21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil14.11.2006

Arzt haftet für Unterhalt nach fehlerhaften Verhü­tungs­maß­nahmenEltern erhalten Unter­halts­scha­den­ersatz bis zur Volljährigkeit des "ungewollten" Kindes

Kommt es infolge einer fehlerhaften Verhü­tungs­be­handlung durch den Frauenarzt zu einer ungewollten Schwangerschaft, können Eltern von diesem den gesamten Unterhalt für ihr Kind verlangen. Dieser Anspruch besteht nicht nur für die Mutter sondern auch für ihren nicht verheirateten Partner. Das geht aus einem Urteil des Bundes­ge­richtshofs hervor.

Die Klägerin ist Mutter eines im Dezember 2002 geborenen gesunden Sohnes. Sie verlangt von ihrem Gynäkologen, dem Beklagten, aus eigenem und aus abgetretenem Recht des Kindsvaters Ersatz des den Eltern durch die Unter­halts­ver­pflichtung entstandenen und noch entstehenden Schadens.

Der Beklagte hatte es übernommen, der Klägerin im Januar 2002 das lang wirkende Verhü­tungs­mittel "Implanon" zu verabreichen. Bei diesem Präparat handelt es sich um ein circa 3 mm starkes und wenige Zentimeter langes Plastikröhrchen, welches oberhalb der Ellenbogenbeuge unter die Haut eingebracht wird. Der Beklagte hat die Behandlung abgerechnet, die Klägerin hat sie bezahlt. Im Juli 2002 stellte der Beklagte bei der Klägerin eine Schwangerschaft in der 16. Woche fest. Das "Implanon"-Implantat konnte nicht mehr gefunden werden. Der Wirkstoff des "Implanons" konnte im Blut der Klägerin nicht nachgewiesen werden. Die Klägerin konnte wegen der Schwangerschaft und der Betreuung des Kindes eine ihr zugesagte Arbeitsstelle nicht antreten. Der Vater des Kindes, den die Klägerin im Zeitpunkt der Zeugung etwa seit einem halben Jahr kannte, hat die Vaterschaft anerkannt, lebt aber nicht mit der Klägerin zusammen. Er kommt seiner Unter­halts­pflicht gegenüber dem gemeinsamen Sohn nach.

Die Klägerin hat dem Beklagten vorgeworfen, dass ihm beim Einsetzen des Verhü­tungs­mittels ein Behandlungsfehler unterlaufen sei. Das Oberlan­des­gericht hat den Beklagten verurteilt, an die Klägerin Unter­halts­scha­den­s­ersatz für den zurück liegenden Zeitraum (Dezember 2002 bis Dezember 2005) und bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Sohnes monatlich im Voraus in Höhe von 270 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe der Regel­be­trags­ver­ordnung abzüglich des jeweiligen gesamten Kindergeldes zu bezahlen. Die dagegen gerichtete Revision des beklagten Arztes hat der unter anderem für das Arzthaf­tungsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs zurückgewiesen.

Das Oberlan­des­gericht hat einen Behand­lungs­fehler des Beklagten beim Einsetzen des Verhü­tungs­mittels festgestellt. Auf dieser Grundlage ist unter den Umständen des vorliegenden Falles eine Haftung des Arztes für den Unter­halts­schaden der Eltern zu bejahen. Dies ergibt sich bereits aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs zur "fehlge­schlagenen" Familienplanung, wie sie das Bundes­ver­fas­sungs­gericht gebilligt hat. Die perso­nen­rechtliche Beziehung zwischen Eltern und Kind spricht nicht dagegen, in derartigen Fällen die Belastung mit einer Unter­halts­ver­pflichtung als Vermö­gens­schaden anzusehen. Im Bereich der Arzthaftung gilt wie in jedem anderen Bereich der Vertragshaftung, dass der durch eine schuldhafte Vertrags­ver­letzung verursachte Schaden zu ersetzen ist.

Eine Ersatzpflicht des Arztes besteht auch dann, wenn die gegenwärtige berufliche und wirtschaftliche Planung einer jungen Frau durchkreuzt wird und die zukünftige Planung noch nicht endgültig absehbar ist. Gerade in solchen Fällen kann der Fehler des Arztes zu erheblichen wirtschaft­lichen Folgen führen. In den Schutzbereich eines auf Schwan­ger­schafts­ver­hütung gerichteten Vertrages zwischen Arzt und Patientin ist nicht nur ein ehelicher, sondern auch der jeweilige nichteheliche Partner einbezogen, der vom Fehlschlagen der Verhütung ebenfalls betroffen ist. Zu ersetzen ist nur das Existenzminimum des Kindes, welches das Oberlan­des­gericht hier zutreffend berechnet hatte.

Erläuterungen

Vorinstanzen

LG Waldshut-Tiengen - 2 O 70/04

OLG Karlsruhe - 13 U 134/04 - Ungewolltes Kind - auch nichtehelicher Vater hat Schadens­ersatzanspruch

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 160/06 des BGH vom 14.11.2006

der Leitsatz

BGB § 280 Abs. 1, § 328

ZPO § 287

a) In den Schutzbereich eines auf Schwan­ger­schafts­ver­hütung gerichteten Vertrages zwischen Arzt und Patientin ist nicht nur ein ehelicher, sondern auch der jeweilige nichteheliche Partner einbezogen, der vom Fehlschlagen der Verhütung betroffen ist.

b) Eine Ersatzpflicht des Arztes besteht in derartigen Fällen auch dann, wenn die gegenwärtige berufliche und wirtschaftliche Planung der Mutter durchkreuzt wird und die zukünftige Planung nicht endgültig absehbar ist; einer abgeschlossenen Familienplanung in dem Sinne, dass auch die hypothetische Möglichkeit eines späteren Kinderwunsches völlig ausgeschlossen sein muss, bedarf es nicht.

c) Der Tatrichter darf bei der Bemessung des Betreu­ungs­un­ter­halts­schadens einen Zuschlag in Höhe des Barun­ter­halts­schadens (135 % des Regelsatzes der Regelbetrag-Verordnung) als angemessenen Schadens­aus­gleich ansehen, sofern nicht die Umstände des Falles eine abweichende Bewertung nahe legen.

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