beeinträchtigt worden, erfasst es die Auswirkungen auf das konkrete Forschungs­projekt, aber auch die Folgen für die Wissen­schafts­freiheit darüber hinaus nicht angemessen. Es verkennt die Schwere des Eingriffs, weil die Daten entgegen seiner Annahme weder aus Gründen der Wissenschaft auf Veröf­fent­lichung angelegt waren, noch die Berück­sich­tigung der Eingriffs­wir­kungen auf das konkrete Interview hätte beschränkt werden dürfen.

Wissenschaft selbst dient Krimi­na­l­prä­vention

Vielmehr kommt der Wissen­schafts­freiheit bei der Abwägung ein umso höheres Gewicht zu, je stärker das konkrete Forschungs­vorhaben und die entsprechenden Forschungs­be­reiche auf die Vertraulichkeit bei Datenerhebungen und -verarbeitungen angewiesen sind. Auch hätte gerade der Zusammenhang zwischen der konkret betroffenen Forschung und dem gegenläufigen Belang der Straf­rechts­pflege berücksichtigt werden müssen. Die effektive und funkti­o­ns­tüchtige Straf­rechts­pflege ist zwar ein Zweck von Verfassungsrang. Für das Gewicht dieses Zwecks ist vorliegend aber zu berücksichtigen, dass die betroffene Forschung auch für die Rechts­s­taat­lichkeit von besonderer Bedeutung ist. Eine rationale Krimi­na­l­prä­vention ist in hohem Maße auf Erkenntnisse über Dunkelfelder und krimi­na­li­täts­för­dernde Dynamiken angewiesen. Eine effektive Verhinderung von Straftaten setzt deshalb genau jene Forschung voraus, die durch den Zugriff auf ihre Daten zum Zwecke der konkreten Strafverfolgung erheblich erschwert oder verunmöglicht wird.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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