21.11.2024
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Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.

Dokument-Nr. 6197

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Urteil03.07.1996BundesgerichtshofVIII ZR 221/95
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BB 1996, 1735Zeitschrift: Betriebs-Berater (BB), Jahrgang: 1996, Seite: 1735
  • BGHZ 133, 184Sammlung: Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (BGHZ), Band: 133, Seite: 184
  • MDR 1996, 995Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 1996, Seite: 995
  • NJW 1996, 2574Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 1996, Seite: 2574
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
Vorinstanzen:
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil28.02.1994, 2/24 O 65/93
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil06.07.1995, 1 U 93/94
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil03.07.1996

BGH zur höflichen Bitte einer Taschen­kon­trolle im SupermarktTaschen­kon­trolle nur durch die Polizei

Niemand muss stich­pro­ben­artige Taschen­kon­trollen im Supermarkt über sich ergehen lassen. Dies gilt auch dann, wenn sie per Hinweisschild angekündigt werden. Der Bundes­ge­richtshof wertete die Kontrollen als erheblichen Eingriff "in das Allgemeine Persön­lich­keitsrecht". Das Personal im Geschäft hat kein eigenes Recht zur Durchsuchung. Nur bei einem Diebstahl­s­verdacht darf die (vom Marktleiter herbeizurufende) Polizei in die Tasche gucken.

Im zugrunde liegenden Fall klagte ein Verbrau­cher­verein gegen den Betreiber einer Einzel­han­dels­ma­rktkette. Im Eingangsbereich gab es eine Hinweistafel mit folgendem Text:

"Information und Taschenannahme

Sehr geehrte Kunden!

Wir bitten Sie höflich, Ihre Taschen hier an der Information vor dem Betreten des Marktes abzugeben, anderenfalls weisen wir Sie höflichst darauf hin, daß wir an den Kassen gegebenenfalls Taschen­kon­trollen durchführen müssen."

Der Verbrau­cher­verein verlangte von der Beklagten, dass diese diesen Hinweis nicht weiter verwende. Sie ist der Ansicht, dass der Hinweis als Allgemeine Geschäfts­be­dingung unwirksam sei.

BGH: Regelung stellt Allgemeine Geschäfts­be­dingung dar

Der Bundes­ge­richtshof folgte dieser Ansicht. Der erste Teil "wir bitten Sie höflich .." sei isoliert betrachtet nur eine unverbindliche Bitte um Abgabe der Taschen. Der zweite Teil jedoch "anderenfalls weisen wir Sie höflichst darauf hin, daß wir an den Kassen gegebenenfalls Taschen­kon­trollen durchführen müssen", sei als Allgemeine Geschäfts­be­dingung der Inhalts­kon­trolle unterworfen.

Unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 9 AGBG

Die Klausel halte einer Inhalts­kon­trolle nach § 9 AGBG nicht stand. Sie weiche nämlich von dem wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes ab, nach der Taschen­kon­trollen nur gefordert werden dürften, wenn ein konkreter Verdacht vorliege.

Durch­su­chungs­maß­nahmen im Rahmen eines straf­recht­lichen Ermitt­lungs­ver­fahrens setzten stets den Verdacht einer strafbaren Handlung voraus. Ohne einen solchen Verdacht sei die mit einer Durchsuchung verbundene polizeiliche Kontrolle unzulässig. Die Anwendung privater Gewalt sei lediglich zur Sicherung oder Durchsetzung eines bestehenden Anspruchs und unter der Voraussetzung rechtmäßig, dass die konkrete Gefahr einer Erschwerung oder Vereitelung der Durchsetzung des Anspruchs drohe (§ 229 BGB) oder verbotene Eigenmacht vorliege (§ 859 BGB).

Keine Rechtfertigung

Durch die Abweichung von der gesetzlichen Regelung entgegen den geboten von Treu und Glauben werden die Kunden unangemessen benachteiligt. Körperliche und sonstige Durchsuchungen wie die Kontrolle mitgeführter Taschen stellten in aller Regel erhebliche Eingriffe in das Persön­lich­keitsrecht dar. Solche Eingriffe seien nicht durch überwiegende Interessen der Beklagten gerechtfertigt, führte der Bundes­ge­richtshof aus.

Schutz des Persön­lich­keits­rechts wiegt stärker als Schutz des Eigentums

Auch wenn die Beklagte geltend macht, dass ohne Taschen­kon­trollen ein Schutz vor Ladendiebstahl durch einen wirtschaftlich vertretbaren Personalaufwand oder mit technischen Hilfsmitteln nicht sichergestellt werden könne, wiege das Interesse des einzelnen Kunden an dem Schutz seines Persön­lich­keits­rechts auch bei Berück­sich­tigung eines eventuellen Interesses aller Kunden an einer günstigen Preisgestaltung stärker als das Interesse der Beklagten an einem Schutz ihres Eigentums.

Hinweis

§ 9 AGBG ist am 1.1.2002 außer Kraft getreten. Seither findet sich die Regelung in § 307 BGB.

Quelle: ra-online.

der Leitsatz

1. Die auf den im Eingangsbereich eines Einzel­han­dels­marktes angebrachten Hinweis „Information und Taschenannahme. Sehr geehrte Kunden! Wir bitten Sie höflich, Ihre Taschen hier an der Information vor dem Betreten des Marktes abzugeben," folgende Erklärung „anderenfalls weisen wir Sie höflichst darauf hin, daß wir an den Kassen gegebenenfalls Taschen­kon­trollen durchführen müssen“, stellt eine Allgemeine Geschäfts­be­dingung dar (teilweise Abweichung von BGHZ 124, 39 = NJW 1994, 188 = LM H. 5/1994 § 229 BGB Nr. 3).

2. Die vorgenannte Klausel benachteiligt den Kunden unangemessen, weil sie von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweicht, nach der Taschen­kon­trollen nur bei konkretem Diebstahl­s­verdacht zulässig sind.

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