22.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil18.11.2014

Prä­implantations­diagnostik ist keine Leistung der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherungPID-IVF-Behandlung ist keine Kranken­be­handlung im Sinne der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat entschieden, dass Ehepaar keinen Anspruch auf Koste­n­er­stattung für eine Prä­implantations­diagnostik hat, da es sich bei der Prä­implantations­diagnostik in Kombination mit einer künstlichen Befruchtung um keine Kranken­be­handlung im Sinne der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung handelt

Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls leidet an einem Gendefekt, der eine vererbliche, das Gehirn betreffende Gefäßerkrankung (zerebrale autosomal dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukoen­ze­pha­lo­pathie -CADASIL-) mit schweren Verläufen bis hin zur Demenz verursacht. Er und seine Ehefrau wollen vermeiden, dass gemeinsame Kinder Träger des Gendefekts werden. Deswegen entschlossen sie sich zur künstlichen Befruchtung (IVF), um vom Gendefekt betroffene Eizellen durch die erst in diesem Stadium mögliche Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik (PID) feststellen zu lassen und vom intrauterinen Embry­o­nen­transfer auszuschließen.

Krankenkasse lehnt Zahlung eines Zuschusses zu kombinierten PID-IVF-Behand­lungs­zyklen ab

Die Krankenkasse lehnte den danach gestellten Antrag des Klägers ab, ihm einen Zuschuss zu kombinierten PID-IVF-Behand­lungs­zyklen in der Klinik der Universität Brüssel zu gewähren. Zwei dort nachfolgend durchgeführten PID-IVF-Behand­lungs­zyklen, die von weiteren Behand­lungs­maß­nahmen in Deutschland begleitet wurden, blieben erfolglos.

Vorinstanzen verneinen Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch

Das Sozialgericht hat die zuletzt auf Erstattung von 21.578,73 Euro Behand­lungs­kosten und Freistellung von Kosten für zwei weitere Behand­lungs­zyklen gerichtete Klage abgewiesen. Das Landes­so­zi­al­gericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erstattung von 478,96 Euro, weil er insoweit eine Entscheidung der Beklagten nicht abgewartet habe. Im Übrigen stehe dem Kläger für die PID-IVF-Versuche kein Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch zu, weil es sich dabei weder um eine Kranken­be­handlung des Klägers (§ 27 SGB V) handele noch die Voraussetzungen für den Anspruch auf künstliche Befruchtung (§ 27 a SGB V) vorlägen.

Kläger hat mangels Ferti­li­sa­ti­o­ns­s­törung bei ihm oder seiner Ehefrau auch keinen (Teil-)Anspruch auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen Die beklagte Krankenkasse und die Vorinstanzen haben zu Recht einen Anspruch des Klägers verneint. Die PID-IVF-Behandlung ist keine Kranken­be­handlung im Sinne der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung (GKV). Durch die PID-IVF soll beim Kläger keine Funkti­o­ns­be­ein­träch­tigung erkannt, geheilt, gelindert oder ihre Verschlimmerung verhütet werden. Die bei ihm vorliegende Erbkrankheit CADASIL wird mit PID-IVF nicht behandelt. Die künstliche Erzeugung von Embryonen und deren Bewertung mittels PID vor der Herbeiführung der Schwangerschaft ermöglicht die Verwerfung solcher Embryonen, die Träger einer schwerwiegenden Erbkrankheit sind. Die PID-IVF dient damit der Vermeidung zukünftigen Leidens eines eigenständigen Lebewesens, nicht aber der Behandlung eines vorhandenen Leidens bei den diese Leistung begehrenden Eltern. Der Kläger hat mangels Ferti­li­sa­ti­o­ns­s­törung bei ihm oder seiner Ehefrau auch keinen (Teil-)Anspruch auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung. Ein weitergehender Anspruch ergibt sich auch nicht aus verfas­sungs­kon­former Auslegung.

Anspruch auf Erstattung für zwei in Belgien durchgeführte PID-IVF-Behand­lungs­zyklen besteht ebenfalls nicht

Der Kläger kann auch Erstattung von 21.099,35 Euro für zwei im Jahr 2012 in Belgien durchgeführte PID-IVF-Behand­lungs­zyklen nicht beanspruchen. Europäisches Gemein­schaftsrecht und deutsches Recht setzen hierfür voraus, dass ein entsprechender Leistungs­an­spruch im Inland bestünde. Daran fehlte es auch deshalb, weil die zwingend erforderliche zustimmende Bewertung einer Ethikkommission nach dem Embry­o­nen­schutz­gesetz erst ab Februar 2014 auf gesetzlicher Grundlage möglich ist. Die Kosten der vor der Leistungs­ab­lehnung im Inland selbst verschafften Maßnahmen (478,96 Euro) beruhen zudem nicht auf der Leistungs­ver­wei­gerung.

Rechts­vor­schriften (Auszug)

Sozial­ge­setzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Kranken­ver­si­cherung - § 13 Absatz 3 Satz 1 Fall 2 (hier anzuwenden in der seit 01.07.2001 geltenden Fassung des Art. 5 Nr. 7 Buchst. b SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046)

Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

§ 13 Absatz 4 und 5 (hier anzuwenden in der seit 29.06.2011 geltenden Fassung des Art. 4 Nr. 3 Gesetz zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze vom 22.06.2011, BGBl I 1202)

1) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungs­er­bringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstat­tungs­ver­zichts nicht der Erstattung. 2) Es dürfen nur solche Leistungs­er­bringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Kranken­ver­si­cherung des Aufent­halts­s­taates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. 3) Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. 4) Die Satzung hat das Verfahren der Koste­n­er­stattung zu regeln. 5) Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstat­tungs­betrag für Verwal­tungs­kosten und fehlende Wirtschaft­lich­keits­prü­fungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. 6) Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

1) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Kranken­haus­leis­tungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. 2) Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl Nr L 166/1 vom 30.04.2004, berichtigt in ABl Nr. L 200/1 vom 07.06.2004)

Art. 20 Abs. 2

1) Ein Versicherter, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, erhält Sachleistungen, die vom Träger des Aufenthaltsorts nach den für ihn geltenden Rechts­vor­schriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob er nach diesen Rechts­vor­schriften versichert wäre.

2) Die Genehmigung wird erteilt, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechts­vor­schriften des Wohnmit­glied­staats der betreffenden Person vorgesehen sind, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesund­heits­zu­stands und des voraus­sicht­lichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann.

Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embry­o­nen­schutz­gesetz)

§ 3 a Absatz 1 bis 3 Embry­o­nen­schutz­gesetz (eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 Gesetz zur Regelung der Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik vom 21.11.2011, BGBl I 2228, mit Wirkung vom 8.12.2011)

Erläuterungen

(1) Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen Transfer genetisch untersucht (Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik), wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2)

1. Besteht auf Grund der genetischen Disposition der Frau, von der die Eizelle stammt, oder des Mannes, von dem die Samenzelle stammt, oder von beiden für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit, handelt nicht rechtswidrig, wer zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik Zellen des Embryos in vitro vor dem intrauterinen Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit genetisch untersucht.

2. Nicht rechtswidrig handelt auch, wer eine Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher Wahrschein­lichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird.

(3) Eine Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik nach Absatz 2 darf nur

1. nach Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen der von der Frau gewünschten genetischen Untersuchung von Zellen der Embryonen, wobei die Aufklärung vor der Einholung der Einwilligung zu erfolgen hat,

2. nachdem eine inter­dis­zi­plinär zusam­men­ge­setzte Ethikkommission an den zugelassenen Zentren für Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik die Einhaltung der Voraussetzungen des Absatzes 2 geprüft und eine zustimmende Bewertung abgegeben hat und

3. durch einen hierfür qualifizierten Arzt in für die Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik zugelassenen Zentren, die über die für die Durchführung der Maßnahmen der Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik notwendigen diagnostischen, medizinischen und technischen Möglichkeiten verfügen,

vorgenommen werden. Die im Rahmen der Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik durchgeführten Maßnahmen, einschließlich der von den Ethik­kom­mis­sionen abgelehnten Fälle, werden von den zugelassenen Zentren an eine Zentralstelle in anonymisierter Form gemeldet und dort dokumentiert. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechts­ver­ordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere

1. zu der Anzahl und den Voraussetzungen für die Zulassung von Zentren, in denen die Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik durchgeführt werden darf, einschließlich der Qualifikation der dort tätigen Ärzte und der Dauer der Zulassung,

2. zur Einrichtung, Zusammensetzung, Verfahrensweise und Finanzierung der Ethik­kom­mis­sionen für Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik,

3. zur Einrichtung und Ausgestaltung der Zentralstelle, der die Dokumentation von im Rahmen der Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik durchgeführten Maßnahmen obliegt,

4. zu den Anforderungen an die Meldung von im Rahmen der Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik durchgeführten Maßnahmen an die Zentralstelle und den Anforderungen an die Dokumentation. Die zum Vollzug der Regelungen des § 3 a Embry­o­nen­schutz­gesetz vorgesehene Rechts­ver­ordnung ist am 01.02.2014 als Verordnung zur Regelung der Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik (vom 21.02.2013, BGBl I 2013, 323) in Kraft getreten.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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