03.12.2024
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Sie sehen den Auspuff eines Autos.

Dokument-Nr. 33646

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Bundesgerichtshof Urteil16.01.2024

BGH zur Ersatzfähigkeit von Kfz-Reparaturkosten im Falle des sog. Werkstat­trisikosUnfall­ve­r­ur­sacher trägt das "Werkstattrisiko"

Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist berechtigt, sein beschädigtes Fahrzeug zur Reparatur in eine Werkstatt zu geben und vom Unfall­ve­r­ur­sacher den hierfür erforderlichen Geldbetrag zu verlangen (§ 249 Abs. 2 BGB). Der u.a. für Rechts­streitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat hat über fünf Revisionen entschieden, in denen sich in unter­schied­lichen Konstellationen die Frage stellte, wer das Risiko trägt, wenn der Unfall­ve­r­ur­sacher einwendet, die von der Werkstatt gestellte Rechnung sei überhöht (sog. Werkstattrisiko).

Schon nach bisheriger Rechtsprechung liegt das Werkstattrisiko grundsätzlich beim Schädiger. Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-) Verschulden trifft, so sind die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger deshalb auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirt­schaft­licher Arbeitsweise der Werkstatt unangemessen, mithin nicht erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind.

Zahlung auch für nicht durchgeführte Reparaturen

Der Senat hat nunmehr klargestellt (VI ZR 253/22), dass das Werkstattrisiko nicht nur für solche Rechnungs­po­si­tionen greift, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen unsachgemäßer oder unwirt­schaft­licher Ansätze von Material oder Arbeitszeit überhöht sind. Ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger sind vielmehr auch diejenigen Rechnungs­po­si­tionen, die sich auf - für den Geschädigten nicht erkennbar - tatsächlich nicht durchgeführte einzelne Repara­tur­schritte und -maßnahmen beziehen. Denn auch insofern findet die Schadens­be­sei­tigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrol­lierbaren Einflusssphäre statt. Soweit der Schädiger das Werkstattrisiko trägt, verbietet sich im Schaden­s­er­satz­prozess zwischen Geschädigtem und Schädiger mangels Entschei­dungs­er­heb­lichkeit eine Beweisaufnahme über die objektive Erfor­der­lichkeit der in Rechnung gestellten Reparaturkosten. Der Senat hat ferner entschieden (VI ZR 51/23), dass der Geschädigte bei Beauftragung einer Fachwerkstatt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass diese keinen unwirt­schaft­lichen Weg für die Schadens­be­sei­tigung wählt. Er ist daher nicht gehalten, vor der Beauftragung der Fachwerkstatt zunächst ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten einzuholen und den Repara­tu­r­auftrag auf dieser Grundlage zu erteilen. Aber auch wenn der Geschädigte ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten einholt und die Auswahl des Sachver­ständigen der Werkstatt überlässt ("Schadensservice aus einer Hand"), führt allein dies nicht zur Annahme eines Auswahl- oder Überwa­chungs­ver­schuldens.

Unbeglichene Rechnungen und Abtre­tungs­verbote

Die Anwendung der Grundsätze zum Werkstattrisiko setzt nicht voraus, dass der Geschädigte die Repara­tur­rechnung bereits bezahlt hat. Soweit der Geschädigte die Repara­tur­rechnung nicht beglichen hat, kann er - will er das Werkstattrisiko nicht selbst tragen - die Zahlung der Reparaturkosten allerdings nicht an sich, sondern nur an die Werkstatt verlangen (VI ZR 253/22, VI ZR 266/22, VI ZR 51/23): Hat der Geschädigte die Rechnung der Werkstatt nicht (vollständig) beglichen, ist nämlich zu berücksichtigen, dass ein Vorteils­aus­gleich durch Abtretung etwaiger Gegenansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt an den Schädiger aus Rechtsgründen nicht gelingen kann, wenn der Geschädigte auch nach Erhalt der Schaden­s­er­satz­leistung vom Schädiger von der (Rest-)Zahlung an die Werkstatt absieht. Zugleich wäre der Geschädigte durch den Schadensersatz bereichert, wenn er vom Schädiger den vollen von der Werkstatt in Rechnung gestellten Betrag erhielte, gegenüber der Werkstatt aber die Zahlung eines Teilbetrages unter Berufung auf den insoweit fehlenden Vergü­tungs­an­spruch oder auf einen auf Freistellung gerichteten Gegenanspruch verweigerte. Demgegenüber wäre der Schädiger schlechter gestellt, als wenn er die Reparatur der beschädigten Sache selbst veranlasst hätte; denn im letzteren Fall hätte er als Vertragspartner der Werkstatt die Zahlung der zu hoch berechneten Vergütung verweigern können. Aus diesem Grund kann der Geschädigte, der sich auf das Werkstattrisiko beruft, aber die Rechnung der Werkstatt noch nicht (vollständig) bezahlt hat, von dem Schädiger Zahlung des von der Werkstatt in Rechnung gestellten (Rest-)Honorars nur an die Werkstatt und nicht an sich selbst verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (das Werkstattrisiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt. Wählt der Geschädigte bei unbezahlter Rechnung hingegen Zahlung an sich selbst, so trägt er und nicht der Schädiger das Werkstattrisiko. Er hat dann im Schaden­s­er­satz­prozess gegen den Schädiger oder dessen Haftpflicht­ver­si­cherer gegebenenfalls zu beweisen, dass die abgerechneten Repara­tur­maß­nahmen tatsächlich durchgeführt wurden und dass die Reparaturkosten nicht etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirt­schaft­licher Arbeitsweise der Werkstatt nicht erforderlich sind.

Befreiung von der Zahlung

Schließlich steht es dem Geschädigten im Rahmen von § 308 Abs. 1 ZPO frei, vom Schädiger statt Zahlung Befreiung von der Verbindlichkeit gegenüber der Werkstatt zu verlangen. In diesem Fall richtet sich sein Anspruch grundsätzlich und bis zur Grenze des Auswahl- und Überwa­chungs­ver­schuldens danach, ob und in welcher Höhe er mit der Verbindlichkeit, die er gegenüber der Werkstatt eingegangen ist, beschwert ist. Es ist also die Berechtigung der Forderung, von der freizustellen ist, und damit die werkver­tragliche Beziehung zwischen Geschädigtem und Werkstatt maßgeblich. Darüber hinaus hat der Senat entschieden (VI ZR 38/22, VI ZR 239/22), dass sich die Option des Geschädigten, sich auch bei unbeglichener Rechnung auf das Werkstattrisiko zu berufen, nicht im Wege der Abtretung auf Dritte übertragen lässt (Rechtsgedanke des § 399 BGB). Denn der Schädiger hat insoweit ein besonders schutzwürdiges Interesse daran, dass der Geschädigte sein Gläubiger bleibt. Allein im Verhältnis zu diesem ist nämlich die Durchführung des Vorteils­aus­gleichs in jedem Fall möglich, weil der Schaden­s­er­satz­an­spruch gegen den Schädiger und die im Wege des Vorteils­aus­gleichs abzutretenden (etwaigen) Ansprüche gegen die Werkstatt in einer Hand (beim Geschädigten) liegen. Im Ergebnis trägt daher bei Geltendmachung des Anspruchs aus abgetretenem Recht stets der Zessionar das Werkstattrisiko.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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