15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss11.12.2013

Bezeichnung als "durchgeknallte Frau" kann ehrverletzend seinBewusst verletzende Äußerung nicht mehr vom Grundrecht auf Meinungs­freiheit gedeckt

Die Bezeichnung als "durchgeknallte Frau" kann, abhängig vom Kontext, eine ehrverletzende Äußerung sein, die nicht mehr vom Grundrecht auf Meinungs­freiheit gedeckt ist. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Damit gab das Gericht der Verfassungs­beschwerde einer ehemaligen Landrätin und Landtags­ab­geordneten teilweise statt, die sich gegen einzelne Äußerungen im Beitrag eines Online-Mediums gewandt hatte.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist ehemalige Landrätin und war bis September 2013 Mitglied des Bayerischen Landtags. Ende 2006 posierte sie für ein Gesell­schafts­magazin, das die Fotostrecke in einer ihrer Ausgaben veröffentlichte. Dies nahm die Beklagte des Ausgangs­ver­fahrens zum Anlass, auf ihrer Internetseite einen Text zu veröffentlichen, der u. a. die folgende Passage enthält:

"Ich sage es Ihnen: Sie sind die frustrierteste Frau, die ich kenne. Ihre Hormone sind dermaßen durcheinander, dass Sie nicht mehr wissen, was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus, Feminismus, Vernunft. Sie sind eine durchgeknallte Frau, aber schieben Sie Ihren Zustand nicht auf uns Männer."

Beschwer­de­führerin fühlt sich in allgemeinem Persön­lich­keitsrecht verletzt

Die Beschwer­de­führerin sieht sich in ihrem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht verletzt und begehrt von der Beklagten die Unterlassung verschiedener Einze­l­äu­ße­rungen, u. a. der Bezeichnung als "durchgeknallte Frau", sowie eine angemessene Geldent­schä­digung. Die Verfas­sungs­be­schwerde richtet sich gegen das klagabweisende Urteil des Oberlan­des­ge­richts.

BVerfG bejaht Verletzung des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die angegriffene Entscheidung die Beschwer­de­führerin in ihrem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Soweit sie die Äußerung unbeanstandet lässt, die Beschwer­de­führerin sei eine „durchgeknallte Frau“, hält sich dies nicht mehr im fachge­richt­lichen Wertungsrahmen. Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

Gerichte haben Ausmaß der Beein­träch­tigung von Allgemeinem Persön­lich­keitsrecht und dem Recht auf Meinungs­freiheit zu erfassen

Die Bezeichnung der Beschwer­de­führerin als „durchgeknallte Frau“ beeinträchtigt sie in ihrem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht. Das allgemeine Persön­lich­keitsrecht findet seine Schranken gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in der verfas­sungs­mäßigen Ordnung einschließlich der Rechte anderer. Zu diesen Rechten gehört auch die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Gerichte haben die betroffenen unter­schied­lichen Interessen und das Ausmaß ihrer Beein­träch­tigung zu erfassen. Die sich gegen­über­ste­henden Positionen sind in Ansehung der konkreten Umstände des Einzelfalls in ein Verhältnis zu bringen, das ihnen jeweils angemessen Rechnung trägt.

OLG bemisst Verletzung des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts zu gering

Das Oberlan­des­gericht misst dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht der Beschwer­de­führerin ein zu schwaches Gewicht bei. Es übersieht die persönliche Ehre als in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich genannte Schranke.

Spekulative Aussagen treffen thematisch innersten Intimbereich

Wenn die Beschwer­de­führerin von der Beklagten die Unterlassung der Äußerung begehrt, sie sei eine „durchgeknallte Frau“, so wendet sie sich gegen diese Äußerung als Zusammenfassung des vorangegangenen Absatzes. Hierin verschiebt die Beklagte die öffentliche Ausein­an­der­setzung um die Person der Beschwer­de­führerin hin zu rein spekulativen Behauptungen über den Kern ihrer Persönlichkeit als Privatperson. Sie stützt diese Spekulationen auf Beurteilungen, die thematisch den innersten Intimbereich betreffen, ohne dass sie irgendeinen Tatsachenkern hätten. Sie knüpfen zwar an das Verhalten der Beschwer­de­führerin an, die für ein Gesell­schafts­magazin posierte und eine Serie von Fotos von sich fertigen ließ, weswegen sich die Beschwer­de­führerin eine Ausein­an­der­setzung hiermit auch gefallen lassen muss. So bleibt es der Beklagten unbenommen, sich - auch zugespitzt und polemisch - zu dem Verhalten der Beschwer­de­führerin zu äußern.

Aussage ist als bewusst geschriebener und als Verletzung gewollter Text einzustufen

Die Folgerungen der Beklagten, die sie mit den Worten „durchgeknallte Frau“ zusammenfasst, haben jedoch als solche keinerlei Anknüp­fungspunkt in dem Verhalten der Beschwer­de­führerin. Die Beklagte zielt hier vielmehr bewusst darauf, die Beschwer­de­führerin nicht nur als öffentliche Person und wegen ihres Verhaltens zu diskreditieren, sondern ihr provokativ und absichtlich verletzend jeden Achtungs­an­spruch gerade schon als private Person abzusprechen. Angesichts dessen kann sich die Meinungs­freiheit nicht durchsetzen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um einen bewusst geschriebenen und als Verletzung gewollten Text handelt, der nicht Ausdruck einer spontanen Äußerung im Zusammenhang einer emotionalen Ausein­an­der­setzung ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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