15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.11.2008

Bundes­ver­fas­sungs­gericht hebt Verbot der Demonstration vom 8. November 2008 in Aachen auf

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die für den 8. November 2008 angemeldete Demonstration "Gegen einseitige Vergan­gen­heits­be­wäl­tigung! Gedenkt der deutschen Opfer!" unter Auflagen ermöglicht. Die einstweilige Anordnung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts erging auf Antrag des Veranstalters gegen eine Eilentscheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts Münster, das ein komplettes Versamm­lungs­verbot des Polizei­prä­si­denten Aachen bestätigt hatte. Das Oberver­wal­tungs­gericht Münster hatte eine Eilentscheidung des Verwal­tungs­ge­richts Aachen aufgehoben, die die Demonstration zugunsten der Versamm­lungs­freiheit mit der Maßgabe für zulässig gehalten hatte, dass der Veranstalter der Versammlung, der ein natio­nal­so­zi­a­lis­tisches Weltbild vertritt und propagiert, nicht selbst als Redner und als Versamm­lungs­leiter auftritt. Dem Antrag des Veranstalters, die Versammlung nach der Maßgabe dieser Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts Aachen zu ermöglichen, hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entsprochen.

Die Versammlung konnte nicht aus Gründen der "öffentlichen Ordnung" verboten werden. Die Demonstration sollte in der zeitlichen Nähe des 9. November 2008, des 70. Jahrestag der Novemberpogrome des Jahres 1938, aber nicht genau an diesem Tag durchgeführt werden. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat bereits mehrfach entschieden, dass die öffentliche Ordnung verletzt sein kann, wenn Recht­s­ex­tre­misten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Natio­nal­so­zi­a­lismus und den Holocaust dienenden Gedenktag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beein­träch­tigten. Es hat jedoch im Hinblick auf das Grundrecht der Versamm­lungs­freiheit stets klargestellt, dass aus der bloßen zeitlichen Nähe des Zeitpunkts der Versammlung zu einem solchen Gedenktag allein eine solche provokative Wirkung nicht abgeleitet werden kann.

Auch Gründe der "öffentlichen Sicherheit" konnten ein Versamm­lungs­verbot als schwersten Eingriff in das Grundrecht der Versamm­lungs­freiheit nicht rechtfertigen. Erforderlich ist nämlich stets eine auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende Gefah­ren­prognose. Hier lagen für ein Versamm­lungs­verbot keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor:

Die strafrechtlich relevanten Vorkommnisse bei früheren Versammlungen waren keine hinreichend konkrete Tatsa­chen­grundlage für die Erwartung strafbarer Volksverhetzung auch bei der Demonstration am 8. November 2008 und damit der Verletzung der öffentlichen Sicherheit. Jedenfalls hat das Oberver­wal­tungs­gericht nicht hinreichend begründet, warum die Auflage, dass der Veranstalter nicht als Redner und Versamm­lungs­leiter auftritt, zur Verhütung solcher Straftaten nicht ausreichen sollte. Auch wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Veranstalter bei einer Vielzahl von unter natio­na­lis­tischen Mottos stehenden Versammlungen als Redner aufgetreten ist, ohne Straftaten zu begehen.

Auch das Motto und das Datum der Demonstration vom 8. November 2008 begründeten keinen ausreichenden Anhaltspunkt für die Annahme einer Begehung von Straftaten. Zwar lag die Annahme nahe, dass die zeitliche Nähe zum 9. November hier bewusst und auch gerade im Hinblick auf den 70. Jahrestag der Novemberpogrome des Jahres 1938 gewählt wurde. Auch mag das Motto im zeitlichen Zusammenhang mit dem 9. November aus Sicht einer in der Öffentlichkeit lange errungenen Geschichts­deutung als moralisch verwerflich gelten. Meinung­s­äu­ße­rungen sind aber unabhängig von ihrer inhaltlichen "Richtigkeit" oder ihrem ethischen Wert grundrechtlich geschützt. Nicht tragfähig begründet erschien deshalb die Entscheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts zu der Frage, inwiefern Motto und Datum der Versammlung eine Billigung und Verharmlosung der Angriffe auf die jüdische Bevölkerung am 9. November 1938 entnommen werden kann. Dabei war zu berücksichtigen, dass diese Angriffe durch Motto und Datum der Veranstaltung nicht ausdrücklich bewertet worden sind und mit der ausdrücklichen Ablehnung einer "einseitigen" Vergan­gen­heits­be­wäl­tigung einer beide Seiten in den Blick nehmenden Geschichts­be­trachtung das Wort geredet wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Veranstalter weithin als Anhänger Adolf Hitlers bekannt ist, weil diese subjektive Einstellung im konkreten Fall mit dem Motto gerade nicht kundgegeben worden ist. Da das Recht nur äußere Gefolgschaft verlangt, können Ermächtigungen zur Beschränkung grund­recht­licher Freiheiten nicht an die Gesinnung als solche, sondern stets nur an Gefahren anknüpfen, die aus konkreten Handlungen folgen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 101/08 des BVerfG vom 02.12.2008

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