22.11.2024
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Dokument-Nr. 32472

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Beschluss24.10.2022Bundesverfassungsgericht1 BvR 19/22 und 1 BvR 110/22
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Bundesverfassungsgericht Beschluss24.10.2022

Verfassungs­beschwerden betreffend das postmortale Persönlichkeits­recht des verstorbenen vormaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl erfolglosKeine Geldent­schä­digung für Kohl-Witwe

Das Bundes­verfassungs­gericht hat zwei Verfassungs­beschwerden der Witwe und Alleinerbin des verstorbenen vormaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl (fortan: „Erblasser“) nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungs­beschwerden richteten sich gegen zivil­ge­richtliche Entscheidungen, die auf das postmortale Persönlichkeits­recht gestützte Klagen auf Unterlassung sowie auf Zahlung einer Geldent­schä­digung betrafen.

Gegenstand der einen Verfassungsbeschwerde sind gerichtliche Entscheidungen in einem zunächst vom Erblasser und nach dessen Tod von der Beschwer­de­führerin gegen die Beklagten geführten Verfahren gerichtet auf Unterlassung der Veröf­fent­lichung und Verbreitung von 116 Passagen des Buches „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“. Die angegriffenen Urteile des Oberlan­des­ge­richts und des Bundes­ge­richtshofs sahen die Unter­las­sungsklage nur teilweise als begründet an. Die andere Verfas­sungs­be­schwerde richtet sich gegen gerichtliche Urteile, die das Fortbestehen des Geldent­schä­di­gungs­an­spruchs wegen Verletzung des Persön­lich­keits­rechts des Erblassers über dessen Tod hinaus betrafen. Der Erblasser hatte die Beklagten im Zusammenhang mit der Veröf­fent­lichung des Buches „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ auf Geldent­schä­digung in Höhe von 5 Millionen Euro in Anspruch genommen. Nach dem Versterben des Erblassers während des Berufungs­ver­fahrens wies das Oberlan­des­gericht die von der Beschwer­de­führerin als Alleinerbin fortgeführte Klage insgesamt ab. Die hiergegen gerichtete Revision blieb ohne Erfolg.

Grobe Herabwürdigung des Achtungs­an­spruches nicht dargelegt

Das BVerfG hat die Verfas­sungs­be­schwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfas­sungs­be­schwerde betreffend die Unter­las­sungsklage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Beschwer­de­führerin ist als Alleinerbin des Erblassers zwar befugt, dessen postmortales Persönlichkeitsrecht im Wege der Verfas­sungs­be­schwerde geltend zu machen. Sie hat ihre Verfas­sungs­be­schwerde jedoch nicht hinlänglich substantiiert begründet. Träger des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sind nur lebende Personen. Das Fortwirken des Persön­lich­keits­rechts nach dem Tode ist zu verneinen. Über den Tod des Menschen hinaus bleibt jedoch der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 1 GG bestehen. Es würde mit dem verfas­sungs­ver­bürgten Gebot der Unver­letz­lichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungs­an­spruch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Die Schutzwirkungen des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts sind mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG resultierenden Schutz nicht identisch. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht betont vielmehr in ständiger Rechtsprechung die Differenz zwischen Menschenwürde und allgemeinem Persön­lich­keitsrecht, wie sich etwa daraus ergibt, dass die Menschenwürde im Konflikt mit der Meinungs­freiheit nicht abwägungsfähig ist, während es bei einem Konflikt der Meinungs­freiheit mit dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht regelmäßig zu einer Abwägung kommt. Unabhängig von der Frage, wie weit der Achtungs­an­spruch Verstorbener im Einzelfall geht, reicht er jedenfalls nicht weiter als der Ehrschutz lebender Personen. Zwar kann das Unterschieben nicht getätigter Äußerungen wie auch die unrichtige, verfälschte und entstellte Wiedergabe einer Äußerung, insbesondere in Zitatform, das allgemeine Persön­lich­keitsrecht in besonderem Maße berühren. Um von einer die Menschenwürde in ihrem unantastbaren Kern treffenden Verletzung auszugehen, muss jedoch eine grobe Herabwürdigung und Erniedrigung des allgemeinen Achtungs­an­spruchs, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, oder des sittlichen, personalen und sozialen Geltungswerts, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat, dargelegt werden. Die Beschwer­de­führerin hat nicht darlegen können, dass durch die angegriffenen Passagen der aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Achtungs­an­spruch des Erblassers grob herabgewürdigt oder erniedrigt wurde. Der vom Erblasser durch seine Lebensleistung erworbene sittliche, personale und soziale Geltungswert ist jedenfalls nicht in einer den Kern der Menschenwürde erfassenden Weise verletzt worden. Durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen aus der Zeit seiner politischen Verant­wor­tungs­übernahme gegenüber einem vertraglich zur Anfertigung von Entwürfen seiner Memoiren verpflichteten Journalisten ist nicht der innerste Kern der Persönlichkeit des Erblassers betroffen. Unter Beachtung des verfas­sungs­recht­lichen Prüfungs­maßstabs sind die angegriffenen Urteile nicht zu beanstanden. Der Bundes­ge­richtshof hat – wie schon das Oberlan­des­gericht – seinem Urteil die zutreffenden verfas­sungs­ge­richt­lichen Entscheidungen zur Reichweite des postmortalen Persön­lich­keits­rechts aus Art. 1 Abs. 1 GG zugrundegelegt. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass die für die Annahme eines Verstoßes notwendige, die unantastbare Menschenwürde treffende Verletzung vorliegend nicht gegeben ist. Eine Infragestellung des durch die Lebensstellung erworbenen Geltungs­an­spruchs genügt nicht. Hiergegen ist aus verfas­sungs­ge­richt­licher Sicht nichts zu erinnern.

Anspruch auf Entschädigung nicht vererblich

Die Verfas­sungs­be­schwerde betreffend das Fortbestehen des Geldent­schä­di­gungs­an­spruchs wegen Verletzung des Persön­lich­keits­rechts des Erblassers über dessen Tod hinaus ist unbegründet. Ebenso wie das allgemeine Persön­lich­keitsrecht eines lebenden Menschen begründet der postmortale Schutz der Menschenwürde nicht selbst bestimmte materi­ell­rechtliche Ansprüche gegenüber Verletzungen durch Private. Die Aufstellung und normative Umsetzung eines angemessenen Schutzkonzepts ist Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestal­tungs­spielraum zukommt, wenn er verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen. Gleiches gilt, wenn die Zivilgerichte mangels einer Entscheidung des Gesetzgebers die Schutzpflicht wahrnehmen. Nach diesem Maßstab haben die erkennenden Gerichte die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht nicht dadurch verletzt, dass sie der Beschwer­de­führerin als Alleinerbin des Erblassers einen Entschä­di­gungs­an­spruch wegen einer zu Lebzeiten des Erblassers entstandenen Persön­lich­keits­rechts­ver­letzung verweigert haben. Der aus der Garantie der Menschenwürde folgende Schutzauftrag gebietet nicht die Bereitstellung einer bestimmten Sanktion für Würde­ver­let­zungen. Insbesondere gibt es keinen verfas­sungs­recht­lichen Grundsatz des Inhalts, dass eine Verletzung der Menschenwürde stets einen Entschä­di­gungs­an­spruch nach sich ziehen muss. Der Bundes­ge­richtshof hat – entsprechend dem angegriffenen Urteil des Oberlan­des­ge­richts – in dem angegriffenen Urteil ausgeführt, der Anspruch auf Geldent­schä­digung wegen Verletzung des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts sei im Grundsatz nicht vererblich. Dies gelte auch dann, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Todes des Verletzten und ursprünglichen Anspruchs­in­habers bereits bei Gericht anhängig oder gar rechtshängig sei. Die grundsätzliche Unver­erb­lichkeit ergebe sich entscheidend aus der Funktion des Geldent­schä­di­gungs­an­spruchs. Insoweit stehe der Genug­tu­ungs­gedanke im Vordergrund. Einem Verstorbenen könne aber Genugtuung nicht mehr verschafft werden. Dass der Geldent­schä­di­gungs­an­spruch auch der Prävention diene, gebiete das (Fort-)Bestehen eines solchen Anspruchs nach dem Tode auch nicht unter dem Aspekt der Menschenwürde. Diese Ausführungen begegnen keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Aus der Garantie der Menschenwürde folgt keine Pflicht der Zivilgerichte, die zivil­recht­lichen Anspruchs­grundlagen des persön­lich­keits­recht­lichen Sankti­o­nen­systems auszuweiten. Verfas­sungs­rechtlich geboten ist dies jedenfalls dann nicht, wenn die Rechtsordnung andere Möglichkeiten zum Schutz der postmortalen Menschenwürde bereithält. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die postmortale Menschenwürde des Erblassers gegen Übergriffe durch die Beklagten schutzlos gestellt war. Dem Erblasser standen zu Lebzeiten, der Beschwer­de­führerin stehen nach seinem Versterben Unter­las­sungs­ansprüche gegen die Beklagten zu

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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