18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen einen Schreibtisch mit einem Tablet, einer Kaffeetasse und einem Urteil.

Dokument-Nr. 511

Drucken
Urteil11.02.2005Bundesverfassungsgericht1 BVR 276/05
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • AnwBl 2005, 578Zeitschrift: Anwaltsblatt (AnwBl), Jahrgang: 2005, Seite: 578
  • NJW 2005, 1418Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2005, Seite: 1418
  • NVwZ 2005, 1057Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 2005, Seite: 1057
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Urteil11.02.2005

Vor dem Widerruf der Zulassung sind mildere anwaltsgerichte Maßnahmen zu pürfen

Die Verfas­sung­be­schwerde eines Anwalts gegen den Widerruf seiner Zulassung hatte Erfolg. Zuvor hatte der Bundes­ge­richtshof, Senat für Anwaltssachen Urteil vom 02.12.2004) den Widerruf der Zulassung bestätigt.

Grund für den Widerruf der Zulassung war der Verstoß des Anwalts gegen die Kanzleipflicht. Der Widerruf der Rechts­an­walts­zu­lassung stelle einen Eingriff in die Berufsfreiheit dar und müsse daher strengen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen genügen, so das Bundes­ver­fas­sungs­gericht. Der Widerruf dürfe daher nicht undifferenziert bei jedem Verstoß gegen die mit der Kanzleipflicht verbundenen Obliegenheiten eines Rechtsanwalts erfolgen.

Vor dem Widerruf der Zulassung sei die Möglichkeit milderer anwalts­ge­richt­licher Maßnahmen zu prüfen. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat hierzu folgende Stellungnahme veröffentlicht:

Erläuterungen
Stellungnahme Nr. 38/2005 des DAV (Juni 2005)

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist nach Auffassung des Verfas­sungs­rechts­aus­schusses des DAV begründet.

1. Die Regelung über die Kanzleipflicht (§ 27 Abs. 1 BRAO) ist ein Eingriff in die freie Berufsausübung und muss deshalb mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls begründet werden können. Das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel muss ferner geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Auch muss bei Gesamtabwägung zwischen Eingriffs­schwere und dem Gewicht der recht­fer­ti­genden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein.

BVerfGE 72, 26, 30ff. hat die Kanzleipflicht zutreffend unter Hinweis auf die Befrei­ungs­mög­lichkeit nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BRAO u.a. deshalb als verfas­sungsgemäß erachtet, weil Gerichte und Behörden wegen der vielfältigen Kontakte, die sich im Laufe von Verfahren ergeben, den Ort der Berufstätigkeit wissen müssten. Die Anbringung eines Praxisschildes sowie die Installation eines Telefo­n­an­schlusses seien mit keinen Schwierigkeiten verbunden und belasteten den Anwalt in aller Regel nur unerheblich (a.a.O., S. 32).

2. Die Kanzleipflicht schränkt zwar nur die Berufsausübung ein; in Verbindung mit der gesetzlich vorgesehenen Sanktion kann sie sich aber als Eingriff in die Freiheit der Berufswahl auswirken und unterliegt in-soweit strengeren verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen. Macht die Justiz­ver­waltung von der Möglichkeit zum Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 35 Abs. 1 BRAO Gebrauch, erlischt nämlich die Befugnis zur Führung der Berufs­be­zeichnung (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BRAO) und erfolgt die Löschung aus der Liste der Rechtsanwälte (§§ 32, 36 BRAO).

Mit der Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit und dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz ist es daher nicht vereinbar, die Regelung über den Zulas­sungs­wi­derruf undifferenziert bei jedem - auch schon geringen - Verstoß gegen die Kanzleipflicht anzuwenden. Die Zulassung darf daher nur widerrufen werden, wenn der Rechtsanwalt überhaupt keine Kanzlei im Bezirk seiner Zulassung unterhalten hat oder diese gänzlich unkenntlich und unauffindbar gewesen ist. Sie ist auch dann zu widerrufen, wenn er sich beharrlich geweigert hat, ein Praxisschild anzubringen und sich von dieser Weigerung nicht durch mildere standes­rechtliche Maßnahmen (§ 114 Abs. 1 Nr. 1-3 BRAO) hat abbringen lassen (BVerfGE 72, 26, 33).

3. Die Grenze eines Verhaltens, das einen Zulas­sungs­wi­derruf rechtfertigte, ist nach Überzeugung des Verfas­sungs­rechts­aus­schusses noch nicht erreicht. Insofern ist zum einen von Bedeutung, dass der Beschwer­de­führer seinen Kanzleisitz in der Rechts­an­walts­ge­sell­schaft nicht freiwillig aufgegeben hat, sondern ihm der Zutritt zu dieser verwehrt wurde. Damit stellt sich die Frage, ob § 35 Abs. 1 Nr. 5 BRAO solche Fallkon­stel­la­tionen überhaupt erfasst und - bejaht man dies - eine Befreiung von der Kanzleipflicht nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BRAO zur Vermeidung von Härten für die Dauer des arbeits­ge­richt­lichen Verfahrens in Betracht kam. Jedenfalls kann man aus dem Vorbringen des Beschwer­de­führers im Schriftsatz vom 25.09.2002, er unterhalte "subsidiär und vorsorglich" seinen Kanzleisitz an seinem Wohnsitz (vgl. Beschluss des Bayerischen Anwalts­ge­richtshofs, S. 6) schließen, dass er von einem Fortbestehen seines Kanzleisitzes in der Rechts­an­walts­ge­sell­schaft ausging. Folgt man dieser Auffassung nicht, so hätte ein - hier unterbliebener - Hinweis auf die Möglichkeit einer Befreiung bei gleichzeitiger Bestellung eines Zustel­lungs­be­voll­mäch­tigten nach § 30 BRAO nahe gelegen.

Darüber hinaus wurde versäumt, die im Vergleich zum Zulas­sungs­wi­derruf milderen anwalts­ge­richt­lichen Maßnahmen nach § 114 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BRAO zur Durchsetzung der Anbringung eines üblichen Kan-zleischildes und zum Eintrag der Berufs­be­zeichnung im anwaltlichen Fernsprech­ver­zeichnis zu ergreifen. Dabei kann dahinstehen, ob und ggf. in welchem Umfang den Beschwer­de­führer Mitwir­kungs­pflichten für den Nachweis der Ergreifung organi­sa­to­rischer Maßnahmen zur Einrichtung einer Kanzlei treffen, welche die angesichts der Schwere und Intensität des Grund­recht­s­ein­griffs grundsätzlich umfassende Aufklä­rungs­pflicht des Gerichts zur Feststellung aller tatbe­stand­lichen Voraussetzungen des Widerrufs der Anwalts­zu­lassung einschränken. Denn die Auferlegung einer Geldbuße bis zu 25.000,00 € nach § 114 Abs. 1 Nr. 3 BRAO ist ein durchaus gleich geeignetes, aber milderes Mittel, um eine eventuell vorliegende Pflicht­ver­letzung zu ahnden und den Beschwer­de­führer zu berufsrechtlich korrektem Verhalten anzuhalten. Der Beschwer­de­führer hat sich nicht beharrlich geweigert, ein Praxisschild anzubringen und, sofern rechtlich geboten, sich in das amtliche Telefon­ver­zeichnis als Rechtsanwalt eintragen zu lassen.

Soweit der Bundes­ge­richtshof seine Entscheidung auch mit dem nicht gestellten Antrag auf Nutzung­s­än­derung zum Betrieb einer Kanzlei im Wohngebiet begründet hat, überzeugt dies nicht. Denn es wurde in der Begründung der Entscheidung nicht dargelegt, dass dem Beschwer­de­führer die Nutzung der Wohnung als Kanzlei bestandskräftig oder sofort vollziehbar untersagt worden ist.

Quelle: Bericht der ra-online Redaktion

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil511

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI