18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 29773

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Bundesgerichtshof Beschluss19.01.2021

Erste BHG-Entscheidung zum Daimler-ThermofensterEntwicklung und Einsatz eines solchen Thermofensters allein begründeten keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung

Der BGH hat sich erstmals zur Thematik des sogenannten "Thermofensters" geäußert und klargestellt, dass die Entwicklung und der Einsatz der temperatur­abhängigen Steuerung des Emissions­kontroll­systems (Thermofenster) für sich genommen nicht ausreichen, um einen Schadens­ersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen.

Der Kläger erwarb 2012 von dem beklagten Fahrzeug­her­steller ein Neufahrzeug vom Typ Mercedes-Benz C 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet war. Die Abgasreinigung erfolgt in dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug über die Abgas­rü­ck­führung. Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stick­o­xi­de­mis­sionen führt. Die Abgas­rü­ck­führung wird bei kühleren Temperaturen reduziert ("Thermofenster"), wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außen­tem­pe­raturen dies der Fall ist. Der Kläger behauptet, die Motorsteuerung reduziere bei einstelligen positiven Außen­tem­pe­raturen die Abgas­rü­ck­führung und schalte sie schließlich ganz ab. Dies führe zu einem erheblichen Anstieg der Stick­o­xi­de­mis­sionen. Er sieht in der Steuerung der Abgas­rü­ck­führung eine unzulässige Abschalt­ein­richtung und behauptet, die Beklagte habe diese Funktion dem KBA gezielt vorenthalten und verschleiert. Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten im Wesentlichen die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungs­ent­schä­digung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.

Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg

Nach Auffassung des Oberlan­des­ge­richts steht dem Kläger kein Schaden­s­er­satz­an­spruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen die Beklagte zu. Das Inver­kehr­bringen des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs sei unabhängig von der objektiven Rechtmäßigkeit oder Rechts­wid­rigkeit des in der Motorsteuerung installierten "Thermofensters" weder als sittenwidrige Handlung einzustufen noch ergebe sich daraus der erforderliche Schädi­gungs­vorsatz der Beklagten. Es könne ohne konkrete Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, dass die Verant­wort­lichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalt­ein­richtung zu verwenden. Die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von "Thermofenstern" nicht eindeutig.

BGH hebt Urteil wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Der Bundes­ge­richtshof hat die Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde des Klägers gemäß § 544 Abs. 9 ZPO wegen Verletzung rechtlichen Gehörs aufgehoben und die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Das Berufungs­gericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Entwicklung und der Einsatz der tempe­ra­tu­r­ab­hängigen Steuerung des Emissi­ons­kon­troll­systems (Thermofenster) für sich genommen nicht ausreichen, um einen Schaden­s­er­satz­an­spruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zu begründen. Das Verhalten der für den beklagten Kraft­fahr­zeug­her­steller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie den streit­ge­gen­ständ­lichen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unter­neh­me­rischen Entscheidung mit einem solchen Thermofenster ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn das Thermofenster als unzulässige Abschalt­ein­richtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren sein sollte und die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebte. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist vielmehr nur dann gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen.

Fall nicht vergleichbar mit dem von VW

Der Einsatz eines sogenannten Thermofensters ist nicht mit der Fallkon­stel­lation zu vergleichen, die dem Senatsurteil zum VW-Motor EA189) zugrunde liegt. Dort hatte der Automo­bil­her­steller die grundlegende strategische Frage, mit welchen Maßnahmen er auf die Einführung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stick­o­xid­grenzwerte der Euro 5-Norm reagieren würde, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse dahingehend entschieden, von der Einhaltung dieser Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motor­steu­e­rungs­software wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten.

Vorliegend kein arglistiges Handeln erkennbar

Bei dem Einsatz eines Thermofensters wie im vorliegenden Fall fehlt es dagegen an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automo­bil­her­stellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Nach den getroffenen Feststellungen unterscheidet die im streit­ge­gen­ständ­lichen Fahrzeug eingesetzte tempe­ra­tur­be­ein­flusste Steuerung der Abgas­rü­ck­führung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstands­betrieb eine verstärkte Abgas­rü­ck­führung aktiviert und den Stick­o­xid­ausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.

Vorwurf der Sitten­wid­rigkeit nur bei Hinzutreten weiterer verwerflicher Umstände gerechtfertigt

Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sitten­wid­rigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem - vom Berufungs­gericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sitten­wid­rigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der tempe­ra­tu­r­ab­hängigen Steuerung des Emissi­ons­kon­troll­systems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalt­ein­richtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.

OLG muss neu verhandeln

Unter den Umständen des Einzelfalles rechts­feh­lerhaft hat das Berufungs­gericht aber angenommen, der Kläger habe für ein derartiges Vorstel­lungsbild sprechende Anhaltspunkte nicht aufgezeigt. Unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör hat es dessen Vorbringen nicht berücksichtigt, wonach die Beklagte im Typge­neh­mi­gungs­ver­fahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgas­rü­ck­füh­rungs­systems gemacht habe. Mit diesem Vorbringen wird sich das Berufungs­gericht zu befassen haben. Dabei wird es zunächst der Beklagten Gelegenheit zur Erwiderung auf dieses Vorbringen geben müssen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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