04.12.2024
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Sie sehen Geld, auf dem das Wort „Insolvenz“ arrangiert wurde.

Dokument-Nr. 21179

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Urteil17.06.2015BundesgerichtshofVIII ZR 19/14
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • GE 2015, 1089Das Grundeigentum - Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft (GE), Jahrgang: 2015, Seite: 1089
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Kassel, Urteil18.01.2013, 454 C 4666/09
  • Landgericht Kassel, Urteil12.12.2013, 1 S 73/13
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil17.06.2015

Vermieter darf insolventem Mieter nach "Freigabe" der Mietver­hältnisse durch den Insol­venz­ver­walter wegen Mietrückständen fristlos kündigenKündi­gungs­sperre gemäß § 112 Nr. 1 InsO dient Schutz der Insolvenzmasse und nicht persönlichem Schutz des Mieters vor dem Verlust der Wohnung

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass ein Vermieter einem in der Verbraucher­insolvenz befindlichen Mieter nach der "Freigabe" des Mietver­hält­nisses seitens des Insol­venz­ver­walters/Treuhänders eine außer­or­dentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs aussprechen darf und sich dabei auch auf Mietrückstände stützen kann, die bereits vor der Insolvenz­antrag­stellung entstanden sind.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte ist seit dem Jahr 1988 Mieter einer im Eigentum der Klägerin stehenden Wohnung. Die monatliche Gesamtmiete beträgt 530,90 Euro.

Vermieterin kündigt Mietverhältnis unter Berufung auf aufgelaufene Mietrückstände

Auf seinen Antrag wurde am 17. Juni 2010 das Verbrau­che­r­in­sol­venz­ver­fahren über sein Vermögen eröffnet. Die Treuhänderin erklärte am 1. Juli 2010 die "Freigabe" des Mietver­hält­nisses nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO. Der Beklagte zahlte in den Monaten März 2009 bis Oktober 2012 keine oder nur einen Teil der Miete. Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis im Oktober 2012 unter Berufung auf seit März 2009 aufgelaufene Mietrückstände in Höhe von insgesamt 14.806,36 Euro fristlos nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b BGB**.

Fristlose Kündigung kann auch auf vor Eröffnung des Insol­venz­ver­fahrens aufgelaufene Mietrückstände gestützt werden

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben, das Landgericht hat sie abgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Revision der Klägerin hatte Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof hat entschied, dass die Kündi­gungs­sperre des § 112 Nr. 1 InsO**** mit Wirksamwerden der Enthaf­tungs­er­klärung (auch Freiga­be­er­klärung genannt) nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO entfällt und eine außer­or­dentliche Kündigung auch auf Mietrückstände gestützt werden kann, die vor der Eröffnung des Insol­venz­ver­fahrens aufgelaufen sind.

Mieter kann Kündi­gungs­folgen durch Zahlung der Mietrückstände aus pfändungsfreiem Vermögen abwenden

Die Enthaf­tungs­er­klärung bewirkt, dass das Mietverhältnis nicht mehr massebefangen ist, sondern in die Verfü­gungs­be­fugnis der Vertrags­parteien zurückfällt, sodass eine Kündigung grundsätzlich möglich ist. Sinn und Zweck der in § 112 Nr. 1 InsO geregelten Kündi­gungs­sperre stehen dem nicht entgegen, denn die Norm dient dem Schutz der Insolvenzmasse und einer möglichen Fortführung des Schuld­ner­un­ter­nehmens und gerade nicht dem persönlichen Schutz des bei Insol­ven­z­an­trags­stellung im Zahlungsverzug befindlichen Mieters/Schuldners vor dem Verlust der Wohnung. Auch § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO soll lediglich verhindern, dass der Mieter ein Verbrau­che­r­in­sol­venz­ver­fahren nur um den Preis des Verlusts der Wohnung durch die Kündigung seitens des Treuhänders einleiten kann. Der soziale Mieterschutz wird auch im Insolvenzfall dadurch gewährleistet, dass der Mieter die Kündi­gungs­folgen durch Zahlung der Mietrückstände gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB aus seinem pfändungsfreien Vermögen abwenden kann; auch ist eine Befriedigung der Mietschulden von dritter Seite, insbesondere öffentlicher Stellen trotz des laufenden Insol­venz­ver­fahrens möglich.

Das Gleiche gilt auch während des Restschuld­be­frei­ungs­ver­fahrens (§§ 286 ff. InsO).

Zurück­be­hal­tungsrecht in Höhe vierfacher Mängelminderung nicht nachvollziehbar

Soweit das Landgericht dem Beklagten - neben der Minderung der Bruttomiete in Höhe von 20 % - monatlich ein Zurück­be­hal­tungsrecht in Höhe des vierfachen Minde­rungs­be­trages, mithin in Höhe von 80 % zugestanden und daher einen Zahlungsverzug insgesamt verneint hat, hat es das tatrichterliche Beurtei­lungs­er­messen durch die schematische Bemessung und zeitlich unbegrenzte Zubilligung des Zurück­be­hal­tungs­rechts überschritten. Es hat die Besonderheiten des auf dauernden Leistungs­aus­tausch gerichteten Wohnraum­miet­ver­hält­nisses außer Acht gelassen und ist darüber hinaus weder dem Zweck des Zurück­be­hal­tungs­rechts noch dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit gerecht geworden. Das Leistungs­ver­wei­ge­rungsrecht des § 320 BGB dient im Rahmen eines Mietver­hält­nisses dazu, auf den Vermieter - vorübergehend - Druck auszuüben, damit dieser - allerdings der Natur der Sache nach nur für die Zukunft - wieder eine mangelfreie Wohnung bereitstellt. Für die Zeit vor der Mängel­be­sei­tigung wird das Äquiva­lenz­ver­hältnis zwischen der (mangelhaften) Wohnung und der Miete durch die Minderung gewahrt.

Einbehaltener Betrag muss in angemessener Relation zur Bedeutung des Mangels stehen

Unter Berück­sich­tigung dessen ist es verfehlt, das Leistungs­ver­wei­ge­rungsrecht des Wohnraummieters aus § 320 BGB ohne zeitliche Begrenzung auf einen mehrfachen Betrag der monatlichen Minderung oder der Mangel­be­sei­ti­gungs­kosten zu bemessen. Vielmehr kann es redlicherweise nur so lange ausgeübt werden, als es noch seinen Zweck erfüllt, den Vermieter durch den dadurch ausgeübten Druck zur Mangel­be­sei­tigung anzuhalten. Auch muss der insgesamt einbehaltene Betrag in einer angemessenen Relation zu der Bedeutung des Mangels stehen. Der Mieter ist hierdurch nicht rechtlos gestellt, denn unbeschadet des Minde­rungs­rechts kann er u.a. auf Mangel­be­sei­tigung klagen oder in geeigneten Fällen den Mangel - ggf. nach Geltendmachung eines Vorschuss­an­spruchs - selbst beseitigen.

*§ 320 BGB Einrede des nicht erfüllten Vertrags

(1) Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist [...]

**§ 543 BGB Außer­or­dentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund

(1) Jede Partei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. [...]

(2) Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn [...]

3. der Mieter [...]

b) in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.

**§ 109 InsO Schuldner als Mieter oder Pächter

(1) Ein Miet- oder Pachtverhältnis über [...] Räume, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen ist, kann der Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung kündigen; die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist.

Ist Gegenstand des Mietver­hält­nisses die Wohnung des Schuldners, so tritt an die Stelle der Kündigung das Recht des Insol­venz­ver­walters zu erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der in Satz 1 genannten Frist fällig werden, nicht im Insol­venz­ver­fahren geltend gemacht werden können. [...]

****§ 112 InsO Kündi­gungs­sperre

Ein Miet- oder Pachtverhältnis, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen ist, kann der andere Teil nach dem Antrag auf Eröffnung des Insol­venz­ver­fahrens nicht kündigen:

1. wegen eines Verzuges mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der Zeit vor der Eröffnung eingetreten ist.

2. wegen einer Verschlech­terung der Vermö­gens­ver­hältnisse des Schuldners.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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