21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil03.07.2019

Verbraucher kann im Internet bestellte Matratze auch nach Entfernung der Schutzfolie zurückgebenWiderrufsrecht des Verbrauchers auch bei Online-Matratzenkauf

Der Bundes­ge­richtshof hat entschied, dass eine bei einem Online-Händler gekaufte Matratze, die mit einer Schutzfolie versiegelt geliefert wird, keine Lieferung einer versiegelten Ware darstellt, die aus Gründen des Gesund­heits­schutzes oder der Hygiene zur Rückgabe ungeeignet ist, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird. Dem Verbraucher steht daher auch dann ein Widerrufsrecht zu, wenn die Schutzfolie entfernt wurde.

Die Beklagte des zugrunde liegenden Falls ist eine Online-Händlerin, die unter anderem Matratzen vertreibt. Der Kläger bestellte zu privaten Zwecken über die Website der Beklagten eine Matratze zu einem Kaufpreis von 1.094,52 Euro, die ihm mit einer versiegelten Schutzfolie geliefert wurde.

AGB verneinen Widerrufsrecht bei Entfernung der Versiegelung nach Lieferung

In der Rechnung der Beklagten vom 26. November 2014 wurde auf dort abgedruckte Allgemeine Geschäfts­be­din­gungen hingewiesen, in denen auch eine "Wider­rufs­be­lehrung für Verbraucher" enthalten ist. Dort ist unter anderem ausgeführt, dass das Widerrufsrecht bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesund­heits­schutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, vorzeitig erlischt, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.

Kläger sendet Ware zurück

Nach Erhalt der Matratze entfernte der Kläger die Schutzfolie. Der Kläger bat die Beklagte mit E-Mail vom 9. Dezember 2014 um die Vereinbarung eines Termins zum Rücktransport, da er die Matratze zurücksenden wolle. Da die Beklagte den erbetenen Rücktransport nicht veranlasste, gab der Kläger den Transport selbst zu Kosten von 95,59 Euro in Auftrag.

LG: Matratze ist kein Hygieneartikel

Die auf Erstattung des Kaufpreises und der Transportkosten, insgesamt 1.190,11 Euro, nebst Zinsen sowie auf Freistellung von vorge­richt­lichen Anwaltskosten gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Berufungs­gericht stellte darauf ab, dass es sich bei einer Matratze nicht um einen Hygieneartikel im Sinne des § 312 g Abs. 2 Nr. 3 BGB handele, so dass der Widerruf auch nach dem Entfernen der Schutzfolie durch den Kläger nicht ausgeschlossen gewesen sei. Mit der vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihr Klage­ab­wei­sungs­be­gehren weiter.

BGH erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH

Der Bundes­ge­richtshofs legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) unter anderem die Frage zur Vorab­ent­scheidung gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV vor, ob Art. 16 Buchst. e der Verbrau­cher­rech­te­richtlinie dahin auszulegen ist, dass zu den dort genannten Waren, die aus Gründen des Gesund­heits­schutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind, auch Waren (wie etwa Matratzen) gehören, die zwar bei bestim­mungs­gemäßem Gebrauch direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen, aber durch geeignete (Reinigungs-)Maßnahmen des Unternehmers wieder verkehrsfähig gemacht werden können (vgl. Bundes­ge­richtshof, Beschluss v. 15.11.2017 - VIII ZR 194/16 -). Zugleich setze der Bundes­ge­richtshof das Verfahren gemäß § 148 ZPO analog bis zur Entscheidung des EuGH aus.

BGH bejaht Widerrufsrecht trotz Entfernung der Schutzfolie

Der Bundes­ge­richtshof entschieden nun, dass es sich bei einem Kaufvertrag, den ein Verbraucher mit einem Online-Händler über eine Matratze schließt, die ihm mit einer Schutzfolie versiegelt geliefert wird, nicht um einen Vertrag zur Lieferung versiegelter Waren handelt, die aus Gründen des Gesund­heits­schutzes oder der Hygiene zur Rückgabe ungeeignet sind, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird (§ 312 g Abs. 2 Nr. 3 BGB). Dem Verbraucher steht daher auch dann das Recht zu, seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willen­s­er­klärung gemäß § 312 g Abs. 1 BGB zu widerrufen, wenn er die Schutzfolie entfernt hat.

BGH beruft sich auf Entscheidung des EuGH

Diese Rechtsprechung folgt im Ergebnis und in der Begründung den Maßstäben, die der EuGH auf den Vorla­ge­be­schluss des Bundes­ge­richtshofs vom 15. November 2017 hin im Urteil vom 27. März 2019 vorgegeben hat. Denn die deutsche Ausnah­me­vor­schrift des § 312 g Abs. 2 Nr. 3 BGB geht auf die gleichlautende europa­rechtliche Vorschrift des Art. 16 Buchst. e der Verbrau­cher­rech­te­richtlinie zurück, die der deutsche Gesetzgeber vollständig in deutsches Recht umsetzen wollte.

Widerrufsrecht soll Verbraucher in besonderen Situationen im Fernab­satz­handel schützen

Eine Ausnahme von dem bei Fernab­satz­ver­trägen Verbrauchern grundsätzlich eingeräumten Widerrufsrecht ist vor allem mit Blick auf dessen Sinn und Zweck zu verneinen. Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher in der besonderen Situation im Fernab­satz­handel schützen, in der er keine Möglichkeit hat, das Erzeugnis vor Abschluss des Vertrages zu sehen und seine Eigenschaften zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Nachteil soll mit dem Widerrufsrecht ausgeglichen werden, das dem Verbraucher eine angemessene Bedenkzeit einräumt, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren.

Ware kann durch Reinigung oder Desinfektion für Wieder­ver­wendung durch Dritten wieder hergestellt werden

Im Hinblick hierauf greift die Ausnah­me­re­gelung nur dann ein, wenn nach der Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesund­heits­schutzes oder der Hygiene endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist, weil der Unternehmer Maßnahmen, die sie unter Wahrung des Gesund­heits­schutzes oder der Hygiene wieder verkehrsfähig machten, nicht oder nur unter unver­hält­nis­mäßigen Schwierigkeiten ergreifen könnte. Bei Anlegung dieses Maßstabs fällt eine Matratze, deren Schutzfolie der Verbraucher entfernt hat, nicht unter den Ausnah­me­tat­bestand. Eine Matratze kann im Hinblick auf das Widerrufsrecht mit einem Kleidungsstück gleichgesetzt werden, das ebenfalls mit dem menschlichen Körper direkt in Kontakt kommen kann. Es ist davon auszugehen, dass Unternehmer bezüglich beider Waren in der Lage sind, diese nach Rücksendung mittels einer Behandlung wie einer Reinigung oder einer Desinfektion für eine Wieder­ver­wendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inver­kehr­bringen geeignet zu machen.

Online-Händlerin muss Kaufpreis und verauslagte Transportkosten an Kläger erstatten

Da das Berufungs­gericht die Ankündigung der Rücksendung der Matratze und die Bitte um Übernahme der Transportkosten rechts­feh­lerfrei als Wider­rufs­er­klärung ausgelegt hat, waren die Parteien gemäß § 355 Abs. 1 BGB nicht mehr an ihre auf den Abschluss des Vertrages gerichteten Willen­s­er­klä­rungen gebunden mit der Folge, dass die beklagte Online-Händlerin den Kaufpreis und die verauslagten Transportkosten an den Kläger zu erstatten hat. Die Revision der Beklagten hatte daher keinen Erfolg.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Widerrufsrecht

Widerrufsrecht '>

Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernab­satz­ver­trägen ein Widerrufsrecht nach § 355 zu.

Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei Verträgen:

[...]

[...]

3. Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesund­heits­schutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde

[...]

§ 355 BGB Widerrufsrecht bei Verbrau­cher­ver­trägen

Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willen­s­er­klä­rungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willen­s­er­klärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf eindeutig hervorgehen. [...]

[...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online (pm/kg)

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