Bundesgerichtshof Urteil29.06.2011
BGH: Kind verliert nicht Ausbildungsunterhaltsanspruch aufgrund verzögerten Beginns einer Ausbildung infolge Schwangerschaft und anschließender KinderbetreuungUnterhaltsberechtigte muss nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes und angemessener Übergangszeit Ausbildung aufnehmen
Ein unterhaltsberechtigtes Kind verliert seinen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt gegenüber seinen Eltern nicht dadurch, dass es aufgrund einer Schwangerschaft und der anschließenden Kinderbetreuung die Erstausbildung verzögert beginnt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Unterhaltsberechtigte seine Ausbildung nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes unter Berücksichtigung einer angemessenen Übergangszeit aufnimmt. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs hervor.
In dem zugrunde liegenden Fall begehrte die Tochter von ihrem Vater Ausbildungsunterhalt wegen der Aufnahme eines Studiums der Sozialpädagogik im Oktober 2006. Der Vater weigerte sich Unterhalt zu zahlen, weil die Tochter seiner Meinung nach schon viel früher mit dem Studium hätte anfangen können. Hintergrund dessen war, dass die Tochter bereits im Jahr 2001 ihr Abitur absolviert hatte. Die verspätete Aufnahme des Studiums war darauf zurückzuführen, dass sie zunächst im Jahr 2002 ein freiwilliges soziales Jahr ableistete und anschließend im Januar 2003 ein Kind geboren hatte. Dieses Kind betreute sie allein bis September 2006. Aufgrund der Weigerung des Vaters Ausbildungsunterhalt zu zahlen, erhob die Tochter Klage.
Amtsgericht wies Klage ab, Oberlandesgericht gab ihr statt
Während das Amtsgericht Bensheim die Klage abwies, gab ihr das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. statt. Der Tochter habe ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt zugestanden. Dieser Anspruch sei nicht dadurch entfallen, dass sie im Anschluss an das Abitur und dem freiwilligen sozialen Jahr über einen Zeitraum von rund 3 ½ Jahren ihr nichteheliches Kind betreut habe. Gegen diese Entscheidung legte der Vater Revision ein.
Bundesgerichtshof bejaht Anspruch auf Ausbildungsunterhalt
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Oberlandesgerichts und wies daher die Revision des Vaters zurück. Der Tochter habe gemäß §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt zugestanden.
Kein Verstoß gegen Erwerbsobliegenheit
Zwar sei es richtig, so der Bundesgerichtshof, dass einem Kind die Obliegenheit treffe, die Ausbildung in angemessener Zeit aufzunehmen. Ein Schulabgänger müsse auf die Belange des Unterhaltspflichtigen Rücksicht nehmen und sich in angemessener Zeit darüber klar werden, welche Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Er müsse sich unter Berücksichtigung einer Orientierungsphase alsbald um einen entsprechenden Ausbildungsplatz bemühen und die Ausbildung zielstrebig angehen. Ein Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit liege aber dann nicht vor, wenn der Unterhaltsberechtigte aufgrund einer Schwangerschaft und der anschließenden Kinderbetreuung die Erstausbildung verzögert beginne. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Unterhaltsberechtigte seine Ausbildung nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes unter Berücksichtigung einer angemessenen Übergangszeit aufnehme. So habe der Fall hier gelegen. Der Tochter sei keine Obliegenheitsverletzung anzulasten gewesen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 29.07.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)