21.11.2024
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Dokument-Nr. 31312

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Beschluss19.01.2022BundesgerichtshofXII ZB 183/21
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Stuttgart, Beschluss30.10.2019, 23 F 642/18
  • Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss30.03.2021, 17 UF 52/20
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss19.01.2022

BGH: Adoptiertes Kind hat Anspruch gegen seine leibliche Mutter auf Auskunft über die Identität des leiblichen VatersAuskunfts­an­spruch nicht ausdrücklich gesetzlich normiert - Auskunfts­an­spruch ergibt sich aus der Auslegung des § 1618 a BGB

Der unter anderem für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat entschieden, dass eine leibliche Mutter auch nach einer Adoption ihrem Kind grundsätzlich zur Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters verpflichtet ist.

Im zugrun­de­lie­genden Fall ging es um eine im Jahr 1984 geborene Antragstellerin, die von ihrer leiblichen Mutter, der Antragsgegnerin, Auskunft über die Person des leiblichen Vaters verlangte. Bei der Geburt war die in problematischen Famili­en­ver­hält­nissen aufgewachsene Antragsgegnerin gerade 16 Jahre alt geworden. Sie hatte die Schwangerschaft erst im siebten Monat bemerkt und die Hauptschule, deren siebte Klasse sie damals besuchte, ohne Schulabschluss verlassen. Nach der Geburt lebte sie mit der Antragstellerin zunächst in einem Mutter-Kind-Heim und später in einer Mädchen-Wohnge­mein­schaft, ehe die Antragstellerin von einem Ehepaar adoptiert wurde. Ein im Jahr 1985 durchgeführtes Vater­schafts­fest­stel­lungs­ver­fahren blieb ebenso erfolglos wie ein außer­ge­richt­licher Vater­schaftstest mit einem weiteren Mann. Ende 2003 kam es auf Vermittlung des Jugendamts zu einem Treffen zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin. Nachdem die Antragstellerin die Antragsgegnerin im März 2018 erfolglos aufgefordert hatte, Namen und Anschrift des leiblichen Vaters zu benennen, hat sie sie nun im gerichtlichen Verfahren diese Auskunft verlangt. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil der Antragsgegnerin die Auskunft­s­er­teilung unmöglich sei. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Oberlan­des­gericht diese Entscheidung abgeändert und die Antragsgegnerin antragsgemäß verpflichtet, der Antragstellerin alle Männer mit vollständigem Namen und Adresse zu benennen, die der Antragsgegnerin in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt haben.

Der Bundes­ge­richtshof hat die dagegen von der Antragsgegnerin eingelegte Rechts­be­schwerde zurückgewiesen.

BGH bestätigt den Auskunfts­an­spruch der Tochter - Anspruch folgt aus des § 1618 a BGB

Anspruchs­grundlage für die begehrte Auskunft ist die Bestimmung des § 1618 a BGB, nach der Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig sind. Auch wenn die Vorschrift keine konkreten Sanktionen bei einem Verstoß vorsieht, können Eltern und Kindern aus ihr wechselseitig Rechtsansprüche erwachsen. Aus dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht folgt die verfas­sungs­rechtliche Verpflichtung des Staates, der Schutz­be­dürf­tigkeit des Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung bei der Ausgestaltung der Rechts­be­zie­hungen zwischen den Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen. Dies ist bei der Auslegung des § 1618 a BGB zu berücksichtigen, zumal der Gesetzgeber einen Auskunftsanspruch nicht ausdrücklich normiert hat. Anders als beim Anspruch des sog. Scheinvaters gegen die Kindesmutter auf Auskunft über die Identität des leiblichen Kindesvaters, für den das Bundes­ver­fas­sungs­gericht einer Herleitung aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Absage erteilt und eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gefordert hat, geht es hier nicht allein um die Durchsetzung finanzieller Interessen. Vielmehr wird mit dem Auskunfts­an­spruch eine Rechtsposition von ganz erheblicher verfas­sungs­recht­licher Bedeutung, nämlich das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, gestärkt.

Dem Anspruch der Tochter steht nicht das Erlöschen des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses aufgrund Adoption entgegen

Dass die Antragsgegnerin wegen der Adoption der Antragstellerin und dem aus § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB folgenden Erlöschen des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses aufgrund Adoption nicht mehr die rechtliche Mutter der Antragstellerin ist, steht dem Anspruch nicht entgegen. Denn das Auskunfts­schuld­ver­hältnis zwischen Kind und Mutter ist vor der Adoption entstanden. Würde man dies anders sehen, würde die Adoption hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu einer nicht gerecht­fer­tigten Schlech­ter­stellung gegenüber Kindern führen, deren rechtliche Eltern-Kind-Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter fortbesteht. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin auch keine erheblichen, gegen ihre Auskunfts­ver­pflichtung sprechenden Abwägungs­ge­sichts­punkte vorgetragen, sondern im Gegenteil zu keinem Zeitpunkt bestritten, dass der Auskunfts­an­spruch der Antragstellerin grundsätzlich besteht. Somit hat sie sich nicht auf konkrete Belange berufen, die mit Blick auf ihr ebenfalls verfas­sungs­rechtlich geschütztes Recht auf Achtung ihrer Privat- und Intimsphäre dazu führen könnten, das Bestehen des Auskunfts­an­spruchs zu verneinen.

Mit der bloßen Mitteilung, sie könne sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern, hat die Antragsgegnerin den Auskunfts­an­spruch nicht erfüllt. Sie hat auch nicht dargelegt, dass ihr eine Erfüllung auch nach Einholung der ihr zumutbaren Erkundigungen unmöglich ist. Das Oberlan­des­gericht hat eine Reihe von möglichen Kontaktpersonen aufgelistet, an die sich die Antragsgegnerin wenden kann, um Hinweise zu potenziellen leiblichen Vätern der Antragstellerin zu erhalten. Diesen Nachfra­gemög­lich­keiten fehlt es weder an der Erfolgsaussicht noch sind sie der Antragsgegnerin unzumutbar.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)

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