21.11.2024
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Dokument-Nr. 31156

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Bundesgerichtshof Urteil08.12.2021

Dieselskandal: Ersatzlieferung eines erheblich höherwertigen Nachfol­ge­modells kann Zuzahlung des Käufers erfordernBGH klärt Rechte von Neuwagen-Käufern bei Mängeln am Auto

Der Bundes­ge­richtshof hat sich erneut mit Fragen betreffend den Nach­erfüllungs­anspruch eines Käufers eines aufgrund einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung mangelhaften Neufahrzeugs beschäftigt und seine diesbezügliche Rechtsprechung weiter­ent­wickelt.

Der Kläger erwarb im Juni 2015 von der beklagten Fahrzeughändlerin im Rahmen eines Verbrauchs­gü­terkaufs zum Preis von 19.910 € ein mit einem Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug Volkswagen Caddy III, dessen Motor­steu­e­rungs­software den Prüfstandlauf erkannte und in diesem Fall den Ausstoß von Stickoxiden verringerte. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, teilte der Fahrzeug­her­steller dem Kläger im Dezember 2016 mit, dass für sein Fahrzeug nunmehr ein zur Beseitigung der Abschalt­ein­richtung entwickeltes und vom Kraft­fahrt­bun­desamt freigegebenes Software-Update zur Verfügung stehe. Der Kläger lehnte das Aufspielen des Updates ab und verlangte stattdessen im Mai 2017 von der Beklagten die Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs des Nachfol­ge­modells Volkswagen Caddy IV. Die Beklagte verweigerte eine Nachlieferung unter anderem mit der Begründung, dass deren Kosten im Vergleich zu dem Aufwand einer Nachbesserung durch das Software-Update unver­hält­nismäßig seien. In den Vorinstanzen hat der Kläger mit seinem auf Lieferung eines fabrikneuen, typengleichen Ersatzfahrzeugs gerichteten Begehren keinen Erfolg gehabt. Nach Auffassung des Berufungs­ge­richts hat die Beklagte die Ersatzlieferung gemäß § 439 Abs. 3 BGB (alte Fassung; nunmehr § 439 Abs. 4 BGB) verweigern dürfen, weil für die Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs in Gestalt des zwischen­zeitlich auf den Markt getretenen Nachfol­ge­modells Volkswagen Caddy IV nach Angaben der Beklagten nunmehr Beschaf­fungs­kosten von 27.536,60 € anfielen, so dass die Kosten einer solchen Ersatzlieferung (auch nach Abzug des Wertes des vom Kläger zurück­zu­ge­benden ursprünglich erworbenen Fahrzeugs) die Kosten für die Umrüstung durch das Software-Update von maximal 100 € um mehr als das 117-fache überschritten und damit unver­hält­nismäßig seien (sogenannte relative Unver­hält­nis­mä­ßigkeit). Soweit der Kläger demgegenüber eingewandt habe, eine Nachbesserung durch das vom Hersteller entwickelte Update scheide von vornherein aus, weil es zur Installation einer anderen Abschalt­ein­richtung ("Thermofenster"), zu Folgeschäden (Leistungs­verlust, höherer Kraft­stoff­ver­brauch u.a.) und zu einem merkantilen Minderwert des Fahrzeugs führte, seien seine Behauptungen ohne Substanz. Mit seiner vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision hat der Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgt.

BGH: Anspruch auf Ersatzlieferung eines Nachfol­ge­modells mit Zuzahlung

Der Bundes­ge­richtshofs hat entschieden, dass der Käufer eines (hier aufgrund einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung) mangelhaften Neufahrzeugs im Rahmen seiner Gewähr­leis­tungs­rechte die Ersatzlieferung eines nunmehr hergestellten Nachfol­ge­modells nur gegen eine angemessene Zuzahlung verlangen kann, wenn dieses einen erheblichen Mehrwert gegenüber dem ursprünglich erworbenen Fahrzeug aufweist. Weiter hat der Senat klargestellt, dass die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Unver­hält­nis­mä­ßig­keitseinrede des Verkäufers nach § 439 Abs. 3 BGB (alte Fassung), der den Käufer auf eine kosten­güns­tigere Nachbesserung verweisen will, grundsätzlich den Verkäufer trifft. Soweit in einem solchen Fall das betreffende Nachfolgemodell allerdings - was der Verkäufer darzulegen und ggfs. zu beweisen hat - einen erheblichen Mehrwert gegenüber dem ursprünglich erworbenen Modell aufweist, der eine Erhöhung des Listenpreises um ein Viertel oder mehr voraussetzt, ist weiter zu prüfen, ob nach dem nach beiden Seiten inter­es­sen­gerecht auszulegenden Parteiwillen die Ersatzlieferung eines solchen Nachfol­ge­modells nur gegen eine angemessene Zuzahlung des Käufers als austauschbar anzusehen ist. Liegt die Differenz der Listenpreise unter diesem Wert, scheidet eine Obliegenheit des Käufers zu einer Zuzahlung aus. Ist die genannte Grenze erreicht, ist bezüglich einer Zuzahlung des Käufers zu beachten, dass sie weder dessen Nacher­fül­lungs­an­spruch aushöhlen darf noch den Verkäufer von jeglicher mit der Nacherfüllung einhergehenden wirtschaft­lichen Belastung befreien soll. Daher hat der Käufer die einen erheblichen Mehrwert begründende Differenz zwischen den Listenpreisen nicht vollständig, sondern in der Regel lediglich in Höhe eines Drittels (in Ausnahmefällen bis zur Hälfte) auszugleichen.

Vergleich der Listenpreise erforderlich

Falls der Käufer zu einer hiernach angemessenen - im jeweiligen Einzelfall vom Tatrichter nach freiem Schät­zungs­er­messen zu bestimmenden - Zuzahlung nicht bereit sein sollte, entfällt die das Nachfolgemodell erfassende Beschaf­fungs­pflicht des Verkäufers und damit auch ein hierauf gerichteter Nachlie­fe­rungs­an­spruch des Käufers. Etwaige weitere Gewähr­leis­tungs­ansprüche des Käufers bleiben hiervon allerdings unberührt. Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungs­ge­richts kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass das vom Kläger im Rahmen seines Nachlie­fe­rungs­be­gehrens beanspruchte Modell der vierten Fahrzeug­ge­ne­ration des VW Caddy gegenüber dem ursprünglich erworbenen Modell der dritten Generation einen erheblichen Mehrwert aufweist und nach den vom Senat entwickelten Grundsätzen ein entsprechender Nachlie­fe­rungs­an­spruch deshalb nur gegen eine angemessene Zuzahlung des Klägers in Betracht kommen könnte. Um dies abschließend beurteilen zu können, bedarf es allerdings zunächst einer Feststellung der zu vergleichenden Listenpreise durch das Berufungs­gericht.

Beweislast für Unver­hält­nis­mä­ßigkeit liegt beim Verkäufer

Auf die von der Beklagten erhobene Einrede der relativen Unver­hält­nis­mä­ßigkeit nach § 439 Abs. 3 BGB (alte Fassung) kommt es nur an, wenn nach den aufgezeigten Grundsätzen eine Beschaf­fungs­pflicht der Beklagten hinsichtlich des Nachfol­ge­modells besteht. Bezüglich dieser Einrede hat der Senat klargestellt, dass der Verkäufer eine vom Käufer verlangte Nachlieferung wegen im Vergleich zur Nachbesserung unver­hält­nis­mäßiger Kosten nur dann verweigern kann, wenn der betreffende Mangel durch die von ihm angebotene Nachbesserung vollständig, nachhaltig und fachgerecht beseitigt würde. Daran fehlt es aber, falls zwar der ursprüngliche Mangel beseitigt wird, hierdurch jedoch Folgemängel hervorgerufen werden. Insofern ist zu beachten, dass nach allgemeinen Grundsätzen der Verkäufer für das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihm erhobenen Unver­hält­nis­mä­ßig­keitseinrede darlegungs- und beweisbelastet ist. Vorliegend ist zwar nicht streitig, dass das dem Kläger angebotene Software-Update die Prüfstan­der­ken­nungs­software entfernen und damit den bei Übergabe vorhandenen Sachmangel beseitigen würde. Allerdings hat der Kläger im Rahmen seiner insoweit lediglich sekundären Darlegungslast hinreichend konkret auf - seiner Auffassung nach - durch das Update verursachte Folgemängel und einen unabhängig hiervon am Fahrzeug infolge der Betroffenheit vom sogenannten Abgasskandal verbleibenden merkantilen Minderwert verwiesen. Insbesondere durfte sich der Kläger dabei auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, denn er kann mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Funktionsweise des Software-Updates keine genaue Kenntnis von dessen konkreten Auswirkungen haben. Ausgehend von der primären Darlegungslast und der Beweislast der Beklagten im Rahmen der von ihr erhobenen Unver­hält­nis­mä­ßig­keitseinrede ist es deshalb - was das Berufungs­gericht verkannt hat - ihre Aufgabe, diese vom Kläger hinreichend konkret behaupteten Umstände, gegebenenfalls unter Einholung von zu diesem Zweck angebotener Sachver­stän­di­gen­gut­achten, auszuräumen. Dies gilt nicht zuletzt für die Behauptung des Klägers, mit dem Software-Update werde erneut eine unzulässige Abschalt­ein­richtung in Gestalt einer tempe­ra­tu­r­ab­hängigen Steuerung der Abgas­rü­ck­führung (sog. Thermofenster) implementiert, der die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungs­ge­richts entgegenhält, dieses Vorgehen sei zum Schutz von Bauteilen erforderlich.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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