18.10.2024
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Dokument-Nr. 2028

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Bundesverfassungsgericht Beschluss15.02.2006

Zur Berechnung des Rückkaufswertes einer kapital­bil­denden Lebens­ver­si­cherung bei vorzeitiger Kündigung

Die Verfas­sungs­be­schwerde eines Versi­che­rungs­nehmers, der im Jahr 1992 seine kapitalbildende Lebens­ver­si­cherung vorzeitig gekündigt hatte, war jedenfalls im Kern erfolgreich. Dieser hatte sich gegen die im Wege der „Zillmerung“ erfolgte Berechnung des Rückkaufswertes seiner Lebens­ver­si­cherung gewandt.

Lebens­ver­si­che­rungen mit „gezillmerter“ Prämie weisen die Grundstruktur auf, dass dem Versi­che­rungs­nehmer die Vertrags­ab­schluss­kosten (insbesondere Vermitt­lungs­pro­vision) nicht gesondert in Rechnung gestellt werden, sondern mit der insgesamt zu zahlenden Prämie verrechnet werden. Die Prämienhöhe wird so berechnet, dass sie über die Gesamtlaufzeit des Vertrags gleich bleibt und dass Prämi­en­zah­lungen zunächst dazu verwendet werden, die Abschlusskosten zu decken. Dies führt dazu, dass der Rückkaufswert des Lebens­ver­si­che­rungs­vertrags in den ersten Jahren sehr niedrig ist oder sogar entfällt. Die Rechtslage zur Zeit des hier streit­ge­gen­ständ­lichen Vertrags­schlusses war zudem dadurch gekennzeichnet, dass die genaue Berechnung der Zillmerung in dem den Versi­che­rungs­nehmern nicht bekannten von der Aufsichts­behörde genehmigten Geschäftsplan des Versi­che­rungs­un­ter­nehmens dargestellt worden war. Für nach dem 28. Juli 1994 abgeschlossene Lebens­ver­si­che­rungs­verträge gilt eine veränderte Rechtslage. Allerdings hat die Neuregelung des Versi­che­rungs­rechts im Jahr 1994 die Anwendbarkeit der vorliegend angegriffenen Berechnung des Rückkaufswertes nach der Methode Zillmer nicht beseitigt.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht stellte fest, dass der verfas­sungs­rechtliche Schutzauftrag Vorkehrungen dafür erfordere, dass die Versi­che­rungs­nehmer einer kapital­bil­denden Lebensversicherung erkennen können, in welcher Höhe Abschlusskosten mit der Prämie verrechnet werden dürfen und dass sie bei einer vorzeitigen Beendigung des Lebens­ver­si­che­rungs­ver­hält­nisses eine Rückvergütung erhalten, deren Wert auch unter Berück­sich­tigung in Rechnung gestellter Abschlusskosten in einem angemessenen Verhältnis zu den bis zu diesem Zeitpunkt gezahlten Versi­che­rungs­prämien steht. Die Kammer hat die Verfas­sungs­be­schwerde gleichwohl nicht zur Entscheidung angenommen, da ihr aufgrund der vorangegangenen Urteile des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts (Urteil v. 26.07.2005, AZ: 1 BvR 80/95; Urteil v. 27.06.2005, AZ: 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96´) keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukomme.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat in seinen Urteilen vom 26. Juli 2005 verfas­sungs­rechtliche Schutzdefizite im Recht der kapital­bil­denden Lebens­ver­si­cherung mit Überschuss­be­tei­ligung festgestellt. Entsprechende Schutzdefizite sind auch bei der Verrechnung von Abschlusskosten für den Fall vorzeitiger Vertrags­aus­lösung nach dem seinerzeit maßgeblichen Recht festzustellen:

Die in Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG enthaltenen objek­ti­v­recht­lichen Schutzaufträge erfordern Vorkehrungen dafür, dass die Versi­che­rungs­nehmer über effektive Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Interessen verfügen. Bleiben den Versi­che­rungs­nehmern Art und Höhe der zu verrechnenden Abschlusskosten und der Verrech­nungsmodus unbekannt, ist ihnen eine eigenbestimmte Entscheidung darüber unmöglich, ob sie einen Vertrag zu den konkreten Konditionen abschließen wollen. Darf – wie es der seinerzeitigen Rechtslage entsprach – für die Berechnung auf den den Versi­che­rungs­nehmern nicht bekannten Geschäftsplan verwiesen werden, fehlt es auch insofern an der für eine autonome Entscheidung unabdingbaren Transparenz.

Darüber hinaus muss gesichert werden, dass die Versi­che­rungs­nehmer bei einer vorzeitigen Beendigung des Lebens­ver­si­che­rungs­ver­hält­nisses eine Rückvergütung erhalten, deren Wert auch unter Berück­sich­tigung in Rechnung gestellter Abschlusskosten sowie des Risiko- und Verwal­tungs­kos­te­n­anteils in einem angemessenen Verhältnis zu den bis zu diesem Zeitpunkt gezahlten Versi­che­rungs­prämien steht. Die mit dem Abschluss eines Versi­che­rungs­ver­trages verfolgte Zielsetzung der Vermö­gens­bildung darf nicht dadurch teilweise vereitelt werden, dass hohe Abschlusskosten, deren konkrete Berechnung zudem den Versi­che­rungs­nehmern nicht bekannt ist und deren Höhe von ihnen auch nicht beeinflusst werden kann, in den ersten Jahren mit der Prämie so verrechnet werden können, dass der Rückkaufswert in dieser Zeit unver­hält­nismäßig gering ist oder gar gegen Null tendiert.

Fehlen Möglichkeiten der Versi­che­rungs­nehmer, ihre Belange insoweit selbst effektiv zu verfolgen, trifft den Gesetzgeber ein verfas­sungs­recht­licher Schutzauftrag. Diesem Auftrag ist er nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Weder zivilrechtlich noch mit Hilfe des Aufsichtsrechts konnte der Versi­che­rungs­nehmer nach dem für den Versi­che­rungs­vertrag des Beschwer­de­führers maßgebenden Recht eine angemessene Berück­sich­tigung seiner Belange erwirken. Die Zivilgerichte verwiesen auf die öffent­lich­rechtliche Genehmigung des Geschäftsplans und nahmen insoweit eine eigene inhaltliche Prüfung nicht vor. Eine Kompensation dieses Rechts­schutz­de­fizits durch das Versi­che­rungs­auf­sichtsrecht fand nicht statt. Die Aufsichts­behörde beschränkte sich grundsätzlich auf eine – nicht auf das einzelne Versi­che­rungs­ver­trags­ver­hältnis bezogene – Missbrauchs­aufsicht.

2. Für die aktuell geltende Rechtslage hat sich allerdings dadurch eine Änderung ergeben, dass der Bundes­ge­richtshof mit Urteil vom 12. Oktober 2005 im Wege der ergänzenden Vertrags­aus­legung Grenzen der Verrechung der Abschlusskosten bei vorzeitiger Vertrags­auf­lösung festgelegt hat. Er hat damit eine zivilrechtliche Lösung bereitgestellt, die auch Rechtsschutz im Rahmen der Zivil­ge­richts­barkeit ermöglicht. Nach dieser Rechtslage verbleibt es zwar grundsätzlich bei der Verrechnung der geleisteten einmaligen Abschlusskosten nach dem Zillme­rungs­ver­fahren. Für den Fall der vorzeitigen Beendigung der Beitragszahlung ist jedenfalls die versprochene Leistung geschuldet; der vereinbarte Beitrag der beitragsfreien Versi­che­rungssumme und des Rückkaufswertes darf aber einen vom Bundes­ge­richtshof näher umschriebenen Mindestbetrag nicht unterschreiten.

Aufgrund dieser Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs sowie aufgrund der Urteile des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 26. Juli 2005 haben die in der Verfas­sungs­be­schwerde aufgeworfenen Rechtsfragen keine grundsätzliche verfas­sungs­rechtliche Bedeutung mehr. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2007 eine mit den grund­recht­lichen Vorgaben vereinbare Regelung des Rechts der Lebens­ver­si­cherung zu treffen. Es ist zu erwarten, dass die vom Gesetzgeber zu schaffende Lösung auch Sicherungen für größere Transparenz enthalten und Auswirkungen auf die Be- und Verrechnung von Abschlusskosten haben wird.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 16/06 des BVerfG vom 07.03.2006

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