18.10.2024
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Bundesgerichtshof Urteil15.12.2009

Deutsch­landradio darf Namen von Sedlmayer-Mördern weiter nennenInfor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit wiegt schwerer

Die wegen Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr Verurteilten können von Deutsch­landradio nicht verlangen, es zu unterlassen, in dem für Altmeldungen vorgesehenen Teil des Inter­ne­t­auf­tritts www.dradio.de Mitschriften nicht mehr aktueller Rundfunk­beiträge weiterhin zum Abruf bereitzuhalten, in denen im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Sedlmayr der Name der Verurteilten genannt wird. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Die Kläger wurden im Jahr 1993 wegen Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Sommer 2007 bzw. Januar 2008 wurden sie auf Bewährung entlassen. Sie verlangen von der Beklagten, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts einen Rundfunksender und ein Internetportal betreibt, es zu unterlassen, über sie im Zusammenhang mit der Tat unter voller Namensnennung zu berichten. Die Beklagte hielt auf ihrer Internetseite in der Rubrik "Kalenderblatt" jedenfalls bis ins Jahr 2007 die Mitschrift eines auf den 14. Juli 2000 datierten Beitrags mit dem Titel "Vor 10 Jahren Walter Sedlmayr ermordet" zum freien Abruf durch die Öffentlichkeit bereit. Darin hieß es unter Nennung des Vor- und Zunamens der Kläger wahrheitsgemäß u. a., Sedlmayrs Kompagnon W. und dessen Bruder L. seien 1993 nach einem sechsmonatigen Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die beiden beteuerten bis heute ihre Unschuld und seien erst in diesem Jahr vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht mit der Forderung gescheitert, den Prozess wieder­auf­zu­rollen.

BGH hebt Urteile der Vorinstanzen auf

Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Auf die Revision der Beklagten hat der u. a. für den Schutz des Allgemeinen Persön­lich­keits­rechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klagen abgewiesen.

Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit wiegt schwerer

Zwar liegt in dem Bereithalten der die Kläger identi­fi­zie­renden Meldung zum Abruf im Internet ein Eingriff in deren allgemeines Persön­lich­keitsrecht. Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig, da im Streitfall das Schutzinteresse der Kläger hinter dem von der Beklagten verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinung­s­äu­ßerung zurückzutreten hat. Die beanstandete Meldung beeinträchtigt das Persön­lich­keitsrecht der Kläger einschließlich ihres Resozi­a­li­sie­rungs­in­teresses unter den besonderen Umständen des Streitfalls nicht in erheblicher Weise.

Kein "ewig an den Pranger"-Stellen

Sie ist insbesondere nicht geeignet, die Kläger "ewig an den Pranger" zu stellen oder in einer Weise "an das Licht der Öffentlichkeit zu zerren", die sie als Straftäter (wieder) neu stigmatisieren könnte. Sie enthält sachlich abgefasste, wahrheitsgemäße Aussagen über ein Kapita­l­ver­brechen an einem bekannten Schauspieler, das erhebliches öffentliches Aufsehen erregt hatte. Angesichts der Schwere des Verbrechens, der Bekanntheit des Opfers, des erheblichen Aufsehens, das die Tat in der Öffentlichkeit erregt hatte und des Umstands, dass sich die Verurteilten bis weit über das Jahr 2000 hinaus um die Aufhebung ihrer Verurteilung bemüht hatten, war die Mitteilung zum Zeitpunkt ihrer Einstellung in den Inter­ne­t­auftritt der Beklagten zulässig. Hieran hat sich trotz der zwischen­zeitlich erfolgten Entlassung der Kläger aus der Haft nichts geändert. Der Meldung kam nur eine geringe Breitenwirkung zu. Sie war nur auf den für Altmeldungen vorgesehenen Seiten des Inter­ne­t­auf­tritts der Beklagten zugänglich, ausdrücklich als Altmeldung gekennzeichnet und nur durch gezielte Suche auffindbar. Zu berücksichtigen war darüber hinaus, dass ein anerken­nens­wertes Interesse der Öffentlichkeit nicht nur an der Information über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit besteht, vergangene zeitge­schichtliche Ereignisse zu recherchieren.

Freier Informations- und Kommu­ni­ka­ti­o­ns­prozess darf nicht eingeschränkt werden

Das von den Klägern begehrte Verbot hätte einen abschreckenden Effekt auf den Gebrauch der Meinungs- und Medienfreiheit, der den freien Informations- und Kommu­ni­ka­ti­o­ns­prozess einschnüren würde. Würde auch das weitere Bereithalten ausdrücklich als solcher gekenn­zeichneter und im Zeitpunkt der Einstellung zulässiger Altmeldungen auf dafür vorgesehenen Seiten zum Abruf im Internet nach Ablauf einer gewissen Zeit oder nach Veränderung der zugrunde liegenden Umstände ohne weiteres unzulässig und wäre die Beklagte verpflichtet, von sich aus sämtliche archivierten Hörfunkbeiträge immer wieder auf ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren, würde die Meinungs- und Medienfreiheit in unzulässiger Weise eingeschränkt. Angesichts des mit einer derartigen Kontrolle verbundenen personellen und zeitlichen Aufwands bestünde die Gefahr, dass die Beklagte entweder ganz von einer der Öffentlichkeit zugänglichen Archivierung absehen oder bereits bei der erstmaligen Sendung die Umstände ausklammern würde, die wie vorliegend der Name des Straftäters die Mitschrift der Sendung später rechtswidrig werden lassen könnten, an deren Mitteilung die Öffentlichkeit aber im Zeitpunkt der erstmaligen Berich­t­er­stattung ein schützenswertes Interesse hat.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof

der Leitsatz

GG Artt. 1 Abs. 1; 2 Abs. 1; 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1 Ah; 1004 Abs. 1 Satz 2

Die Frage, ob eine Rundfunkanstalt nicht mehr aktuelle Rundfunk­beiträge, in denen ein verurteilter Straftäter namentlich genannt wird, in dem für Altmeldungen vorgesehenen Teil ihres Internetportals ("Online-Archiv") weiterhin zum Abruf bereit halten darf, ist aufgrund einer umfassenden Abwägung des Persön­lich­keits­rechts des Straftäters mit dem Recht der Rundfunkanstalt auf Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden.

Dabei fließt zugunsten der Rundfunkanstalt mit erheblichem Gewicht in die Abwägung ein, dass die Veröf­fent­lichung der Meldung ursprünglich zulässig war, die Meldung nur durch gezielte Suche auffindbar ist und erkennen lässt, dass es sich um eine frühere Berich­t­er­stattung handelt.

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