21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss12.12.2007

Erfolglose Verfas­sungs­be­schwerden gegen Theater­auf­führung und Roman­ver­öf­fent­lichungBundes­ver­fas­sungs­gericht stärkt Kunstfreiheit

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte über zwei Verfas­sungs­be­schwerden zu entscheiden, in denen das Verhältnis von Persön­lich­keitsrecht und Kunstfreiheit abgewogen werden mussten.

Im einen Fall richtet sich die Beschwer­de­führerin gegen die Aufführung des von Lutz Hübner verfassten Theaterstücks "Ehrensache". Als Vorlage dieses Stücks dienten die Ereignisse um die Tötung der damals 14-jährigen Tochter der Beschwer­de­führerin (sog. "Hagener Mädchenmord-Fall"). In dem Stück werden episodenhaft der Ablauf des Tages bis zur Tat und Ereignisse aus dem Leben der getöteten Ellena erzählt, deren Figur an die Tochter der Beschwer­de­führerin angelehnt ist. Die Mutter des Mädchens rügt eine Verletzung des postmortalen Persön­lich­keits­rechts ihrer Tochter. Sie beanstandet, dass die wesentlichen Handlungs­stränge des Theaterstücks sich gewollt am realen Geschehen orientierten: ihre Tochter sei in der Figur der Ellena wieder zu erkennen. Durch die Darstellung werde ungeachtet der Veränderung des Namens und einiger Details das Lebensbild der Tochter entstellt und deren Wert und Achtungs­an­spruch verletzt. Die Darstellung beschränke sich darauf, die frühreife und starke sexuelle Ausrichtung der Verstorbenen sowie ihre charakterliche und moralische Haltlosigkeit zu betonen.

Im anderen Fall richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Veröf­fent­lichung des autobio­gra­phischen Romans "Pestalozzis Erben". Die beiden Beschwer­de­führer, die Lehrer sind oder waren, sehen sich durch die Darstellung bestimmter Lehrer in dem Roman, die Ähnlichkeiten zu ihnen aufwiesen, in ihrer Ehre verletzt.

Die Klagen der Beschwer­de­führer auf Unterlassung blieben vor den Fachgerichten ohne Erfolg.

Die hiergegen gerichteten Verfas­sungs­be­schwerden wurde vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht zur Entscheidung angenommen. Das (postmortale) Persönlichkeitsrecht ist nicht verletzt.

Den Entscheidungen liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Es handelt sich um die ersten Folge­ent­schei­dungen nach dem ESRA-Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juni 2007. Um die Schwere der Beein­träch­tigung des Persön­lich­keits­rechts durch die Veröf­fent­lichung eines Kunstwerks bewerten zu können, ist nach der ESRA-Entscheidung eine kunst­s­pe­zi­fische Betrachtung zur Bestimmung des durch das Theaterstück oder den Roman im jeweiligen Handlungs­zu­sam­menhang dem Leser oder Zuschauer nahe gelegten Wirklich­keits­bezugs erforderlich. Dabei ist ein literarisches Werk oder ein Theaterstück zunächst als Fiktion anzusehen, das keinen Fakti­zi­täts­an­spruch erhebt. Diese Vermutung gilt auch dann, wenn hinter den Figuren reale Personen als Urbilder erkennbar sind.

Mit ihrem Vorbringen, die Tochter bzw. die Lehrer würden vom Autor verzerrt und dadurch einseitig negativ dargestellt, machen die Beschwer­de­führer dem Autor gerade die Fiktionalität seines Werks zum Vorwurf. Damit, dass sie erkennbar Vorbilder der dargestellten Figuren sind, ist noch nicht gesagt, dass das Werk seinem Zuschauer oder Leser nahe legt, alle Handlungen und Eigenschaften dieser Figuren dem getöteten Mädchen oder den beiden Lehrern zuzuschreiben. Für ein literarisches Werk, das an reale Geschehnisse anknüpft, ist vielmehr typischerweise kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt. Unter diesen Umständen verfehlte es den Grund­rechts­schutz für Literatur, wenn man die Persön­lich­keits­ver­letzung bereits in der Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und in den negativen Zügen der dargestellten Figur andererseits sähe. Über die bloße Erkennbarkeit hinaus bringen die Beschwer­de­führer keine Anhaltspunkte vor, die es nahe legen würden, bestimmte in dem Theaterstück oder dem Roman dargestellte Ereignisse als tatsächlich geschehen und die grundsätzlich geltende Vermutung der Fiktionalität daher als widerlegt anzusehen.

Das Theaterstück tastet die Menschenwürde der Tochter auch insoweit nicht an, als in ihm Handlungen mit sexuellem Gehalt geschildert oder gezeigt werden. Zwar kann die realistische und detaillierte Erzählung derartiger Handlungen einer Person in einem literarischen Text die absolut geschützte Intimsphäre des Betroffenen beeinträchtigen und deshalb unzulässig sein. Die Beein­träch­tigung der Intimsphäre setzt nach der ESRA-Entscheidung aber jedenfalls voraus, dass sich durch den Text die nahe liegende Frage stellt, ob sich die geschilderten Handlungen als Berichte über tatsächliche Ereignisse begreifen lassen, beispielsweise deshalb, weil es sich um eine aus vom Autor unmittelbar Erlebtem stammende, realistische und detaillierte Erzählung entsprechender Geschehnisse und die genaue Schilderung intimster Details einer Frau handele, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar ist. An derartigen Umständen fehlt es hier.

Das aus der Unver­letz­lichkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleitete postmortale Persön­lich­keitsrecht der Tochter der Beschwer­de­führerin ist auch nicht deshalb besonders schutzbedürftig, weil sie zum Zeitpunkt ihres Todes noch minderjährig war. Der verstärkte Schutz des Persön­lich­keits­rechts Minderjähriger findet seinen Grund in dem Bedürfnis, deren weitere Persön­lich­keits­ent­wicklung zu gewährleisten. Dieser Gesichtspunkt lässt sich auf Verstorbene nicht übertragen.

Hinsichtlich des Romans hat das Oberlan­des­gericht ausgeführt, seine Passagen, in denen die Beschwer­de­führer sich wieder erkennen, seien nicht als persönliche Abrechnungen gerade mit den Beschwer­de­führern zu lesen. Die portraitierten Lehrer würden als Beispiele bestimmter Lehrertypen beschrieben, um Missstände und Merkwür­dig­keiten des gymnasialen Schulbetriebs aufzuzeigen. Mit dieser Interpretation hat das Oberlan­des­gericht der aus der Kunstfreiheit folgenden Vermutung der Fiktionalität eines literarischen Textes in nicht zu beanstandender Weise Rechnung getragen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 12/08 des BVerfG vom 31.01.2008

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