21.11.2024
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Dokument-Nr. 30582

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Urteil21.07.2021BundesgerichtshofVIII ZR 254/20, VIII ZR 118/20, VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20
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Bundesgerichtshof Urteil21.07.2021

BGH Dieselskandal: Grenzen der Ersatzlieferung bei einem NachfolgemodellAnspruch auf Nachlieferung muss innerhalb von zwei Jahren geltend gemacht werden

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass im Verbrauchs­gü­terkauf der Käufer eines (hier jeweils aufgrund einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung) mangelhaften Neufahrzeugs im Rahmen seiner Gewähr­leistungs­rechte zwar grundsätzlich auch die Ersatzlieferung eines zwischen­zeitlich hergestellten Nachfol­ge­modells verlangen kann, dies aber nur für den Fall gilt, dass er einen entsprechenden Anspruch innerhalb von zwei Jahren ab Vertragsschluss gegenüber seinem Verkäufer geltend macht.

In den entschiedenen vier Fällen haben die Käufer im Rahmen eines Verbrauchs­gü­terkaufs jeweils in den Jahren 2009 oder 2010 ein mit einem Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug erworben, dessen Motor­steu­e­rungs­software den Prüfstandlauf erkannte und in diesem Fall den Ausstoß von Stickoxiden verringerte. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, verlangten die Käufer jeweils Mangel­be­sei­tigung durch Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs. Dies wurde von den Verkäufern abgelehnt und stattdessen eine Mangel­be­sei­tigung (Nachbesserung) durch ein Software-Update angeboten.

Nachlie­fe­rungs­be­gehren erstmals nach sieben und acht Jahren nach Kaufver­trags­schluss geltend gemacht

Allen Verfahren ist weiter gemein, dass die Käufer ihr Nachlie­fe­rungs­be­gehren erstmals nach rund sieben beziehungsweise acht Jahren nach Kaufver­trags­schluss gegenüber den Verkäufern geltend machten. Da das ursprünglich erworbene Fahrzeugmodell zu diesem Zeitpunkt in allen Fällen vom Hersteller bereits durch ein Nachfolgemodell ersetzt worden war, verlangen die Käufer nunmehr jeweils ein fabrikneues, typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serien­pro­duktion. In allen vier Verfahren erwarben die Kläger die Fahrzeuge dabei als Verbraucher, die bei einer Nachlieferung gemäß § 475 Abs. 3 Satz 1 BGB für die Nutzung der zunächst gelieferten mangelhaften Sache keinen Ersatz schulden.

Einrede der Verjährung jeweils nicht erhoben

Die Verkäufer haben die Einrede der Verjährung jeweils nicht erhoben beziehungsweise hatten gegenüber den Käufern zuvor ausdrücklich darauf verzichtet, sich im Hinblick auf etwaige Ansprüche im Zusammenhang mit der betreffenden Motor­steu­e­rungs­software auf Verjährung zu berufen.

Unter­schiedliche Entscheidungen der Vorinstanzen

Die Berufungs­ge­richte sind in allen vier Verfahren unter Verweis auf den Hinweis­be­schluss des Senats vom 8. Januar 2019 (VIII ZR 225/17, siehe Presse­mit­teilung Nr. 22/2019) davon ausgegangen, dass die betreffenden Fahrzeuge bei Übergabe an die Käufer mit einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung ausgestattet und deshalb mangelbehaftet gewesen seien. Weiterhin haben die Berufungs­ge­richte im Ausgangspunkt übereinstimmend angenommen, dass sich der Anspruch des Käufers auf Ersatzlieferung (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) im Fall eines Modellwechsels auch auf das zwischen­zeitlich am Markt verfügbare Nachfolgemodell erstrecke. Davon ausgehend haben die Kläger in den Verfahren VIII ZR 254/20 und VIII ZR 118/20 mit ihrem Nachlie­fe­rungs­be­gehren in zweiter Instanz beim Oberlan­des­gericht Köln jeweils Erfolg gehabt. Demgegenüber hat das Oberlan­des­gericht Saarbrücken im Verfahren VIII ZR 275/19 einen Ersatz­lie­fe­rungs­an­spruch des dortigen Klägers letzten Endes verneint, weil die dem beklagten Vertragshändler durch die Ersatzlieferung entstehenden Kosten die Kosten einer Mangel­be­sei­tigung durch das vom Hersteller angebotene Software-Update bei weitem überstiegen, und der Kläger auch nicht substantiiert dargetan habe, dass durch das Aufspielen des Updates Folgemängel entstünden. Auch im Verfahren VIII ZR 357/20, in welchem der Kläger das Fahrzeug unmittelbar von der Herstellerin erworben hatte, hat das Oberlan­des­gericht Schleswig mit vergleichbarer Begründung den Nachlie­fe­rungs­an­spruch des Klägers zurückgewiesen und lediglich seinem hilfsweise geltend gemachten deliktischen Schaden­s­er­satz­an­spruch teilweise (unter Abzug einer erheblichen Nutzungs­ent­schä­digung) stattgegeben.

BGH: Keinen Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien Nachfol­ge­modells

In den Verfahren VIII ZR 254/20 und VIII ZR 118/20 verfolgen die Beklagten mit ihren von den Berufungs­ge­richten zugelassenen Revisionen ihr Klage­ab­wei­sungs­be­gehren jeweils weiter, während die Kläger in den Verfahren VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20 mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen jeweils weiterhin die Nachlieferung eines fabrikneuen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serien­pro­duktion erreichen wollen. Der Bundes­ge­richtshof hat in allen vier Verfahren entschieden, dass den jeweiligen Klägern der geltend gemachte Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien Nachfol­ge­modells des von ihnen ursprünglich erworbenen Neufahrzeugs gemäß § 437 Nr. 1, § 434 Abs. 1, § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht zusteht.

BGH bestätigt bisherige Rechtsprechung - Fahrzeuge bei Übergabe mangelhaft

Dabei hat der Senat zunächst seine bereits im Hinweis­be­schluss vom 8. Januar 2019 (VIII ZR 225/17, siehe Presse­mit­teilung Nr. 22/2019) angeführte Rechtsprechung bestätigt, nach der es sich bei der in den von den Klageparteien erworbenen Diesel­fahr­zeugen (Motortyp EA 189) installierten Motor­steu­e­rungs­software, die bei erkanntem Prüfstandlauf den Stick­o­xid­ausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb verringert, um eine unzulässige Abschalt­ein­richtung handelt. Insofern waren die Fahrzeuge bei Übergabe (und auch noch im Zeitpunkt der jeweiligen Nacher­fül­lungs­be­gehren) mangelhaft im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB, weil - jedenfalls bis zur Nachrüstung durch ein entsprechendes Software-Update - die Gefahr einer Betrie­bs­un­ter­sagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und es damit an der Eignung der Fahrzeuge für die gewöhnliche Verwendung (Nutzung im Straßenverkehr) fehlte.

Nachlie­fe­rungs­pflicht erstreckt sich auch auf Nachfolgemodell

Ebenfalls bestätigt hat der Senat seine Ausführungen im vorgenannten Hinweis­be­schluss, wonach eine vom Käufer eines mangelhaften Neuwagens geforderte Ersatzlieferung gemäß § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht bereits deshalb unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB) und damit ausgeschlossen ist, weil anstelle des ursprünglich erworbenen Fahrzeugmodells zwischen­zeitlich ein Nachfolgemodell (Facelift, Modell­pfle­ge­maßnahme, neue Baureihe/Generation) auf den Markt getreten ist. Solche Nachfol­ge­modelle sind zwar in der Regel in mancher Hinsicht fortentwickelt, zum Beispiel durch die Klassifikation nach neuen europäischen Abgasnormen und Änderungen der Motortechnik, durch Fortschritte bei Sicherheits- und Assis­tenz­systemen und entsprechend umfangreicherem Einsatz von Steue­rungs­software, durch Änderungen bei Abmessungen, Gewicht, Kraft­stoff­ver­brauch und Formensprache oder etwa durch vermehrten Komfort. Den Parteien und insbesondere dem Fahrzeughändler ist aber bereits bei Abschluss des Kaufvertrags bewusst, dass der Fahrzeug­her­steller nach gewisser Zeit das bisherige Modell nicht mehr herstellen, sondern durch einen Nachfolger ersetzen wird. Bei einem Neuwagenkauf entspricht es vor diesem Hintergrund grundsätzlich dem (durch eine inter­es­sen­ge­rechte Auslegung zu ermittelnden) überein­stim­menden Willen der Vertrags­parteien bei Vertrags­ab­schluss, dass das Recht des Käufers auf eine Mangel­be­sei­tigung durch Ersatzlieferung nicht durch einen nach Vertrags­ab­schluss herstellerseits erfolgten Modellwechsel ausgeschlossen ist, sondern sich die "Beschaf­fungs­pflicht" des Verkäufers in einem solchen Fall vielmehr auch auf ein entsprechendes - von den Parteien insoweit als gleichartig und gleichwertig angesehenes - Nachfolgemodell erstrecken soll.

Nachlie­fe­rungs­ver­pflichtung unterliegt aber Grenzen

Allerdings unterliegt diese auch ein etwaiges Nachfolgemodell umfassende Nachlie­fe­rungs­ver­pflichtung mit Blick auf die wirtschaft­lichen Interessen des Verkäufers gewissen Grenzen. Zwar wird dessen Schutz vor unver­hält­nis­mäßigen Kosten der Nachlieferung vom Gesetz bereits allgemein im Rahmen von § 439 Abs. 4 BGB berücksichtigt; zudem beträgt die regelmäßige kaufrechtliche Verjäh­rungsfrist für Gewähr­leis­tungs­ansprüche gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB lediglich zwei Jahre. Dennoch ist - worauf die Tatgerichte (verstärkt) ein besonderes Augenmerk zu richten haben - stets sorgfältig und nicht nur schematisch zu prüfen, ob und inwieweit die Parteien im jeweiligen Einzelfall die Ersatzlieferung eines Nachfol­ge­modells tatsächlich als austauschbar mit dem ursprünglich gelieferten Kaufgegenstand angesehen haben.

Kein Wert - und Nutzungsersatz des Käufers trotz deutlichen Wertverlust

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die den Verkäufer eines Verbrauchsguts im Nachlie­fe­rungsfall treffende Pflicht zur Beschaffung eines neuwertigen Nachfol­ge­modells von vornherein in zeitlicher Hinsicht nicht unbeschränkt gelten kann. Gerade bei einem Neuwagenkauf tritt durch die Nutzung des Fahrzeugs durch den Käufer recht schnell ein deutlicher Wertverlust ein. Dennoch hat der Käufer im Falle der Nachlieferung die an ihn ausgelieferte mangelhafte Sache gemäß § 439 Abs. 5 BGB lediglich in dem abgenutzten Zustand und ohne Wertersatz an den Verkäufer herauszugeben. Zudem hat der Käufer bei einem - vorliegend in allen Verfahren gegebenen - Verbrauchs­gü­terkauf nach § § 474 Abs. 1 Satz 1, § 475 Abs. 3 Satz 1 BGB einen Ersatz für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Fahrzeugs (anders als etwa nach einem Rücktritt) nicht zu leisten.

Käufer muss Anspruch binnen zwei Jahren ab Vertragsschluss erstmals geltend machen

In Ansehung dieser Umstände gebietet eine nach beiden Seiten hin inter­es­sen­ge­rechte Auslegung des Parteiwillens, dass eine Nachfol­ge­modelle umfassende Beschaf­fungs­pflicht des Verkäufers im Fall einer mangelbedingten Ersatzlieferung von vornherein auf den Zeitraum begrenzt sein muss, innerhalb dessen die Vertrags­parteien (bei Vertrags­ab­schluss) mit dem Eintritt eines Gewähr­leis­tungsfalls und einem entsprechenden Nachlie­fe­rungs­be­gehren üblicherweise rechnen konnten. Im Rahmen einer typisierenden Betrachtung sowie unter Beachtung der im nationalen und europäischen Kaufrecht zugrunde gelegten Maßstäbe und Wertungen trägt es den Interessen der am Neuwagenkauf beteiligten Vertrags­parteien dabei grundsätzlich in angemessener Weise Rechnung, dass der Verkäufer im Gewähr­leis­tungsfall zur Nachlieferung eines zwischen­zeitlich hergestellten Nachfol­ge­modells nur verpflichtet ist, wenn der Käufer einen entsprechenden Anspruch gegenüber seinem Verkäufer binnen eines Zeitraums von zwei Jahren ab Vertragsschluss erstmals geltend macht. Die Geltendmachung weiterer Gewähr­leis­tungs­rechte (siehe § 437 BGB) bleibt dem Käufer unbenommen.

Nachlieferung hier wegen zu spät geltend gemachter Gewähr­leis­tungs­ansprüche ausgeschlossen

Ausgehend hiervon ist in allen vom Senat entschiedenen Verfahren der von den Käufern jeweils geltend gemachte Nachlie­fe­rungs­an­spruch ausgeschlossen, weil einerseits die ursprünglich erworbenen Fahrzeugmodelle nicht mehr hergestellt werden, die Käufer aber andererseits eine Nachlieferung des entsprechenden Nachfol­ge­modells von ihren Verkäufern erst nach rund sieben beziehungsweise acht Jahren nach dem Kauf verlangt haben. Hierin unterscheiden sich die vorliegenden Sachverhalte - was die Berufungs­ge­richte übersehen haben - maßgeblich von dem des Hinweis­be­schlusses vom 8. Januar 2019 (VIII ZR 225/17, siehe Presse­mit­teilung Nr. 22/2019), in welchem lediglich einige Monate zwischen Vertragsschluss und Nachlie­fe­rungs­be­gehren gelegen hatten. Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände, aufgrund derer den jeweiligen Verkäufer vorliegend ausnahmsweise eine (deutlich) weitergehende und damit namentlich auch das vom jeweiligen Käufer begehrte Nachfolgemodell erfassende Beschaf­fungs­pflicht treffen würde, liegen in keinem Fall vor.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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