18.10.2024
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Sie sehen eine Einbauküche in einer Wohnung.

Dokument-Nr. 27440

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Urteil22.05.2019BundesgerichtshofVIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17
Vorinstanz:
  • Vorinstanzen zu VIII ZR 180/18: Amtsgericht Charlottenburg - Urteil vom 17. Juli 2017 - 231 C 565/16 Landgericht Berlin - Urteil vom 9. Mai 2018 - 64 S 176/17 und Vorinstanten zu VIII ZR 167/17: Amtsgericht Halle - Urteil vom 11. Oktober 2016 - 95 C 1281/16 Landgericht Halle -Urteil vom 5. Juli 2017 - 1 S 245/16
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil22.05.2019

Eigen­bedarfs­kündigung: Bundes­ge­richtshof mahnt sorgfältige Sach­verhalts­aufklärung bei Härte­fa­ll­klausel anBei angeführter Verschlech­terung seines Gesundheits­zu­standes durch erzwungenen Umzug ist regelmäßig von Amts wegen Sach­verständigen­gutachten einzuholen

Der Bundes­ge­richtshof hat in zwei Entscheidungen seine Rechtsprechung zu der Frage präzisiert, wann ein Mieter nach einer ordentlichen Kündigung die Fortsetzung des Mietver­hält­nisses wegen unzumutbarer Härte verlangen kann (§ 574 Abs. 1 und Abs. 2 BGB).

Sachverhalt im Verfahren VIII ZR 180/18:

Die im Jahr 1937 geborene Beklagte zu 1 ist seit 1974 Mieterin einer ca. 73 qm großen Dreizim­mer­wohnung in Berlin, die sie mit ihren beiden über 50 Jahre alten Söhnen bewohnt. Der Kläger, der mit seiner Ehefrau und zwei Kleinkindern bislang zur Miete in einer 57 qm großen Zweizim­mer­wohnung lebt, hat die Wohnung im Jahr 2015 zwecks Eigennutzung erworben.

Beklagte widerspricht Kündigung mit Verweis auf lange Mietdauer und Demen­z­er­krankung

Der vom Kläger ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung widersprach die Beklagte zu 1, weil ihr ein Umzug aufgrund ihres Alters, ihrer Verwurzelung in der Umgebung durch die lange Mietdauer sowie einer Demen­z­er­krankung, die sich durch den Umzug weiter zu verschlechtern drohe, nicht zumutbar sei. Nach einem in der Berufungs­instanz vorgelegten Attest leidet die Beklagte zu 1 an einer Demenz, die seit ca. 1-2 Jahren fortschreite. Sie sei nur noch bedingt in der Lage, Neues zu erlernen und sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden, weshalb ein Umzug mit einer Verschlech­terung ihres Gesund­heits­zu­standes einhergehen würde.

LG: Mietverhältnis muss wegen Härtefalls auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden

Das Berufungs­gericht wies die Räumungsklage ab. Es erachtete zwar die Eigen­be­da­rfs­kün­digung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) des Klägers für wirksam, bestimmte jedoch wegen eines von ihm bejahten Härtefalls (§ 574 Abs. 1 Satz 1 BGB), dass das Mietverhältnis der Parteien auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werde (§ 574 a Abs. 2 Satz 2 BGB).

Sachverhalt im Verfahren VIII ZR 167/17:

Die Beklagten zu 1 und 2 sind seit 2006 Mieter einer Doppel­haus­hälfte der Kläger in einem Dorf in der Nähe von Halle. In dem Haus leben auch noch der volljährige Sohn der Beklagten zu 1 (Beklagter zu 3) sowie der Bruder des Beklagten zu 2 (Beklagter zu 4). Im Jahr 2015 kündigten die Kläger das Mietverhältnis mit der Begründung, dass die geschiedene, bisher in Bayern lebende Ehefrau (Klägerin zu 1) in die Doppel­haus­hälfte einziehen wolle, um ihre dort in der Nähe lebende betagte Großmutter besser betreuen zu können.

Erzwungener Umzug würde nach eigener Aussage zu erheblicher Verschlech­terung des Gesund­heits­zu­standes des Mieters führen

Die Beklagten widersprachen der Kündigung. Der Eigenbedarf sei vorgeschoben, der wahre Grund für die Kündigung seien Streitigkeiten über Mängel der Wohnung. Darüber hinaus beriefen sie sich hinsichtlich der Beklagten zu 1 und 4 auf Härtegründe, insbesondere auf die schwere Erkrankung des Beklagten zu 4. Dieser ist in die Pflegestufe II eingruppiert und leidet an diversen Erkrankungen beziehungsweise Einschränkungen der Alltags­kom­petenz (Schizophrenie, Alkohol­krankheit, Inkontinenz, Demenz, Abwehrhaltung bei der Pflege). Er wird von seinem als Betreuer bestellten Bruder (Beklagter zu 2) und auch von der Beklagten zu 1 im häuslichen Bereich versorgt. Nach einem in der Berufungs­instanz vorgelegten ärztlichen Attest eines Psychiaters würde ein erzwungener Umzug unweigerlich zu einer erheblichen Verschlech­terung des Gesund­heits­zu­standes des Beklagten zu 4 führen.

Berufungs­gericht verneint Vorliegen unzumutbarer Härte

Die Vorinstanzen erachteten die Eigen­be­da­rfs­kün­digung für begründet und gaben der Räumungsklage der Kläger (ohne eine Beweisaufnahme über den streitigen Eigenbedarf) statt. Ein von den Beklagten beantragtes Sachver­stän­di­gen­gut­achten zur drohenden Verschlech­terung des Gesund­heits­zu­stands des Beklagten zu 4 wurde gleichfalls nicht eingeholt. Das Vorliegen einer unzumutbaren Härte hat das Berufungs­gericht mit der Begründung verneint, dass sich aus dem für den Beklagten zu 4 vorgelegten Attest eine drohende schwerwiegende Beein­träch­tigung oder drohende Lebensgefahr nicht ergebe.

BGH verweist auf notwendige umfassende Sachver­halts­auf­klärung

Der Bundes­ge­richtshof hat in beiden Fällen das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen, insbesondere zum Bestehen von Härtegründen. Da sowohl auf Seiten des Vermieters wie auf Seiten des Mieters grundrechtlich geschützte Belange (Eigentum, Gesundheit) betroffen seien, sei eine umfassende Sachver­halts­auf­klärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich, ob im jeweiligen Einzelfall die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietver­hält­nisses diejenigen des Vermieters an dessen Beendigung überwiegen (§ 574 Abs. 1 BGB).

Bildung allgemeiner Fallgruppen nicht möglich

Allgemeine Fallgruppen, etwa ein bestimmtes Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer, in denen generell die Interessen einer Partei überwiegen, lassen sich - entgegen einer teilweise bei den Insta­nz­ge­richten anzutreffenden Tendenz - nicht bilden. So würden sich etwa die Faktoren Alter und lange Mietdauer mit einer damit einhergehenden Verwurzelung im bisherigen Umfeld je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich stark auswirken und würden laut Bundes­ge­richtshof deshalb ohne weitere Feststellungen zu den sich daraus ergebenden Folgen im Fall eines erzwungenen Wohnungs­wechsels grundsätzlich nicht die Annahme einer Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB rechtfertigen.

Gericht müssen sich bei möglichen Härtefällen im Zweifel mittels sachver­ständiger Hilfe genaues Bild der Sachlage verschaffen

Werden von dem Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungs­wechsels indes substantiiert ihm drohende schwerwiegende Gesund­heits­ge­fahren geltend gemacht, haben sich die Gerichte - wie der Senats bereits mit Urteil vom 15. März 2017 ausgesprochen hat - beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachver­ständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesund­heit­lichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesund­heits­be­ein­träch­ti­gungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrschein­lichkeit dies eintreten kann.

Regelmäßig von Amts wegen einzuholendes Sachver­stän­di­gen­gut­achten soll angemessene Abwägung bei Härte­fa­ll­prüfung ermöglichen

Diese Rechtsprechung hat der Senat nunmehr dahin präzisiert, dass ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten regelmäßig von Amts wegen einzuholen sein wird, wenn der Mieter eine zu besorgende Verschlech­terung seines Gesund­heits­zu­standes durch ärztliches Attest belegt hat. Auf diese Weise ist zu klären, an welchen Erkrankungen der betroffene Mieter konkret leidet und wie sich diese auf seine Lebensweise und Autonomie sowie auf seine psychische und physische Verfassung auswirken. Dabei ist auch von Bedeutung, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen mittels Unterstützung durch das Umfeld beziehungsweise durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen. Nur eine solche Aufklärung versetzt die Gerichte in die Lage, eine angemessene Abwägung bei der Härte­fa­ll­prüfung des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmen.

Härte­fa­ll­ab­wägung wurde auf nicht tragfähiger tatsächlicher Grundlage vorgenommen

In dem Verfahren VIII ZR 180/18 ist das Berufungs­gericht zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Eigen­be­da­rfs­kün­digung des Klägers wirksam ist. Es hat jedoch dem Erlan­gungs­in­teresse des Klägers rechts­feh­lerhaft deshalb ("schematisch") ein geringeres Gewicht beigemessen, weil dieser eine vermietete Wohnung erworben hat. Zudem hat es die Härte­fa­ll­ab­wägung im Rahmen des § 574 BGB ohne die gebotene Aufklärung über zu besorgende erhebliche Verschlech­te­rungen des Gesund­heits­zu­standes der Beklagten zu 1 (Einholung eines Sachver­stän­di­gen­gut­achtens) und somit auf einer nicht tragfähigen tatsächlichen Grundlage vorgenommen.

Berufungs­gericht hätte Zeugenbeweis über Ernsthaftigkeit des geltend gemachten Bedarfs erheben müssen

In dem Verfahren 167/17 hat das Berufungs­gericht schon die Wirksamkeit der Eigen­be­da­rfs­kün­digung rechts­feh­lerhaft bejaht, weil es sich - trotz Bestreitens des Eigenbedarfs durch die Beklagten - mit dem schrift­sätz­lichen Vortrag der Kläger begnügt hat, statt den angebotenen Zeugenbeweis über die Ernsthaftigkeit des geltend gemachten Bedarfs zu erheben und gegebenenfalls die Klägerin zu 1 persönlich anzuhören. Zudem hat das Berufungs­gericht die für den Beklagten zu 4 substantiiert dargelegten und durch Atteste belegten Härtegründe bagatellisiert und ebenfalls versäumt, ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten zu den Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs auf den Gesund­heits­zustand des Beklagten zu 4 einzuholen. Letztlich hat es ohne die erforderliche konkrete Abwägung zwischen den Interessen des Mieters und des Vermieters der Vermieterseite den Vorrang eingeräumt.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Erläuterungen

§ 573 BGB Ordentliche Kündigung des Vermieters

(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietver­hält­nisses hat. [...]

(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietver­hält­nisses liegt insbesondere vor, wenn

[...]

2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familien­an­ge­hörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt [...]

§ 574 Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung

(1) Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietver­hält­nisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietver­hält­nisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. 2 Dies gilt nicht, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zur außer­or­dent­lichen fristlosen Kündigung berechtigt.

(2) Eine Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.

[...]

§ 574 a BGB Fortsetzung des Mietver­hält­nisses nach Widerspruch

(1) Im Falle des § 574 kann der Mieter verlangen, dass das Mietverhältnis so lange fortgesetzt wird, wie dies unter Berück­sich­tigung aller Umstände angemessen ist. Ist dem Vermieter nicht zuzumuten, das Mietverhältnis zu den bisherigen Vertrags­be­din­gungen fortzusetzen, so kann der Mieter nur verlangen, dass es unter einer angemessenen Änderung der Bedingungen fortgesetzt wird.

(2) Kommt keine Einigung zustande, so werden die Fortsetzung des Mietver­hält­nisses, deren Dauer sowie die Bedingungen, zu denen es fortgesetzt wird, durch Urteil bestimmt. Ist ungewiss, wann voraussichtlich die Umstände wegfallen, auf Grund derer die Beendigung des Mietver­hält­nisses eine Härte bedeutet, so kann bestimmt werden, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird.

[...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online (pm/kg)

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