15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss15.01.2008

Gewer­be­steu­er­freiheit von Selbständigen und Landwirten und Abfärberegelung sind verfas­sungsgemäß

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte aufgrund einer Vorlage des Nieder­säch­sischen Finanzgerichts über zwei Fragen im Zusammenhang mit der Gewerbesteuer zu entscheiden und kam zu folgendem Ergebnis: Es ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar, dass die Einkünfte der freien Berufe, der sonstigen Selbständigen und der Land- und Forstwirte nicht der Gewerbesteuer unterliegen. Es verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz, dass nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Einkom­men­steu­er­gesetz ("Abfärberegelung") die gesamten Einkünfte einer Perso­nen­ge­sell­schaft als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten und damit der Gewerbesteuer unterliegen, wenn die Gesellschaft auch nur teilweise eine gewerbliche Tätigkeit ausübt.

Der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts liegen verschiedene Erwägungen zugrunde.

Gestal­tungs­spielraum des Gesetzgebers

I. Der Gesetzgeber hat bei der Entscheidung darüber, ob die freien Berufe, sonstigen Selbständigen und die Land- und Forstwirte zusammen mit den übrigen Gewer­be­trei­benden zur Gewerbesteuer herangezogen werden sollen, den ihm zustehenden Gestaltungs- und Einschät­zungs­spielraum nicht überschritten. Es gibt nach wie vor hinreichend tragfähige Gründe für eine Differenzierung.

1. Die Nicht­ein­be­ziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer spiegelt eine mittlerweile über 70 Jahre währende Rechtstradition wider. An dieser über einen so langen Zeitraum tradierten Differenzierung zwischen Gewer­be­trei­benden und freien Berufen darf der Gesetzgeber so lange festhalten, bis offen zutage tritt, dass im Hinblick auf den Steuer­ge­genstand und die wesentlichen Besteu­e­rungs­merkmale keine tragfähigen Unterschiede mehr zwischen diesen Berufsgruppen bestehen. Dies ist indes nicht der Fall. Die im Regelfall akademische oder vergleichbare besondere berufliche Qualifikation oder schöpferische Begabung als Voraussetzung für die Erlernung und Ausübung eines freien Berufs, die besondere Bedeutung der persönlichen, eigen­ver­ant­wort­lichen und fachlich unabhängigen Erbringung der Arbeit, verbunden mit einem häufig höchst­per­sön­lichen Vertrau­ens­ver­hältnis zum Auftraggeber, aber auch die spezifische staatliche, vielfach auch berufsautonome Reglementierung zahlreicher freier Berufe insbesondere im Hinblick auf berufliche Pflichten und Honor­a­r­be­din­gungen lassen bei der gebotenen typisierenden Betrachtung auch heute noch signifikante Unterschiede zwischen freien Berufen und Gewer­be­trei­benden erkennen.

Nichterhebung der Gewerbesteuer bei den freien Berufen ist nicht willkürlich

Diese Unterschiede stehen in einem sachlichen Bezug zu der traditionellen Rechtfertigung der Gewerbesteuer aus dem Äquiva­lenz­prinzip. Danach erweist sich die Herausnahme der freien Berufe aus der Gewerbesteuer nicht als willkürlich. Der Gedanke, dass die Gewerbesteuer einen pauschalen Ausgleich für die besonderen Infra­s­truk­tur­lasten bietet, die durch die Ansiedlung von Gewer­be­be­trieben verursacht werden, hat nach wie vor Bestand. Die Annahme, dass die freien Berufe typischerweise in geringerem Umfang Infra­s­truk­tur­lasten der Gemeinden verursachen als die Gewer­be­trei­benden, liegt nahe. Die Annäherungen im Berufsbild einer Reihe von freien Berufen auf der einen und von Gewer­be­trei­benden auf der anderen Seite ändern nichts an der Berechtigung zur typisierenden Einordnung der freien Berufe als im Regelfall weniger personal- und produk­ti­o­ns­mit­telin­tensiv. Die auf dieser Annahme beruhende Differenzierung rechtfertigt sich vor allem auch vor dem Hintergrund, dass die Freibeträge für die Gewerbeertrag- und bis 1993 für die Gewer­be­ka­pi­tal­steuer mehrfach erhöht worden sind. Dies hat dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren nur noch etwa 30 % der Gewer­be­trei­benden tatsächlich mit Gewerbesteuer belastet wurden. Steuerpflichtig sind danach nicht die kleineren Gewerbebetriebe, die hinsichtlich der Beanspruchung von Infra­s­truk­tur­leis­tungen am ehesten mit den freien Berufen vergleichbar sind, sondern die ertragsstarken und damit regelmäßig die mittleren und größeren Gewerbebetriebe mit einer typischerweise höheren Verursachung von Infra­s­truk­tur­lasten.

2. Die Land- und Forstwirte unterscheiden sich von den Gewer­be­trei­benden wesentlich durch das in der Flächen­ge­bun­denheit ihrer Betriebe zum Ausdruck kommende besondere Gewicht des Produk­ti­o­ns­faktors Boden und die Abhängigkeit ihres Wirtschaft­s­er­folges von den Wetter­be­din­gungen. Außerdem unterliegen sie einer Sonderbelastung im Bereich der Grundsteuer. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat es daher schon bisher als in der Gestal­tungs­freiheit des Gesetzgebers liegend angesehen, die Land- und Forstwirte nicht der Gewerbesteuer zu unterwerfen.

3. Schließlich reduzieren verschiedene Anrechnungs- oder Kompen­sa­ti­o­ns­be­stim­mungen im Einkom­men­steu­errecht, die die "Doppelbelastung" der Gewerbebetriebe mit Einkommen- und Gewerbesteuer mindern oder weitgehend beseitigen sollen, das Gewicht der Ungleichbehandlung zwischen Gewer­be­trei­benden und freien Berufen, sonstigen Selbständigen und Land- und Forstwirten im Ergebnis beträchtlich und schließen damit ebenfalls die Annahme einer willkürlichen Entscheidung des Gesetzgebers aus.

"Abfärberegelung" ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar

II. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG ("Abfärberegelung") ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Die hieraus folgende Ungleich­be­handlung der gemischt tätigen Perso­nen­ge­sell­schaft gegenüber dem Einzel­un­ter­nehmer, der im Gegensatz zur Perso­nen­ge­sell­schaft gleichzeitig mehrere verschiedene Einkunftsarten verwirklichen kann, ist durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt.

Die Regelung verfolgt in erster Linie das Ziel, die Ermittlung der Einkünfte gemischt tätiger Perso­nen­ge­sell­schaften zu vereinfachen, indem sie alle Einkünfte typisierend auf die Einkunftsart gewerblicher Einkünfte konzentriert. Der Einwand, die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Einkünfte und Abgrenzung der Einkunftsarten bestünden in gleicher Weise beim Einzel­un­ter­nehmer, vernachlässigt die Dimension der Probleme bei den Perso­nen­ge­sell­schaften. Im Fall des Einzel­steu­er­pflichtigen geht es um die Abgrenzung mehrerer Einkunftsarten bei einem Steuersubjekt. Bei einer Perso­nen­ge­sell­schaft hingegen ist die Abgrenzung mehrerer Einkunftsarten bei mehreren Steuer­pflichtigen erforderlich, die diese zudem noch in unter­schied­licher Intensität verwirklichen können. Dies eröffnet eine Vielfalt von Kombi­na­ti­o­ns­mög­lich­keiten an Tätigkeiten und Vermö­gen­s­ob­jekten mit Einkunftsarten und Steuer­pflichtigen bei einer Perso­nen­ge­sell­schaft, die die Möglichkeiten eines Einzel­un­ter­nehmers bei weitem übertreffen. Außerdem ist die Einkünf­teer­mittlung bei der Perso­nen­ge­sell­schaft durch eine ganze Reihe von steuerlichen Besonderheiten gekennzeichnet, die beim Einzel­un­ter­nehmer fehlen. Angesichts dieser Schwierigkeiten ist es von Verfassung wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber bei den Perso­nen­ge­sell­schaften ein gewichtiges Verein­fa­chungs­be­dürfnis im Hinblick auf die Ermittlung der Einkünfte gesehen hat.

Ein weiterer legitimer Zweck der Regelung besteht in der Sicherung des Gewer­be­steu­er­auf­kommens. Die Abfärberegelung soll verhindern, dass infolge unzureichender Abgren­zungs­mög­lich­keiten zwischen verschiedenen Tätigkeiten einer Gesellschaft gewerbliche Einkünfte der Gewerbesteuer entzogen werden.

Die mit der Typisierung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG für die Perso­nen­ge­sell­schaften verbundenen Nachteile stehen in einem vertretbaren Verhältnis zu den mit der Regelung verfolgten Zielen. Das Gewicht der mit ihr einhergehenden Ungleich­be­handlung der Perso­nen­ge­sell­schaften ist zwar erheblich. Die Belastung wird allerdings vor allem durch die Möglichkeit gemildert, der Abfärberegelung durch gesell­schafts­rechtliche Gestaltung auszuweichen, die mit keinen nennenswerten Belastungen oder Risiken verbunden ist.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 58/08 des BVerfG vom 28.05.2008

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