21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss20.04.2011

BVerfG: Stich­tags­re­gelung zur Gewährung von Elterngeld verfas­sungsgemäßStich­tags­re­gelung bringt unvermeidbare Härte mit sich, verstößt jedoch nicht gegen allgemeinen Gleichheitssatz

Die Stich­tags­re­gelung zur Gewährung von Elterngeld, nach der Eltern von Kindern, die vor dem 1. Januar 2007 geboren wurden, Erziehungsgeld erhalten und Eltern deren Kinder nach dem 1. Januar 2007 ein einkom­men­s­an­hängiges Elterngeld erhalten, ist verfas­sungsgemäß. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Nach dem bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Bundes­er­zie­hungs­geld­gesetz (BErzGG) konnte zuletzt ein Erziehungsgeld von 300 Euro monatlich bis zum 24. Lebensmonat des Kindes gewährt werden, auf das nach den festgesetzten Einkom­mens­grenzen jedoch Eltern mit höherem Einkommen keinen Anspruch hatten. Dagegen gewährt das am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Bundes­el­tern­geld­gesetz (BEEG) bis zur Vollendung des 12. bzw. des 14. Lebensmonats des Kindes ein Elterngeld, dessen Höhe sich nach dem durch­schnitt­lichen Einkommen des berechtigten Elternteils der letzten zwölf Monate richtet und von mindestens 300 Euro bis zu 1.800 Euro monatlich reichen kann. Somit brachte das neue Gesetz Verbesserungen für besser verdienende Eltern, die zuvor keinen Zugang zum Erziehungsgeld hatten, aber wegen des kürzeren Bezugszeitraums auch Verschlech­te­rungen insbesondere für Eltern mit geringem oder keinem Einkommen. Nach der Stich­tags­re­gelung des § 27 Abs. 1 BEEG haben Anspruch auf Elterngeld nur Eltern, deren Kind nach dem 31. Dezember 2006 geboren oder zur Adoption aufgenommen worden ist. Für die vorher geborenen bzw. adoptierten Kinder gelten die Erzie­hungs­geld­re­ge­lungen fort.

Beschwer­de­füh­re­rinnen halten Stich­tags­re­gelung für verfas­sungs­widrig

Die Beschwer­de­füh­re­rinnen, deren Kinder jeweils kurz vor dem Stichtag geboren wurden und die aufgrund eines zu hohen Ehegat­ten­ein­kommens keinen Anspruch auf Erziehungsgeld haben, halten die Stich­tags­re­gelung für verfas­sungs­widrig, insbesondere weil der Gesetzgeber keine Überg­ans­re­gelung eingeführt habe, die ihnen einen Anspruch auf Elterngeld einräume.

Beschwer­de­füh­re­rinnen nicht in Verfas­sungs­rechten verletzt

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerden nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annah­me­vor­aus­set­zungen nicht vorliegen. Die Beschwer­de­füh­re­rinnen sind insbesondere nicht in ihren Verfas­sungs­rechten verletzt.

Stich­tags­re­gelung verstößt nicht gegen allgemeinen Gleichheitssatz

Den Entscheidungen liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Stich­tags­re­gelung, die zwischen Eltern, deren Kind ab dem 1. Januar 2007 geboren ist, und Eltern, deren Kind vor diesem Zeitpunkt geboren ist, unterscheidet, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Gesetzgeber ist frei, auf der Grundlage sachlicher Überlegungen Stich­tags­re­ge­lungen einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidbar gewisse Härten mit sich bringt. Für den vom Gesetzgeber eingeführten Systemwechsel vom Erziehungsgeld zum Elterngeld musste ein Anknüp­fungspunkt bestimmt werden. Die zeitliche und sachliche Anknüpfung des gesetzlichen Leistungs­an­spruchs an den Tag der Geburt eines Kindes ist sachlich begründet. Denn der Tag der Geburt fällt in aller Regel mit dem Beginn der Lebens- und Erzie­hungs­fä­higkeit und des Betreu­ungs­bedarfs eines Kindes zusammen.

Ungleich­be­handlung der Eltern genügt erhöhten Recht­fer­ti­gungs­an­for­de­rungen

Die durch die Stich­tags­re­gelung bewirkte Ungleichbehandlung verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz in Verbindung mit der Pflicht des Staates zum Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG). Diese garantiert zwar den Eltern die Freiheit, über die Gestaltung des familiären Zusammenlebens und die Form der Kinderbetreuung selbst zu entscheiden, und verpflichtet den Staat, die Kinderbetreuung in der von den Eltern gewählten Form zu ermöglichen und zu fördern. Ob die Eltern eines vor dem 1. Januar 2007 geborenen Kindes in dieser Freiheit durch die Stich­tags­re­gelung nachteilig betroffen sind, kann jedoch hier dahinstehen, da ihre Ungleich­be­handlung auch erhöhten Recht­fer­ti­gungs­an­for­de­rungen genügt.

Erzie­hungs­geld­re­ge­lungen gelten für vor dem Stichtag geborene Kinder fort

Zum einen lässt die Stich­tags­re­gelung auch Eltern, deren Kind vor dem 1. Januar 2007 geboren ist, nicht ohne jeden Schutz, da insoweit die Erzie­hungs­geld­re­ge­lungen fortgelten, die als solche den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG genügen, auch wenn die Beschwer­de­füh­re­rinnen aufgrund der Einkom­mens­grenzen danach nicht anspruchs­be­rechtigt sind.

Vermeidung eines erheblichen Verwal­tungs­aufwands stellt hinreichende Rechtfertigung für Stich­tags­re­gelung dar

Zum anderen durfte der Gesetzgeber von einer Überg­angs­re­gelung mit Blick auf den dadurch zu erwartenden Verwal­tungs­mehr­aufwand Abstand nehmen. So kann die Anwendung der früheren Regelungen zum Erziehungsgeld wegen dessen längerer Bezugsdauer im Einzelfall vorteilhaft gegenüber der Anwendung der Eltern­geld­re­ge­lungen sein. Aus Vertrau­ens­schutz­gründen hätte es daher bei einer Überg­angs­re­gelung möglicherweise der Ermittlung und Anwendung des im Einzelfall vorteilhafteren Leistungs­systems bedurft. Das Bestreben, den damit verbundenen erheblichen Verwal­tungs­aufwand zu vermeiden, stellt eine hinreichende Rechtfertigung für die Stich­tags­re­gelung dar, zumal Eltern, deren Kinder vor dem 1. Januar 2007 geboren wurden, dadurch im Vergleich zur früheren Rechtslage keinen Nachteil erleiden, sondern gegebenenfalls Erziehungsgeld nach eben dieser Rechtslage erhalten.

Keine Ungleich­be­handlung zwischen leiblichen Eltern und Adoptiveltern

Eine verfas­sungs­widrige Ungleich­be­handlung zwischen leiblichen Eltern und Adoptiveltern liegt ebenfalls nicht vor, da es sachlich gerechtfertigt ist, bei Adoptivkindern nicht auf den Zeitpunkt der Geburt, sondern auf den des familiären Zusammenlebens abzustellen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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