18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 31450

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Urteil21.02.2022BundesgerichtshofVIa ZR 8/21 und VIa ZR 57/21
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Bundesgerichtshof Urteil21.02.2022

BGH bestätigt Anspruch auf Restscha­den­ersatz bei Erwerb eines vom Dieselskandal betroffenen NeuwagensAnspruch auf Restscha­den­s­ersatz trotz Verjährung

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass Käufern von vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Neuwagen, deren Anspruch nach § 826 BGB verjährt ist, ein Anspruch auf Restscha­den­s­ersatz gegen den Hersteller aus § 852 Satz 1 BGB zusteht.

In beiden Verfahren nehmen die Kläger die beklagte Volkswagen AG auf Schadensersatz nach Erwerb eines Kraftfahrzeugs in Anspruch. Der Kläger im Verfahren VIa ZR 8/21 erwarb im April 2013 zu einem Kaufpreis von 30.213,79 € einen Neuwagen VW Golf Cabrio "Life" TDI von der Beklagten als Herstellerin, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 versehen war. Das Fahrzeug war bei Erwerb mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob es sich auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären Abgas­rü­ck­füh­rungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte. Die Klägerin im Verfahren VIa ZR 57/21 erwarb im Juli 2012 zu einem Kaufpreis von 36.189 € einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen VW EOS 2. l TDI von einem Händler. Dieser Neuwagen war ebenfalls mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 versehen. Das Fahrzeug war wiederum bei Erwerb mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob es sich auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären Abgas­rü­ck­füh­rungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte. Ab September 2015 wurde - ausgehend von einer Presse­mit­teilung der Beklagten vom 22. September 2015 - über den sogenannten Abgasskandal betreffend Motoren des Typs EA 189 in den Medien berichtet. Beide Kläger ließen ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update aufspielen.

Bisheriger Prozessverlauf

Während die Landgerichte noch unterschiedlich entschieden hatten, hatten die Oberlan­des­ge­richte in beiden Verfahren Ansprüche der Klagenden verneint. Zwar bestehe dem Grunde nach ein Anspruch des Klägers nach § 826 BGB gegen die Beklagte. Dieser Anspruch sei indessen verjährt. Wenn der Kläger im Jahr 2015 keine Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal erlangt habe, habe seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht. Ihm sei eine Klage gegen die Beklagte auch zumutbar gewesen. Die Beklagte dürfe sich in zweiter Instanz auf die Einrede der Verjährung berufen, obwohl sie in der ersten Instanz in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht die Einrede der Verjährung zunächst fallen gelassen habe. Einen (unverjährten) Anspruch auf Gewährung von Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB könne der Kläger gegen die Beklagte nicht geltend machen. Zwar habe der Kläger das Fahrzeug als Neuwagen direkt von der Beklagten erworben. Der Schutzzweck des § 852 Satz 1 BGB sei indessen zugunsten des Klägers nicht eröffnet. Die Vorschrift setze voraus, dass dem Geschädigten eine Rechts­ver­folgung vor Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB erschwert oder unmöglich gewesen sei. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, zumal der Kläger Ansprüche in einem Muster­fest­stel­lungs­ver­fahren habe anmelden können. Mangels des Bestehens eines Schaden­s­er­satz­an­spruchs scheide die Feststellung des Annahmeverzugs aus. Das Berufungs­gericht in ersten Verfahren hat die Revision "hinsichtlich des Heraus­ga­be­an­spruchs nach Eintritt der Verjährung gemäß § 852 BGB" zugelassen. Mit seiner Revision hat der Kläger, der eine wirksame Zulas­sungs­be­schränkung in Zweifel gezogen hat, sein Klagebegehren im Umfang der zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt. Das Berufungs­gericht im zweiten Verfahren hat die Revision "in Anbetracht der divergierenden oberge­richt­lichen Rechtsprechung zum Umfang des im Fall des Neuwagenkaufs über einen Vertragshändler im Sinne des § 852 Satz 1 BGB Erlangten" zugelassen. Mit ihrer Revision hat die Klägerin, die eine wirksame Zulas­sungs­be­schränkung in Zweifel gezogen hat, ihr Klagebegehren weiterverfolgt.

BGH hebt Berufungs­urteile teilweise auf

Der VIa. Zivilsenat hat in beiden Verfahren auf die Revisionen der Kläger die Berufungs­urteile insoweit aufgehoben, als die Berufungs­ge­richte einen Anspruch auf Schadensersatz auf der Grundlage des von den Klägern verauslagten Kaufpreises verneint und den Anträgen auf Feststellung des Annahmeverzugs nicht entsprochen haben. Soweit die Kläger Ersatz vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begehrt haben, hat der VIa. Zivilsenat die klage­ab­wei­senden Entscheidungen bestätigt. Das galt in der Sache VIa ZR 57/21 auch, soweit die Klägerin dort Ersatz der von ihr aufgewandten Finan­zie­rungs­kosten beansprucht hat. Dabei waren folgende Erwägungen für die Entscheidungen leitend: Der VIa. Zivilsenat ist davon ausgegangen, die Revision könne nicht wirksam auf die Frage des Bestehens eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB beschränkt werden. Vielmehr sei in beiden Verfahren nicht nur zu überprüfen, ob die Berufungs­ge­richte einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB rechts­feh­lerfrei verneint hätten, sondern vorrangig auch, ob ihre Überlegungen zu einer Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB zuträfen. Im Verfahren VIa ZR 57/21 war von einer Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB schon deshalb auszugehen, weil die Klägerin im Jahr 2016 über die konkrete Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch ein Schreiben unterrichtet worden war und ein Software-Update hatte aufspielen lassen. Im Verfahren VIa ZR 8/21 hat sich der VIa. Zivilsenat der Auffassung des VII. Zivilsenats angeschlossen, den Kläger habe jedenfalls ab dem Jahr 2016 jedenfalls der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal getroffen (vgl. Presse­mit­teilung Nr. 18/2022). Da beiden Klägern die Klageerhebung noch im Jahr 2016 zumutbar gewesen sei, habe die dreijährige Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB mit dem Schluss des Jahres 2016 begonnen und sei am 31. Dezember 2019 abgelaufen, so dass sie durch die Erhebung der Klagen im Jahr 2020 nicht mehr wirksam habe gehemmt werden können. Der VIa. Zivilsenat hat weiter entschieden, dass sich die Beklagte auch im Verfahren VIa ZR 8/21 auf die Einrede der Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB berufen könne, obwohl sie auf diese Einrede in erster Instanz "verzichtet" habe. Diesen Verzicht habe das Berufungs­gericht zutreffend nicht als endgültigen materiell-rechtlichen Verzicht gewertet. Richtig hätten beide Berufungs­ge­richte auch entschieden, dass es der Beklagten nach Treu und Glauben nicht verwehrt sei, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.

BGH bestätigt Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB

Nach Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB stehe den Klägern in beiden Verfahren aber ein Anspruch auf Restscha­den­s­ersatz nach § 852 Satz 1 BGB zu. Dieser Anspruch bestehe ohne Rücksicht darauf, dass die Beklagte auch vor Ablauf der Verjährung ohne Schwierigkeiten als Schädigerin hätte in Anspruch genommen werden können. Der Geltendmachung eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB stehe auch nicht entgegen, dass sich die Kläger nicht an einem Muster­fest­stel­lungs­ver­fahren gegen die Beklagte beteiligt hätten. Nach § 852 Satz 1 BGB müsse die Beklagte, die die Kläger durch das Inver­kehr­bringen des Fahrzeugs geschädigt habe, das von ihr Erlangte herausgeben. Erlangt habe die Beklagte im Verfahren VIa ZR 8/21 zunächst einen Anspruch gegen den Kläger aus dem Kaufvertrag. Nach Erfüllung der Forderung aus dem Kaufvertrag durch den Kläger habe die Beklagte als Ersatz im Sinne des § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB den Kaufpreis erlangt. Im Verfahren VIa ZR 57/21 habe die Beklagte eine Forderung gegen den Händler aus Kaufvertrag erlangt. Ihre Bereicherung setze sich nach Erfüllung dieser Forderung am Händle­rein­kauf­spreis fort, der geringer war als der von der Klägerin später gezahlte Kaufpreis und dessen Höhe zwischen den Parteien im konkreten Fall nicht in Streit stand.

Anspruch auf Restscha­den­s­ersatz aus §§ 826 begrenzt Anspruch aus 852 Satz 1 BGB

Nicht "erlangt" habe die Beklagte dagegen Leistungen an die von den Klägern vorgerichtlich mandatierten Rechtsanwälte und von der Klägerin im Verfahren VIa ZR 57/21 verauslagte Finan­zie­rungs­kosten, so dass sich der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB - anders als der verjährte Anspruch aus § 826 BGB - nicht auf solche Schäden erstrecke. Von dem erlangten Kaufpreis (VIa ZR 8/21) bzw. Händle­rein­kauf­spreis (VIa ZR 57/21) könne die Beklagte Herstellungs- und Bereit­stel­lungs­kosten nach § 818 Abs. 3 BGB nicht abziehen, weil sie sich im Sinne der § 818 Abs. 4, § 819 BGB bösgläubig bereichert habe. Allerdings reiche der Anspruch auf Restscha­den­s­ersatz aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht weiter als der Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB, der grundsätzlich der Vorteils­aus­gleichung unterliege. Die Kläger müssten sich deshalb eine Nutzungsentschädigung für die von ihnen mit den Fahrzeugen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen und könnten Zahlung nur Zug um Zug gegen Herausgabe der Fahrzeuge verlangen.

Höhe anzurechnender Nutzungs­ent­schä­digung durch Berufsgericht zu klären

Da die Vorinstanzen - von ihrem Rechts­s­tandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zur Höhe einer anzurechnenden Nutzungs­ent­schä­digung getroffen haben, hat der VIa. Zivilsenat die Sachen zur Klärung der Höhe anzurechnender Vorteile an die Berufungs­ge­richte zurückverwiesen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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