18.10.2024
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Bundesgerichtshof Urteil09.02.2010

Spiegel Online durfte ein Dossier, in dem alte Wort- und Bildbe­rich­t­er­stat­tungen über eine schwere Straftat zusammengefasst sind, zum kosten­pflichtigen Abruf bereithaltenInfor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit

Der Bundes­ge­richtshof hat es für zulässig erachtet, dass Spiegel Online im Internet ein Dossier mit Altmeldungen über den Mord an Walter Sedlmayr zum Abruf bereitgehalten hat, in denen der Name der Verurteilten genannt wurde und kontextbezogene Bilder der Verurteilten enthalten waren.

Die Kläger wurden im Jahr 1993 wegen Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Jahr 2004 stellten sie Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens, vor deren Zurückweisung sie sich an die Presse wandten. Im Sommer 2007 bzw. Januar 2008 wurden sie auf Bewährung entlassen. Die Beklagte betreibt das Internetportal www.spiegel.de. Dort hielt sie in der Rubrik "Dossiers" unter dem Titel "Walter Sedlmayr Mord mit dem Hammer" eine Zusam­men­stellung von fünf älteren Veröf­fent­li­chungen aus der Druckausgabe des Nachrich­ten­ma­gazins "Der Spiegel" bzw. ihrem Inter­ne­t­auftritt zum kosten­pflichtigen Abruf bereit. In mehreren dieser Meldungen waren die Kläger als wegen Mordes an Walter Sedlmayr Angeklagte bzw. Verurteilte namentlich bezeichnet. Die Veröf­fent­li­chungen vom 21. September und 30. November 1992, in denen über die Anklageerhebung bzw. den Beginn der Haupt­ver­handlung berichtet wurde, enthielten Fotos der Kläger.

Vorinstanzen gaben den Klägern Recht

Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Auf die Revision der Beklagten hat der u.a. für den Schutz des Allgemeinen Persön­lich­keits­rechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klagen abgewiesen.

Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit wiegt schwerer als allgemeines Persön­lich­keitsrecht der Kläger

Zwar liegt in dem Bereithalten der die Kläger identi­fi­zie­renden Meldungen zum Abruf im Internet ein Eingriff in deren allgemeines Persön­lich­keitsrecht. Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig, da im Streitfall das Schutzinteresse der Kläger hinter dem von der Beklagten verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinung­s­äu­ßerung zurückzutreten hat. Das beanstandete Dossier beeinträchtigt das Persön­lich­keitsrecht der Kläger einschließlich ihres Resozi­a­li­sie­rungs­in­teresses unter den besonderen Umständen des Streitfalls nicht in erheblicher Weise. Es ist insbesondere nicht geeignet, die Kläger "ewig an den Pranger" zu stellen oder in einer Weise "an das Licht der Öffentlichkeit zu zerren", die sie als Straftäter (wieder) neu stigmatisieren könnte.

Meldungen im Dossier sind sachbezogen und wahrheitsgemäß

Die in ihm zusam­men­ge­fassten Meldungen enthalten sachbezogene, wahrheitsgemäße Aussagen über ein Kapita­l­ver­brechen an einem bekannten Schauspieler, das erhebliches öffentliches Aufsehen erregt hatte. Angesichts der Schwere des Verbrechens, der Bekanntheit des Opfers, des erheblichen Aufsehens, das die Tat in der Öffentlichkeit erregt hatte, und des Umstands, dass sich die Verurteilten noch im Jahr 2004 um die Aufhebung ihrer Verurteilung bemüht hatten, waren die Meldungen zum Zeitpunkt der erstmaligen Veröf­fent­lichung zulässig. Hieran hat sich trotz der zwischen­zeitlich erfolgten Entlassung der Kläger aus der Haft nichts geändert. Dem Dossier kam nur eine geringe Breitenwirkung zu. Es enthielt nur eindeutig als solche erkennbare Altmeldungen und war nur durch gezielte Suche auffindbar. Darüber hinaus setzte die Kenntnisnahme von den die Kläger identi­fi­zie­renden Inhalten den kosten­pflichtigen Abruf des Dossiers voraus, wodurch der Zugang zu den beanstandeten Inhalten zusätzlich erschwert wurde.

Öffentlichkeit hat Interesse an vergangenen zeitge­schicht­lichen Ereignissen

Zu berücksichtigen war weiterhin, dass ein anerken­nens­wertes Interesse der Öffentlichkeit nicht nur an der Information über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit besteht, vergangene zeitge­schichtliche Ereignisse zu recherchieren. Würde das weitere Bereithalten eindeutig als solcher erkennbarer und im Zeitpunkt der erstmaligen Veröf­fent­lichung zulässiger Altmeldungen auf dafür vorgesehenen Seiten zum Abruf im Internet nach Ablauf einer gewissen Zeit oder nach Veränderung der zugrunde liegenden Umstände ohne weiteres unzulässig und wäre die Beklagte verpflichtet, von sich aus sämtliche archivierten Meldungen immer wieder auf ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren, würde die Meinungs- und Medienfreiheit in unzulässiger Weise eingeschränkt. Angesichts des mit einer derartigen Kontrolle verbundenen personellen und zeitlichen Aufwands bestünde die Gefahr, dass die Beklagte entweder ganz von einer der Öffentlichkeit zugänglichen Archivierung absehen oder bereits bei der erstmaligen Veröf­fent­lichung die Umstände ausklammern würde, die - wie vorliegend der Name des Straftäters - die Meldung später rechtswidrig werden lassen könnten, an deren Mitteilung die Öffentlichkeit aber im Zeitpunkt der erstmaligen Berichterstattung ein schützenswertes Interesse hat.

Kein Anspruch auf Unterlassung erneuter Verbreitung

Den Klägern steht auch kein Anspruch auf Unterlassung erneuter Verbreitung der in den Meldungen vom 21. September und 30. November 1992 enthaltenen Bilder zu. Bei den beanstandeten Abbildungen handelt es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG, die auch ohne Einwilligung der Kläger als Teil des beanstandeten Dossiers zum Abruf im Internet bereitgehalten werden durften. Die Fotos illustrieren die Meldungen vom 21. September bzw. 30. November 1992, in denen wahrheitsgemäß, sachbezogen und objektiv über die Anklageerhebung gegen die Kläger wegen Mordes an einem bekannten Schauspieler bzw. den Beginn der Haupt­ver­handlung berichtet wird und die damit an ein zeitge­schicht­liches Ereignis anknüpfen. Die Aufnahmen sind somit kontextbezogen.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof

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