18.10.2024
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Dokument-Nr. 10339

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Urteil30.09.2010BundesgerichtshofXa ZR 130/08
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil21.02.2008, 30 C 3839/06-25
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil30.10.2008, 2-24 S 64/08
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil30.09.2010

BGH: Qualifizierung eines Reisebüros als Reise­ver­an­stalter oder ReisevermittlerReisebüro übernimmt gegenüber Kunden nicht wie Reise­ver­an­stalter Verantwortung für ordnungsgemäße Durchführung einzelner Reiseleistungen

Ein Reisebüro, das einzelne Reiseleistungen verschiedener Leistungs­er­bringer zu einer individuellen zugeschnitten Reise zusammenstellt, ist nicht zwangsläufig auch als Reise­ver­an­stalter anzusehen. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Im hiesigen Fall nahm die Klägerin an einer bei der Rechts­vor­gängerin des beklagten Reisebüros gebuchten kombinierten Flug- und Schiffsreise mit zwei Hotel­auf­ent­halten auf Jamaika teil, die im Reisebüro nach den Wünschen der Klägerin individuell zusam­men­ge­stellt wurde. Bei dieser Reise wurde auf dem Hinflug ihr Koffer nicht mitbefördert. Sie hat ihn erst nach Abschluss der Schiffsreise wieder erhalten. Die Klägerin verlangt von dem beklagten Reisbüro Minderung des Reisepreises, Schadensersatz wegen mangelbedingter Mehrkosten für die Reise sowie Entschädigung für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit.

Berufungs­gericht geht vom Reise­ver­mitt­lungs­vertrag aus

Das Amtsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das Berufungs­gericht hat sie abgewiesen. Es hat angenommen, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten kein Reisevertrag gemäß § 651 a Abs. 1 BGB*, sondern lediglich ein Reise­ver­mitt­lungs­vertrag i.S. des § 675 BGB ** zustande gekommen sei. Das Reisebüro sei nicht als Reiseveranstalter Vertragspartner eines aus mehreren Reiseleistungen zusam­men­ge­setzten Reisevertrags geworden, weil es lediglich die die Reiseleistungen anderer Anbieter für einen Vertragsschluss angeboten habe und hierbei erkennbar nur vermittelnd tätig geworden sei.

Reisebüro übernimmt in der Regel typischerweise lediglich Tätigkeit eines Vermittlers von Reiseleistungen

Der Bundes­ge­richtshof hat das Urteil des Berufungs­ge­richts bestätigt. Nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs gibt es weder einen Erfahrungssatz noch eine gesetzliche Auslegungsregel, wonach ein Reisebüro, das einzelne Reiseleistungen verschiedener Leistungs­er­bringer zu einer individuellen, auf die Wünsche des Kunden zugeschnittene Reise zusammenstellt, zwangsläufig als Reise­ver­an­stalter anzusehen ist. Ein Reisebüro übernimmt in der Regel typischerweise lediglich die Tätigkeit eines Vermittlers von Reiseleistungen. Allein aus dem Angebot mehrerer zeitlich und örtlich aufeinander abgestimmter Reiseleistungen auf Wunsch des Kunden kann nicht geschlossen werden, dass das Reisebüro dem Kunden gegenüber wie ein Reise­ver­an­stalter die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der einzelnen Reiseleistungen übernimmt.

BGH nimmt Bezug auf EuGH-Urteil und sieht aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Pauscha­l­rei­se­richtlinie keine Veranlassung Gerichtshof weitere Fragen vorzulegen

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen. Diese Richtlinie definiert in Art. 2 *** sowohl den Begriff des Veranstalters als auch des Vermittlers von Pauschalreisen. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in der Rechtssache C-400/00 (Club-Tour ./. Garrido) entschieden, dass der Begriff der Pauschalreise im Sinne der Richtlinie auch solche Reisen einschließt, die von einem Reisebüro auf Wunsch und nach den Vorgaben des Verbrauchers organisiert werden. Auch daraus ergibt sich nur, dass ein Reisebüro in diesen Konstellationen Reise­ver­an­stalter sein kann, nicht aber, dass es unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls stets als solcher anzusehen ist. In dem vom EuGH entschiedenen Fall war das vorlegende nationale Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Reisebüro dort als Reise­ver­an­stalter aufgetreten war. Dem EuGH war lediglich die Frage vorgelegt worden, ob es sich um eine Pauschalreise im Sinne der Richtlinie handelte. Auch für den Bundes­ge­richtshof besteht angesichts des eindeutigen Wortlauts der Pauscha­l­rei­se­richtlinie keine Veranlassung, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob ein Reisebüro im Einzelfall als bloßer Reisevermittler einzustufen sein kann.

Erläuterungen
* § 651 a BGB

Vertrags­ty­pische Pflichten beim Reisevertrag

(1) Durch den Reisevertrag wird der Reise­ver­an­stalter verpflichtet, dem Reisenden eine Gesamtheit von Reiseleistungen (Reise) zu erbringen. Der Reisende ist verpflichtet, dem Reise­ver­an­stalter den vereinbarten Reisepreis zu zahlen.

[...]

** § 675 BGB

Entgeltliche Geschäfts­be­sorgung

(1) Auf einen Dienstvertrag oder einen Werkvertrag, der eine Geschäfts­be­sorgung zum Gegenstand hat, finden, soweit in diesem Untertitel nichts Abweichendes bestimmt wird, die Vorschriften der §§ 663, 665 bis 670, 672 bis 674 und, wenn dem Verpflichteten das Recht zusteht, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, auch die Vorschriften des § 671 Abs. 2 entsprechende Anwendung.

(2) Wer einem anderen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt, ist, unbeschadet der sich aus einem Vertrags­ver­hältnis, einer unerlaubten Handlung oder einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung ergebenden Verant­wort­lichkeit, zum Ersatz des aus der Befolgung des Rates oder der Empfehlung entstehenden Schadens nicht verpflichtet.

*** Artikel 2 Pauschalreise-Richtlinie

Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

1. Pauschalreise: die im voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei der folgenden Dienst­leis­tungen, die zu einem Gesamtpreis verkauft oder zum Verkauf angeboten wird, ...

2. Veranstalter: die Person, die nicht nur gelegentlich Pauschalreisen organisiert und sie direkt oder über einen Vermittler verkauft oder zum Verkauf anbietet.

3. Vermittler: die Person, welche die vom Veranstalter zusam­men­ge­stellte Pauschalreise verkauft oder zum Verkauf anbietet.

[...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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