21.11.2024
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Dokument-Nr. 8941

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Urteil16.12.2009BundesgerichtshofVIII ZR 119/08
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Oranienburg, Urteil19.03.2008, 22 C 83/06
  • Oberlandesgericht Brandenburg, Urteil02.04.2008, 3 U 84/07
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil16.12.2009

BGH zur internationalen Zuständigkeit bei Verträgen über Teilzeit­wohn­rechteDeutsches Gericht darf auch international tätig sein

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass Verordnungen über die gerichtlichen Zuständigkeiten der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bei Wohnsitz­zu­stän­dig­keiten nicht entgegenstehen, so dass deutsche Gerichte auch international zuständig sein können. Generell sind zwar bei einer Miete von unbeweglichen Sachen ausschließlich die Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, tritt jemand aber einem Verein bei, ist dies deshalb nicht unbedingt als Miete einer unbeweglichen Sache einzustufen. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein nach öster­rei­chischem Recht, der seinen Mitgliedern Ferien­wohn­rechte in einer Hotelanlage verschafft. Mit "Zeich­nungs­schein" vom 29. Mai 1995 trat der in Deutschland wohnhafte Beklagte dem Kläger bei und erwarb ein Ferienwohnrecht an einem bestimmt bezeichneten Appartement für die jeweilige Jahreswoche 50 zu einem Preis von 15.600 DM. Die Vereinsstatuten des Klägers sehen vor, dass die Mitglieder jährliche Beiträge zur Deckung der für die Erhaltung der Anlage erforderlichen Aufwendungen aufzubringen haben. Mit seiner Klage macht der Kläger die Jahresbeiträge für die Jahre 2003 bis 2005 in Höhe von insgesamt 1.206,37 € nebst Verzugszinsen geltend. Das Amtsgericht hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Das Berufungs­gericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungs­an­spruch weiter.

Beitritt zu Verein führt nicht zur Einstufung als Miete einer unbeweglichen Sache

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass Art. 22 Nr. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen* (im Folgenden: EuGVVO) der Wohnsitz­zu­stän­digkeit (Art. 2 EuGVVO**) hier nicht entgegensteht, so dass die deutschen Gerichte international zuständig sind. Er hat das Berufungsurteil daher aufgehoben, und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Zwar sind für Klagen, welche die Miete von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, nach Art. 22 Nr. 1 Unterabs. 1 EuGVVO ohne Rücksicht auf den Wohnsitz ausschließlich die Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Der Beitritt des Beklagten zu dem klägerischen Verein ist aber nach der Gestaltung der hier in Rede stehenden Vereinsstatuten nicht als Miete einer unbeweglichen Sache im Sinne von Art. 22 Nr. 1 Unterabs. 1 EuGVVO einzustufen.

Allgemeine Zustän­dig­keits­regeln dürfen nur in Ausnahmen weiter ausgelegt werden

Die Vorschrift gilt für Klagen, die die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen im eigentlichen Sinn zum Gegenstand haben, bei denen also zwischen den Parteien über das Bestehen oder die Auslegung des Vertrags, den Ersatz für vom Mieter oder Pächter verursachte Schäden oder die Räumung der Sache gestritten wird. Der Hauptgrund für die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Belegen­heits­staats besteht darin, dass sie wegen der räumlichen Nähe am besten in der Lage sind, sich genaue Kenntnis des Sachverhalts zu verschaffen und die insoweit geltenden Regeln und Gebräuche anzuwenden. Als Ausnahme von den allgemeinen Zustän­dig­keits­regeln darf die Vorschrift jedoch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Bundes­ge­richtshofs nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Ziel erfordert, da sie bewirkt, dass den Parteien die ihnen sonst mögliche Wahl des Gerichtsstands genommen wird und sie in bestimmten Fällen vor einem Gericht zu verklagen sind, das für keine von ihnen das Gericht ihres Wohnsitzes ist. Bei einem Vertrag über eine Clubmit­glied­schaft, der es den Mitgliedern ermöglicht, ein Teilzeit­nut­zungsrecht zu erwerben, ist maßgeblich, ob der Zusammenhang zwischen dem Vertrag und der Immobilie, die tatsächlich genutzt werden kann, hinreichend eng ist, um die Einordnung des Vertrags als Miete einer unbeweglichen Sache zu rechtfertigen. Dabei kann von Bedeutung sein, ob die zu nutzende Immobilie im Einzelnen bestimmt ist und ob und in welchem Umfang der Vertrag die Erbringung zusätzlicher Leistungen vorsieht. Ein gemischter Vertrag, kraft dessen gegen einen von dem Kunden gezahlten Gesamtpreis eine Gesamtheit von Dienst­leis­tungen zu erbringen ist, liegt außerhalb des Bereichs, in dem der in Art. 22 Nr. 1 EuGVVO aufgestellte Grundsatz der ausschließ­lichen Zuständigkeit seine Daseins­be­rech­tigung hat, und ist kein eigentlicher Mietvertrag im Sinne dieser Vorschrift.

Vereinsvertrag unterscheidet sich deutlich von Mietvertrag

Nach diesen Grundsätzen ist ein enger Zusammenhang zwischen der Vereins­mit­glied­schaft und dem Ferienwohnrecht hier nicht gegeben. Zwar ist die Immobilie, die aufgrund der Vereins­mit­glied­schaft tatsächlich genutzt werden kann, durch die Bezeichnung eines Appartements und der Nutzungszeit im Einzelnen bestimmt. Hauptgegenstand des vorliegenden Vertrags ist aber nicht die Miete einer unbeweglichen Sache, sondern eine Vereins­mit­glied­schaft. Vereinszweck ist nach den Vereinsstatuten neben der Überlassung von Ferien­wohn­rechten an die Mitglieder auch die Erhaltung und Verwaltung der gesamten Hotelanlage; die Mitglieder haben die Kosten für die Instandhaltung der Hotelanlage aufzubringen und die laufenden Ausgaben des gesamten Hotelbetriebs zu decken. Die dafür zu leistenden Beiträge treten zu dem ursprünglichen Erwerbspreis hinzu und haben im Verhältnis zu diesem ein erhebliches Gewicht. Die Vereins­mit­glied­schaft umfasst deshalb Rechte und Pflichten, die über die Übertragung des Nutzungsrechts hinausgehen und den Vertrag auch wirtschaftlich entscheidend prägen. Da für die Beschlüsse des Klägers das Mehrheits­prinzip gilt, können den Mitgliedern zur Verfolgung der Vereinszwecke ferner auch Pflichten auferlegt werden, die eine Minderheit nicht billigt. Dieses – jeder Vereins­mit­glied­schaft immanente – Risiko, dem im deutschen Recht durch die zwingende Vorschrift des § 39 BGB*** Rechnung getragen wird, wird hier dadurch noch erhöht, dass – wie das Berufungs­gericht festgestellt hat - die Mitgliedschaft in dem nach öster­rei­chischem Recht gegründeten Verein ursprünglich mindestens 99 Jahre dauern sollte und nunmehr nach einer Satzung­s­än­derung frühestens nach 15 Jahren durch ordentliche Kündigung beendet werden kann. Auch durch dieses weitere, rechtlich wie wirtschaftlich gewichtige Element unterscheidet sich der hier zu beurteilende Vertrag von einem Mietvertrag im eigentlichen Sinne.

Erläuterungen

* Art. 22 Nr. 1 Unterabs. 1 EuGVVO lautet: "Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig: für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie Miete und Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist."

** Art. 2 Abs. 1 EuGVVO lautet: "Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staats­an­ge­hö­rigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen."

*** § 39 BGB lautet: "(1) Die Mitglieder sind zum Austritt aus dem Verein berechtigt. (2) Durch die Satzung kann bestimmt werden, dass der Austritt nur am Schluss eines Geschäftsjahrs oder erst nach dem Ablauf einer Kündigungsfrist zulässig ist; die Kündigungsfrist kann höchstens zwei Jahre betragen."

Quelle: ra-online, BGH

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