23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.06.2016

Verfassungs­beschwerde gegen Einführung des "Bestel­ler­prinzips" bei Makler­pro­vi­sionen für Wohnraum­miet­verträge unzulässigEinschränkung der Berufsfreiheit verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass die mit dem Mietrechts­novellierungs­gesetz vorgenommene Normierung des Bestel­ler­prinzips für Wohnungs­vermittlungen, das Maklern den Erhalt einer Provision von Mietin­ter­es­sierten weitgehend verstellt, den verfassungs­rechtlichen Anforderungen genügt. Der Gesetzgeber bringt die sich gegen­über­ste­henden Interessen von Wohnungs­su­chenden und Wohnungs­ver­mittlern in einen Ausgleich, der Verhältnis­mäßigkeits­anforderungen gerecht wird. Mit der Verfassungs­beschwerde gegen das Mietrechts­novellierungs­gesetz hatten zwei Immobi­li­en­makler die Bedrohung ihrer wirtschaft­lichen Existenz und ein Wohnungsmieter die Verletzung seines Rechts auf Vertrags­freiheit gerügt.

Der Gesetzgeber hat durch das Mietrechts­no­vel­lie­rungs­gesetz vom 21. April 2015 das Bestellerprinzip bei der Wohnungs­ver­mittlung eingeführt. Danach darf ein Wohnungs­ver­mittler für die Vermittlung oder den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss von Mietverträgen über Wohnräume vom Wohnungs­su­chenden kein Entgelt fordern, sich versprechen lassen oder annehmen, es sei denn, der Wohnungs­ver­mittler holt ausschließlich wegen des Vermitt­lungs­vertrags mit dem Wohnungs­su­chenden vom Vermieter den Auftrag ein, die Wohnung anzubieten. Auch Vereinbarungen, durch die Wohnungsuchende verpflichtet werden, ein vom Vermieter oder einem Dritten geschuldetes Vermitt­lungs­entgelt zu zahlen, sind unwirksam. Verstöße können mit Bußgeldern bis zu 25.000 Euro gegenüber dem Wohnungs­ver­mittler verfolgt werden.

Hierdurch soll gewährleistet werden, dass diejenige Partei, in deren wirtschaft­lichem Interesse der Wohnungs­ver­mittler vorwiegend tätig wird, auch dessen Vertragspartner im rechtlichen Sinne wird und bleibt.

Immobi­li­en­makler rügen Verletzung ihrer Berufsfreiheit

Die Beschwer­de­führer zu 1) und 2) sind Immobi­li­en­makler und rügen mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde im Wesentlichen eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Der Beschwer­de­führer zu 3) ist Wohnungsmieter und rügt im Wesentlichen die Verletzung seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Vertrags­freiheit.

Makler dürfen Verfas­sungs­be­schwerde unmittelbar gegen gesetzliche Bestimmungen richten

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die Verfas­sungs­be­schwerde des Beschwer­de­führers zu 3) unzulässig ist. Die Verfas­sungs­be­schwerde der Beschwer­de­führer zu 1) und 2) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Beschwer­de­führer zu 1) und 2) können ihre Verfas­sungs­be­schwerde unmittelbar gegen die gesetzlichen Bestimmungen richten, weil sie als Immobi­li­en­makler durch die Neuregelung unmittelbar betroffen sind. Ohne dass hierfür noch ein besonderer Vollziehungsakt erforderlich ist, können sie nicht mehr in der bisher üblichen, nach Form und Inhalt freien vertraglichen Gestaltung ein Vermitt­lungs­entgelt von Wohnungs­su­chenden verlangen.

Regelung soll sozialen oder wirtschaft­lichen Ungleich­ge­wichten entgegenwirken

Die angegriffenen Regelungen beschränken zwar die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Beschwer­de­führer zu 1) und 2); dies ist aber verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber darf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, ein Entgelt für berufliche Leistungen einzel­ver­traglich zu vereinbaren, durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzen, um sozialen oder wirtschaft­lichen Ungleich­ge­wichten entge­gen­zu­wirken. Wie auch bei sonstigen privat­recht­lichen Regelungen, die der freien Vertrags­ge­staltung Grenzen setzen, geht es um den Ausgleich wider­strei­tender Interessen, bei dem die Freiheit der einen mit der Freiheit der anderen in Einklang zu bringen ist. Für die Herstellung eines solchen Ausgleichs verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Beurteilungs- und Gestal­tungs­spielraum. Eine Grund­rechts­ver­letzung kann in einer solchen Lage nur festgestellt werden, wenn eine Grund­rechts­po­sition den Interessen des anderen Vertrags­partners in einer Weise untergeordnet wird, dass in Anbetracht der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts von einem angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann.

Bestel­ler­prinzip wird Verhält­nis­mä­ßig­keits­an­for­de­rungen gerecht

Daran gemessen genügt die Normierung des Bestel­ler­prinzips den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen. Sie bringt die sich gegen­über­ste­henden Interessen in einen Ausgleich, der Verhält­nis­mä­ßig­keits­an­for­de­rungen gerecht wird, insbesondere der dem Gesetzgeber zustehenden sozial­staat­lichen Gestal­tungs­be­fugnis entspricht. Er hat nachvollziehbar festgestellt, dass auf dem Mietwoh­nungsmarkt zu Lasten der Wohnungs­su­chenden soziale und wirtschaftliche Ungleich­ge­wichte bestehen und eine Regelung getroffen, die einen angemessenen Ausgleich schaffen soll. Dieser Ausgleich ist durch das legitime Ziel des Verbrau­cher­schutzes sozialstaatlich gerechtfertigt, um zu verhindern, dass die Wohnungs­su­chenden Kosten tragen müssen, die vorrangig im Interesse des Vermieters entstanden sind.

Möglicher Ausschluss einer Mehrfach­be­auf­tragung bleibt grundsätzlich Klärung durch Fachgerichte überlassen

Ob aufgrund der gesetzlichen Regelung Provi­si­ons­ansprüche gegen Wohnungs­su­chende auch in den - vom Bundesrat im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren proble­ma­ti­sierten - Fällen der Mehrfach­be­auf­tragung und der Vorbefassung des Maklers ausgeschlossen sind, bleibt grundsätzlich einer Klärung durch die fachge­richtliche Rechtsprechung überlassen. Selbst bei weiter Auslegung im Sinne eines umfassenden Ausschließ­lich­keits­prinzips, das mit einer am tiefsten greifende Beein­träch­tigung der Berufsfreiheit verbunden ist, lässt sich ein Verfas­sungs­verstoß nicht feststellen; deswegen ist jedenfalls eine restriktive verfas­sungs­konforme Auslegung nicht geboten.

Wohnungs­ver­mittler werden durch Bestel­ler­prinzip nicht zu grundlegender Veränderung ihrer geschäftlichen Aktivitäten gezwungen

Die angegriffenen Regelungen führen zu einem angemessenen Ausgleich wider­strei­tender Interessen. Die Wohnungs­ver­mittler werden nicht zu einer grundlegenden Veränderung ihrer geschäftlichen Aktivitäten und Angebote in der Weise gezwungen, dass sie die berufliche Tätigkeit, die bisher ihre Lebensgrundlage bildete, völlig aufgeben und sich eine ganz neue berufliche Existenz aufbauen müssten. Da provi­si­ons­pflichtige Aufträge zur Wohnungs­ver­mittlung weiterhin möglich sind, können Makler auf diesem Geschäftsfeld tätig bleiben.

Berufs­aus­übungs­freiheit steht gleichfalls berechtigten Interessen wirtschaftlich schwächerer Wohnungs­su­chender gegenüber

Den grundrechtlich geschützten Interessen der Beschwer­de­führer zu 1) und 2) an der freien Berufsausübung stehen die gleichfalls berechtigten Interessen der Wohnungs­su­chenden gegenüber. Durch die gesetzliche Regelung des Bestel­ler­prinzips sollen für sie Hindernisse bei einer Anmietung von Wohnräumen beseitigt werden. Ziel ist es, eine Überforderung - insbesondere wirtschaftlich schwächerer - Wohnungs­su­chender zu vermeiden. Dies und der Schutz vor Nachteilen aufgrund der Nachfra­ge­si­tuation auf dem Wohnungsmarkt rechtfertigen es zudem, auf Seiten der Wohnungs­su­chenden das Sozial­staats­prinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) in die Abwägung einzubeziehen.

Einnah­me­einbußen der Wohnungs­ver­mittler stehen Angemessenheit der rechtlichen Regelung nicht entgegen

Unter Berück­sich­tigung des weiten Beurteilungs- und Gestal­tungs­spielraums, über den der Gesetzgeber hier verfügt, wird das Ziel eines angemessenen Ausgleichs nicht verfehlt. Der Gesetzgeber trägt einem Ungleichgewicht Rechnung, das durch ein gegenüber dem Bedarf knappes Angebot an Mietwohnungen entsteht. Hierzu hat er mit der Belastung der Wohnungs­su­chenden durch Maklercourtage einen nicht unwesentlichen Kostenfaktor aufgegriffen und eine Regelung geschaffen, die diese Kosten den Vermietern als denjenigen zuweist, in deren Interesse die Aufwendungen typischerweise entstehen. Seine Entscheidung, hierfür als Mittel eine Einschränkung der vertraglichen Möglichkeiten und damit der Berufsfreiheit der Wohnungs­ver­mittler zu wählen, bewegt sich innerhalb des weiten Gestal­tungs­spielraums des Gesetzgebers. Dass der Ausgleich zwangsläufig mit Einnah­me­einbußen der Wohnungs­ver­mittler einhergeht, steht insgesamt der Angemessenheit der gewählten Lösung nicht entgegen; denn diese Belastung ist dadurch gerechtfertigt, dass Wohnungs­ver­mittler - weil sie im Interesse der Vermieter beauftragt werden - mit Provi­si­ons­for­de­rungen an diese verwiesen werden dürfen.

Für eine Verletzung anderer Grundrechte durch die Einführung des Bestel­ler­prinzips ist nichts ersichtlich. Insbesondere haben die Beschwer­de­führer zu 1) und 2) keine eigentumsfähige Position geltend gemacht, die dem Schutz des Art. 14 GG unterfallen könnte.

Textfor­m­er­for­dernis für Wohnungs­ver­mitt­lungs­verträge nicht zu beanstanden

Auch das gleichzeitig eingeführte Textfor­m­er­for­dernis für Wohnungs­ver­mitt­lungs­verträge (§ 2 Abs. 1 Satz 2 WoVermRG) verletzt die Beschwer­de­führer zu 1) und 2) nicht in ihrer Berufsfreiheit. Das Textfor­m­er­for­dernis dient dem legitimen Zweck, die Beteiligten zuverlässig über den Inhalt und die rechtlichen Folgen ihrer Erklärungen zu informieren und hiermit Rechts­si­cherheit und Rechtsklarheit zu fördern. Zur Erreichung dieses Zwecks ist die Textform nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch angemessen. Die textliche Dokumentation verdeutlicht die Tatsache einer vertraglichen Verpflichtung und kann zugleich Beweis­schwie­rig­keiten hinsichtlich des Zustandekommens wie hinsichtlich der Person des Verpflichteten entgegenwirken.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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