24.11.2024
24.11.2024  
Sie sehen eine Reihe mit gelben Aktenordnern, die mit Barcodes markiert sind.

Dokument-Nr. 11075

Drucken
Beschluss08.02.2011BundesgerichtshofX ZB 4/10
Vorinstanz:
  • Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss21.07.2010, VII-Verg 19/10
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss08.02.2011

BGH: S-Bahn-Leistungen in Nordrhein-Westfalen müssen ab 2019 neu ausgeschrieben werdenVerlän­ge­rungs­vertrag mit Deutscher Bahn gerichtlich aufgehoben

Der Bundes­ge­richtshof hat in einem verga­be­recht­lichen Nachprü­fungs­ver­fahren nach dem Gesetz gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen (GWB) den Nachprü­fungs­antrag eines Wettbewerbers der DB Regio NRW GmbH (DB Regio) für begründet erklärt.

2004 hatten der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und DB Regio einen Verkehrsvertrag geschlossen. Dieser Vertrag verpflichtete DB Regio zu Verkehrs­leis­tungen im Schie­nen­per­so­nen­nah­verkehr (SPNV) über anfänglich 44 Millionen Zugkilometer. Im Fahrplanjahr 2003/2004 entfielen davon ca. 26 Millionen Zugkilometer auf Regional-Express- bzw. Regionalbahn-Leistungen und ca. 18 Millionen Zugkilometer auf S-Bahn-Leistungen. Anders als die S-Bahn-Leistungen sollten die RE- und RB-Leistungen während der Vertrags­laufzeit teilweise abgebaut und insoweit jeweils neu im Wettbewerb vergeben werden. Bis Anfang 2009 waren dementsprechend rund 7 Millionen Zugkilometer aus dem Vertrag herausgelöst worden. DB Regio hatte sich im Verkehrsvertrag zur Erneuerung ihres Fahrzeugparks, insbesondere zur Beschaffung von 84 neuen S-Bahn-Zügen verpflichtet, wovon die letzten bis Ende 2010 eingesetzt werden sollten.

NRW erhält für Finanzierung des öffentlichen Perso­nen­nah­verkehrs überwiegend vorgesehene Bundes­zu­wen­dungen

Nach dem Verkehrsvertrag erhält DB Regio die Fahrschei­nerlöse. DB Regio bezieht außerdem über den VRR einen Zuschuss pro gefahrenen Zugkilometer. Die dafür erforderlichen Geldmittel erhält der VRR vom Land Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage des nordrhein-westfälischen Gesetzes über den öffentlichen Perso­nen­nah­verkehr (ÖPNVG NRW). Aufgrund des Regio­na­li­sie­rungs­ge­setzes erhält das Land Nordrhein-Westfalen in diesem Zusammenhang überwiegend für die Finanzierung des öffentlichen Perso­nen­nah­verkehrs vorgesehene Bundes­zu­wen­dungen. Für den Fall, dass sich diese Mittel reduzieren, enthält der Verkehrsvertrag eine Revisi­ons­klausel, nach der der VRR bei entsprechenden Mittelkürzungen eine Anpassung des SPNV-Angebots verlangen kann.

Änderungs­vertrag von VRR und DB Regio beinhaltet weitere Bedienung über das Ende des ursprünglichen Verkehrs­vertrags hinaus bis Dezember 2023 seitens der DB Regio

Nachdem die Mittel für Zuwendungen an die Länder auf der Grundlage des Regio­na­li­sie­rungs­ge­setzes 2006 gekürzt worden waren, entstand zwischen dem VRR und DB Regio Streit über die gegenseitigen Pflichten, die zur Kündigung des Vertrags durch den VRR und zu verwal­tungs­ge­richt­lichen Streitigkeiten, aber auch zu Vergleichs­ver­hand­lungen zwischen den Vertrags­partnern führten. Am 24. November 2009 schlossen der VRR und DB Regio zur Beilegung ihrer Streitigkeiten einen Änderungs­vertrag zum Verkehrsvertrag. Zu den Regelungen dieses Änderungs­vertrags gehört, dass DB Regio weitere neue S-Bahn-Fahrzeuge beschafft und die S-Bahn-Linien S 1 bis S 11 über das Ende des ursprünglichen Verkehrs­vertrags hinaus bis Dezember 2023 bedient.

Wettbewerber hält Übertragung des S-Bahn-Betriebs über den Zeitraum nach Dezember 2018 hinaus für unwirksam

Abellio Rail NRW GmbH (Abellio), ein Tochter­un­ter­nehmen der nieder­län­dischen Staatsbahnen, das an der Übernahme des Betriebs vornehmlich der S-Bahn-Linie 5 ab Dezember 2018 interessiert ist, meint, die Übertragung des S-Bahn-Betriebs über den Zeitraum nach Dezember 2018 hinaus auf DB Regio sei unwirksam, da der Dienst­leis­tungs­auftrag hätte ausgeschrieben werden müssen. Sie hat deshalb bei der Vergabekammer bei der Bezirks­re­gierung Münster ein Nachprü­fungs­ver­fahren eingeleitet. Die Vergabekammer Münster hat den Änderungs­vertrag für unwirksam erklärt.

Regelungen des Allgemeinen Eisen­bahn­ge­setzes haben keinen Vorrang vor Nachprü­fungs­ver­fahren nach dem Gesetz gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen

Der Bundes­ge­richtshof hat die Entscheidung der Vergabekammer bestätigt. Im Vordergrund des Streits stand die Frage, ob die Unwirksamkeit des Änderungs­ver­trages in einem verga­be­recht­lichen Nachprü­fungs­ver­fahren nach dem Gesetz gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen (GWB) überprüft werden kann oder ob § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Eisen­bahn­ge­setzes (AEG)*) als spezielleres Gesetz die Einleitung eines solchen Nachprü­fungs­ver­fahrens im Streitfall ausschließt. Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass § 15 Abs. 2 AEG nicht unter dem Gesichtspunkt der Spezialität Vorrang vor den verga­be­recht­lichen Bestimmungen des GWB genießt, sondern vom GWB als dem jüngeren Gesetz verdrängt wird. Er hat dabei an seine bisherige Rechtsprechung angeknüpft, wonach der Anwen­dungs­bereich der verga­be­recht­lichen Bestimmungen im Gesetz nach Vertragsarten und -gegenständen prinzipiell umfassend bestimmt und der Ausnahmekatalog in § 100 Abs. 2 GWB - unter den der S-Bahn-Betrieb nicht fällt - als abschließend anzusehen ist. Ein gesetz­ge­be­rischer Wille dahin, die Vergabe solcher Leistungen gleichwohl dem Anwen­dungs­bereich des GWB zu entziehen, ist der Entste­hungs­ge­schichte der gesetzlichen Regelung nicht zu entnehmen.

Dienst­leis­tungs­kon­zession von Änderungs­vertrag nicht betroffen

Der Bundes­ge­richtshof hat weiter entschieden, dass der Änderungs­vertrag keine Dienstleistungskonzession betrifft, die ebenfalls dem verga­be­recht­lichen Nachprü­fungs­ver­fahren entzogen wäre, sondern einen Dienst­leis­tungs­auftrag. Er hat sich dabei an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union angelehnt, wonach für Dienst­leis­tungs­kon­zes­sionen charak­te­ristisch ist, dass der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung den Risiken des Marktes ausgesetzt ist und das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt. Nach diesen Kriterien liegt eine Dienst­leis­tungs­kon­zession im Wesentlichen deshalb nicht vor, weil ein rentabler S-Bahn-Betrieb weitgehend durch die Zuzahlungen der öffentlichen Hand gesichert wird, die nach den Angaben von DB Regio rund 64 % der Gesamtkosten decken und die Einnahmen aus dem Fahrkartenerlös somit ganz deutlich übersteigen.

Laufzeit des Vertrages zwischen dem VRR und DB Regio ausgeschöpft

Den somit zulässigen Nachprü­fungs­antrag hat der Bundes­ge­richtshof als auch in der Sache begründet angesehen, weil Abellio den Vertragsschluss rechtzeitig vor der Vergabekammer beanstandet hatte und die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Nr. 2 der Verga­be­ver­ordnung (VgV)**) nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift dürfen Perso­nen­nah­ver­kehrs­leis­tungen ausnahmsweise freihändig vergeben werden, wenn ein wesentlicher Teil der durch den Vertrag bestellten Leistungen während der Vertrags­laufzeit ausläuft und anschließend im Wettbewerb vergeben wird. Die Laufzeit des Vertrages soll zwölf Jahre nicht überschreiten. Da die Möglichkeiten dieser Vorschrift schon mit Abschluss des ursprünglichen Verkehrs­vertrags zwischen dem VRR und DB Regio ausgeschöpft worden waren, durften sie jedoch grundsätzlich nicht erneut genutzt werden. Inwieweit der Umstand, dass der VRR und DB Regio ihre Streitigkeiten im Vergleichswege regeln wollten, es dennoch erlaubt hätte, in einem Änderungs­vertrag die ursprüngliche Vertragsdauer in gewissem Umfang zu modifizieren, hat der Bundes­ge­richtshof offengelassen. Dies wäre nämlich allenfalls dann zulässig gewesen, wenn gleichzeitig auch künftiger Wettbewerb durch eine Ausweitung der während der Vertrags­laufzeit aus dem Vertrag herausfallenden Verkehrs­leis­tungen gefördert worden wäre.

*) § 15 AEG (Gemein­wirt­schaftliche Leistungen)

(1) Für die Auferlegung oder Vereinbarung gemein­wirt­schaft­licher Leistungen ist die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates maßgebend. Zuständig im Sinne dieser Verordnung sind für Eisenbahnen des Bundes, soweit es sich nicht um deren Schie­nen­per­so­nen­nah­verkehr handelt, Behörden des Bundes, im übrigen nach Maßgabe des Landesrechts Behörden der Länder oder die Kreise, Gemeinden oder Gemein­de­verbände.

(2) Die zuständigen Behörden, die beabsichtigen, die Erbringung gemein­wirt­schaft­licher Leistungen durch Eisen­bahn­ver­kehrs­un­ter­nehmen auf der Grundlage des Artikels 1 Abs. 4 und des Artikels 14 der in Absatz 1 genannten Verordnung zu vereinbaren, können diese Leistungen ausschreiben.

**) § 4 VgV (Vergabe von Liefer- und Dienst­leis­tungs­auf­trägen)

(1) Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 bis 3 des Gesetzes gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen haben bei der Vergabe von Liefer- und Dienst­leis­tungs­auf­trägen … die Bestimmungen des 2. Abschnittes des Teiles A der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A) … anzuwenden, wenn in den §§ 5 und 6 nichts anderes bestimmt ist.

(2) [...]

(3) Bei Aufträgen, deren Gegenstand Perso­nen­nah­ver­kehrs­leis­tungen der Kategorie Eisenbahnen sind, gilt Absatz 1 mit folgenden Maßgaben:

1.Bei Verträgen über einzelne Linien mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren ist einmalig auch eine freihändige Vergabe ohne sonstige Voraussetzungen zulässig.

2. Bei längerfristigen Verträgen ist eine freihändige Vergabe ohne sonstige Voraussetzungen im Rahmen des § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Eisen­bahn­ge­setzes zulässig, wenn ein wesentlicher Teil der durch den Vertrag bestellten Leistungen während der Vertrags­laufzeit ausläuft und anschließend im Wettbewerb vergeben wird. Die Laufzeit des Vertrages soll zwölf Jahre nicht überschreiten. Der Umfang und die vorgesehenen Modalitäten des Auslaufens des Vertrages sind nach Abschluss des Vertrages in geeigneter Weise öffentlich bekannt zu machen.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss11075

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI