23.11.2024
23.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 31824

Drucken
Beschluss29.04.2022Bundesverfassungsgericht1 BvL 2/17, 1 BvL 6/17, 1 BvL 5/17, 1 BvL 4/17 und 1 BvL 3/17
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss29.04.2022

Vorlagen zum Berliner Zweck­entfremdungs­verbot-Gesetz unzulässigWeder eine mögliche Verfas­sungs­wid­rigkeit des Zweck­entfremdungs­verbots noch die Entschei­dungs­er­heb­lichkeit der Vorlagefrage wurden hinreichend dargelegt

Das Bundes­verfassungs­gericht entschieden, dass mehrere Vorlagen des Ober­verwaltungs­gerichts Berlin-Brandenburg unzulässig sind. Die Vorla­ge­ver­fahren betreffen die Anwendung des Gesetzes über das Verbot der Zweck­ent­fremdung von Wohnraum des Landes Berlin vom 29. November 2013 (Zweck­entfremdungs­verbot-Gesetz – ZwVbG) auf Wohnraum, der bereits vor Erlass des Gesetzes zur Vermietung als Ferienwohnung genutzt wurde. Das Zweck­entfremdungs­verbots-Gesetz stellt eine solche Nutzung von Wohnraum grundsätzlich unter den Vorbehalt einer Genehmigung.

Nach § 1 Abs. 1 ZwVbG darf, soweit die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, Wohnraum im Land Berlin nur mit Genehmigung des zuständigen Bezirksamts zweckentfremdet werden. Eine solche Zweckentfremdung liegt insbesondere dann vor, wenn Wohnraum als Ferienwohnung vermietet wird. Wohnraum im Sinne des Gesetzes sind nach § 1 Abs. 3 ZwVbG alle Räumlichkeiten, die zur dauernden Wohnnutzung tatsächlich und rechtlich geeignet sind. Die aufgrund von § 1 Abs. 2 Satz 1 ZwVbG erlassene Verordnung über das Verbot der Zweck­ent­fremdung von Wohnraum vom 4. März 2014 (Zweck­ent­frem­dungs­verbots-Verordnung – ZwVbVO) stellt fest, dass die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen im gesamten Berliner Stadtgebiet besonders gefährdet ist.

Negativattests für bereits vor Inkrafttreten des Zweck­ent­frem­dungs­verbot-Gesetzes genutzte Ferienwohnungen begehrt

Die Kläger der Ausgangs­ver­fahren vermieten als Eigentümer beziehungsweise Mieter in der Innenstadt von Berlin belegene, zu Wohnzwecken errichtete Räumlichkeiten als Ferienwohnungen; zum Teil erfolgt die Vermietung gewerblich. Alle Kläger wollen diese – jeweils vor Inkrafttreten des Zweck­ent­frem­dungs­verbot-Gesetzes begonnene – Nutzung fortsetzen. Sie beantragten daher beim beklagten Land Berlin jeweils die Erteilung eines Negativattests nach § 5 ZwVbVO, dass für die jeweilige Nutzung der Räumlichkeiten als Ferienwohnung keine Genehmigung erforderlich ist. Das beklagte Land lehnte die Anträge ab. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben vor dem Verwal­tungs­gericht ohne Erfolg. Dagegen legten die Kläger jeweils Berufung ein. Das Oberver­wal­tungs­gericht hat die Berufungs­ver­fahren ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 1 Abs. 3 ZwVbG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als danach auch Räumlichkeiten, die zur dauernden Wohnnutzung tatsächlich und rechtlich geeignet sind, aber im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zu anderen Zwecken bestimmt waren oder genutzt wurden, dem Zweck­ent­frem­dungs­verbot unterfallen. Zur Begründung führt es aus, die vorgelegte Vorschrift sei, soweit sie Rückwirkung entfalte, mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar.

BVerfG: Vorlage des OVG unzureichend

Das BVerfG hat die Vorlagen mangels hinreichender Begründung für unzulässig erachtet. Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Das vorlegende Gericht muss gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen. Um die Entschei­dungs­er­heb­lichkeit darzulegen, muss das vorlegende Gericht verdeutlichen, dass sich die Beantwortung der gestellten Verfas­sungsfrage als unerlässlich darstellt, damit es das Ausgangs­ver­fahren fortführen und abschließend entscheiden kann. Der Vorla­ge­be­schluss muss daher mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass und weshalb das Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfas­sungs­widrig gehaltenen Rechts­vor­schrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit. Gemessen daran hat das Oberver­wal­tungs­gericht seine Überzeugung von der Verfas­sungs­wid­rigkeit des § 1 Abs. 3 ZwVbG nicht hinreichend dargelegt. Es fehlt an der hinreichenden Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Das Oberver­wal­tungs­gericht geht davon aus, dass es sich bei Baurecht und Zweck­ent­frem­dungsrecht um zwei unter­schiedliche „Rechtskreise“ handele. Dies mag fachrechtlich zutreffen. Der hieraus vom Oberver­wal­tungs­gericht gezogene Schluss, die durch § 1 Abs. 3 Satz 1 ZwVbG bewirkte tatbestandliche Rückanknüpfung beseitige bisher bestehende, durch die Eigen­tums­ga­rantie geschützte Rechts­po­si­tionen, zeigt jedoch das Vorliegen eines Eingriffs in Art. 14 Abs. 1 GG nicht hinreichend auf. Das vorlegende Gericht übergeht, dass verfas­sungs­rechtlich die Nutzungs­be­fugnisse des Grund­ei­gen­tümers durch baurechtliche Vorgaben determiniert sind. Es verhält sich nicht dazu, ob und inwieweit die Nutzung baulicher Anlagen zur Vermietung als Ferienwohnung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zweck­ent­frem­dungs­verbot-Gesetzes nach dem historisch jeweils einschlägigen Baupla­nungsrecht in Berlin überhaupt zulässig und damit durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt war. Das vorlegende Gericht hat auch eine Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht hinreichend dargelegt. Das vorlegende Gericht verweist lediglich auf seine Ausführungen zu Art. 14 Abs. 1 GG, was nicht ausreicht. Im Hinblick auf das allgemeine Vertrau­ens­schutzgebot hat das vorlegende Gericht seine Überzeugung von der Verfas­sungs­wid­rigkeit des § 1 Abs. 3 ZwVbG ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Denn auch das allgemeine Vertrau­ens­schutzgebot schützt nur vor Regelungen, die im Vergleich zum bislang bestehenden Recht belastendere Rechtsfolgen zeitigen, was bei einer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 1 Abs. 3 ZwVbG baupla­nungs­rechtlich unzulässigen Nutzung baulicher Anlagen zur Vermietung als Ferienwohnung nicht gegeben wäre. Das vorlegende Gericht hat auch die Entschei­dungs­er­heb­lichkeit der Vorlagefrage nicht in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügenden Weise dargelegt. Es hat nicht aufgezeigt, dass die Ausgangs­ver­fahren Anlass geben, die Verfas­sungs­mä­ßigkeit des § 1 Abs. 3 ZwVbG zu untersuchen. Es fehlt an der Darlegung einer möglichen Verletzung der Kläger des Ausgangs­ver­fahren in ihren Grundrechten. Für die Beurteilung einer möglichen Verletzung von Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG sowie im Rahmen des allgemeinen Vertrau­ens­schutz­gebots kommt es maßgeblich darauf an, ob die Nutzung der betroffenen Räumlichkeiten zur Vermietung als Ferienwohnung nach dem im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes geltenden Baurecht erlaubt war. Die Darlegungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts schließen nicht aus, dass die Nutzung als Ferienwohnung bereits baupla­nungs­rechtlich unzulässig, also nicht einmal geneh­mi­gungsfähig war und ihr daher insoweit kein Bestandsschutz zukam. Dann bedeutete das Zweck­ent­frem­dungs­verbot aber keine Inhalts- und Schran­ken­be­stimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, weil Inhalt und Schranken der Eigen­tums­nutzung bereits durch das Baupla­nungsrecht bestimmt gewesen wären und eine solche Nutzung untersagt hätten.

Auch keine Ausein­an­der­setzung mit möglicherweise zerstörten Vertrauen

Ungeachtet dessen fehlt es im Hinblick auf die Ausgangs­ver­fahren zum Teil auch an der erforderlichen Ausein­an­der­setzung mit einem möglicherweise zerstörten Vertrauen der Kläger. Selbst wenn § 1 Abs. 3 ZwVbG unechte Rückwirkung entfaltete, wären jedenfalls hinsichtlich derjenigen Ausgangs­ver­fahren, in denen die Räumlichkeiten erst nach Einbringung des Geset­ze­s­entwurfs über das Zweck­ent­frem­dungs­verbot in das Berliner Abgeord­ne­tenhaus zur Vermietung als Ferienwohnung genutzt wurden, für eine Darlegung der Überzeugung von der Verfas­sungs­wid­rigkeit des § 1 Abs. 3 ZwVbG Ausführungen dazu erforderlich gewesen, dass überhaupt noch auf den Bestand der bisherigen Rechtslage vertraut werden durfte.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss31824

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI