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Bundesgerichtshof Urteil10.02.2022
BGH verneint Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB bei Erwerb eines vom Dieselskandal betroffenen GebrauchtwagensVW profitiert als Hersteller nicht vom Gebrauchtwagenkauf
Der Bundesgerichtshof hat in fünf gleichzeitig verhandelten "Dieselverfahren" betreffend die Volkswagen AG, denen jeweils der Erwerb eines Gebrauchtwagens zugrunde lag, entschieden, dass nach Eintritt der Verjährung des gegen den Hersteller gerichteten Schadensersatzanspruchs des Erwerbers aus § 826 BGB kein Anspruch des Erwerbers gegen den Hersteller gemäß § 852 Satz 1 BGB besteht.
In den fünf Verfahren nahm die jeweilige Klagepartei die beklagte Volkswagen AG als Fahrzeug- bzw. Motorherstellerin auf Zahlung von Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Anspruch. Die von den Klageparteien jeweils gebraucht bei einem Autohändler bzw. einem Dritten erworbenen Fahrzeuge sind mit Dieselmotoren der Baureihe EA 189 (EU 5) ausgestattet. Diese verfügten zum Zeitpunkt des Kaufs über eine Software, welche erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte. Die Klageparteien verlangen jeweils im Wesentlichen - unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung - die Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Die Beklagte hat jeweils die Einrede der Verjährung erhoben.
Klagen in den Vorinstanzen überwiegend erfolglos
Die Kläger erwarben im August 2011 und im September 2015 einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw . Sie reichten zwischen Dezember 2019 und September 2020 jeweils Klage ein. Die Klagen hatten in den Vorinstanzen überwiegend keinen Erfolg. Die Oberlandesgerichte hatte angenommen, dem Anspruch der Kläger aus § 826 BGB stehe die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Die dreijährige Verjährungsfrist habe gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB jeweils mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen und daher mit Ablauf des Jahres 2018, also jeweils vor Klageerhebung, geendet. Den Klägern stehe auch kein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB zu, da sie die Fahrzeuge als Gebrauchtwagen erworben hätten und die Beklagte nichts auf ihre Kosten erlangt habe.
Schadensersatzansprüchen gemäß § 826 BGB in vier der fünf Verfahren verjährt
Mit ihren in allen fünf Verfahren jeweils vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen haben die Klageparteien ihre Klagebegehren weiterverfolgt. Der BGH hat in vier Verfahren die Revisionen zurückgewiesen; im fünften Verfahren (VII ZR 396/21) führte die Revision des dortigen Klägers zur Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Schadensersatzansprüchen der Klageparteien gemäß § 826 BGB stand in den Verfahren VII ZR 365/221, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21 die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen, weil die insoweit maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB jeweils vor Klageerhebung abgelaufen war. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist .
Kenntnis vom Dieselskandal in allen fünf Fällen gegeben
Dass die jeweilige Klagepartei allgemeine Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte, war in den Verfahren VII ZR 365/21 und VII ZR 679/21 unstreitig; in den drei übrigen Verfahren hatten die Berufungsgerichte dies aufgrund der gebotenen tatrichterlichen Würdigung rechtsfehlerfrei festgestellt. In den Verfahren VII ZR 365/21 und VII ZR 717/21 konnte auf sich beruhen, ob den dortigen Klägern infolge grober Fahrlässigkeit die konkrete Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal im Jahr 2015 unbekannt geblieben war. Denn die Klageparteien hatten jedenfalls im Jahr 2016 aufgrund eines Kundenanschreibens der Beklagten, aus dem sich die Betroffenheit ihrer Fahrzeuge ergab, positive Kenntnis hiervon. Da ihnen die Klageerhebung noch im Jahr 2016 zumutbar war, konnte die erst 2020 eingereichte Klage die schon mit Ende des Jahres 2019 abgelaufene dreijährige Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht mehr hemmen.
Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von Betroffenheit gegeben
In den Verfahren VII ZR 679/21 und VII ZR 692/21 ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass die Klageparteien, die im Jahr 2015 allgemeine Kenntnis vom Dieselskandal erlangt und die sich bis Ende 2016 keine Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs verschafft hatten, obwohl dies anhand öffentlich zugänglicher Informationsquellen wie der von der Beklagten gestellten Online-Plattform leicht möglich gewesen wäre, der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von dieser Betroffenheit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB trifft und den Parteien die Klageerhebung noch im Jahr 2016 auch zumutbar war. Daher lief die dreijährige Verjährungsfrist auch hier jeweils Ende des Jahres 2019 ab.
Zuwarten des Klägers im Verfahren VII ZR 396/21 verständlich
Soweit im Verfahren VII ZR 396/21 das Berufungsgericht von einer solchen grob fahrlässigen Unkenntnis des dortigen Klägers schon im Jahre 2015 ausgegangen ist, erwies sich dies als rechtsfehlerhaft. Selbst wenn es dem Kläger noch in dem verbleibenden - kurzen - Zeitraum seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals und der Freischaltung der betreffenden Online-Plattform im Oktober 2015 bis zum Jahresende möglich gewesen sein sollte, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, liegt darin, dass er in dem genannten Zeitraum hiervon keinen Gebrauch machte, kein schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten. Mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten war und auch weitere Erklärungen angekündigt hatte, war ein Zuwarten des Klägers zumindest bis zum Ende des Jahres 2015 nicht schlechterdings unverständlich. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB sei verjährt, konnte daher keinen Bestand haben.
Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass VW vom Verkauf profitiert hätte
Soweit - mit Ausnahme des Verfahrens VII ZR 396/21 - die jeweils mit der Klage geltend gemachten Ansprüche der Klageparteien aus § 826 BGB verjährt waren, haben die Berufungsgerichte einen Anspruch der Klageparteien gemäß § 852 Satz 1 BGB zu Recht verneint. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sollen demjenigen, der einen anderen durch unerlaubte Handlung schädigt und dadurch sein Vermögen mehrt, auch bei Verjährung des Schadensersatzanspruchs nicht die auf diese Weise erlangten Vorteile verbleiben. Die dem Anspruch zugrundeliegende Vermögensverschiebung kann auch durch einen oder mehrere Dritte vermittelt werden, solange sie in einem ursächlichen Zusammenhang mit der unerlaubten Handlung steht. Wenn ein Vermögensverlust beim Geschädigten einen entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger zur Folge gehabt hat, ist er daher nach § 852 Satz 1 BGB auch dann herauszugeben, wenn diese Vermögensverschiebung dem Schädiger durch Dritte vermittelt worden ist. Unberührt bleibt davon die Notwendigkeit, dass der Vermögenszuwachs auf dem Vermögensverlust des Geschädigten beruhen muss. Daher setzt ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB jedenfalls voraus, dass die Herstellerin im Verhältnis zum Geschädigten etwas aus dem Fahrzeugverkauf an diesen erlangt hat.
Keine Vermögensverschiebung zwischen Käufer und VW
Jedenfalls in mehraktigen Fällen wie bei dem Kauf eines von der Herstellerin mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebrachten und von dem Geschädigten erst später von einem Dritten erworbenen Gebrauchtwagens führt der letztgenannte Erwerbsvorgang indes zu keiner Vermögensverschiebung im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und der Herstellerin. Denn der Herstellerin, die einen etwaigen Vorteil bereits mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs als Neuwagen realisiert hat, fließt im Zusammenhang mit dem im Abschluss des ungewollten Vertrags liegenden Vermögensschaden des Geschädigten durch ihre unerlaubte Handlung nichts - mehr - zu. Bei einem Gebrauchtwagenverkauf, der - wie hier - zwischen dem klagenden Geschädigten und einem Dritten abgeschlossen wird, partizipiert die Herstellerin weder unmittelbar noch mittelbar an einem etwaigen Verkäufergewinn aus diesem Kaufvertrag, sei es, dass der Gebrauchtwagen von einer Privatperson oder von einem Händler an den Geschädigten verkauft wurde. Deshalb scheidet in diesen Fällen ein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB aus.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 14.02.2022
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)
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