15.11.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 21155

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Urteil28.04.2015BundesgerichtshofVI ZR 206/14
Vorinstanzen:
  • Landgericht Berlin, Urteil19.02.2013, 27 O 86/12
  • Kammergericht Berlin, Urteil24.03.2014, 20 U 69/13
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Bundesgerichtshof Urteil28.04.2015

BGH: Vollständige Haftung eines Unfall­ge­schä­digten wegen überwiegenden Mitverschuldens nur ausnahmsweise zulässigMögliche Vermeidbarkeit des Unfalls für den Geschädigten muss festgestellt werden

Einem Unfall­ge­schä­digten darf nur in Ausnahmefällen die vollständige Haftung wegen eines überwiegenden Mitverschuldens überbürdet werden. Voraussetzung dafür ist zunächst die Feststellung, dass der Unfall für den Geschädigten überhaupt vermeidbar war. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall kam es im März 2009 in einem Skiort in Österreich zu einem Unfall, als sich ein Zahnarzt in voller Skiausrüstung zwischen einer Gruppe von jugendlichen Skischülern mit ihrem Sportlehrer und einem Bus hindurch schieben wollte. Aus der Gruppe wurde dem Sportlehrer etwas zugeworfen, so dass dieser nach hinten trat. In diesem Moment wollte sich der Zahnarzt an der Gruppe vorbeischieben. Er prallte mit dem Sportlehrer zusammen und beide vielen um. Dabei erlitt der Zahnarzt unter anderem einen Oberschen­kel­halsbruch. Nachdem er außer­ge­richtlich einen Schmer­zens­geld­betrag von 7.000 Euro erhielt, erhob er Klage auf Zahlung eines weiteren Betrags.

Landgericht und Kammergericht wiesen Schmer­zens­geldklage ab

Sowohl das Landgericht Berlin als auch das Kammergericht wiesen die Klage auf Zahlung eines weiteren Schmer­zens­geldes ab. Zwar sei dem Sportlehrer vorzuwerfen gewesen, dass er nach hinten trat ohne sich vorher zu vergewissern, dass der Weg hinter ihm frei war. Jedoch sei dem Zahnarzt ein überwiegendes Mitverschulden an dem Unfall anzulasten gewesen. Denn ein Passant, der eine spielende Gruppe sieht, müsse mit einer einfachen Rückwärts­be­wegung einer Person rechnen und darauf reagieren. Zudem sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Zahnarzt aufgrund seiner Skiausrüstung in seiner Ausweich­fä­higkeit eingeschränkt gewesen sei. Er habe daher verbal auf sich aufmerksam machen müssen oder die mit dem Rücken zu ihm stehende Gruppe weiträumig umfahren müssen. Gegen diese Entscheidung legte der Zahnarzt Revision ein.

Bundes­ge­richtshof hielt Feststellungen zum überwiegenden Mitverschulden für nicht ausreichend

Der Bundes­ge­richtshof entschied zu Gunsten des Zahnarztes und hob daher die Entscheidung der Vorinstanz auf. Die Feststellungen des Kammergerichts haben den Vorwurf eines überwiegenden Mitverschuldens nicht gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang sei zu beachten gewesen, dass eine vollständige Haftung eines Unfall­ge­schä­digten aufgrund eines überwiegenden Mitverschuldens nur ausnahmsweise in Betracht komme.

Keine Feststellungen zur Vermeidbarkeit des Unfalls durch Ausweichen oder Warnrufe

Soweit das Kammergericht annahm, dass der Zahnarzt durch Warnrufe oder ein Ausweichen den Unfall hätte vermeiden können, hätte es nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Zahnarzt die Gefahr überhaupt rechtzeitig habe erkennen können. An diesen Feststellungen habe es gefehlt. Zudem hätte das Kammergericht klären müssen, ob der Sportlehrer aufgrund der Ablenkung durch seine Schüler überhaupt auf einen Warnruf rechtzeitig hätte reagieren können.

Räumliche Enge aufgrund Mensche­n­an­sammlung begründet für sich genommen keine Umfah­rungs­pflicht

Darüber hinaus bemängelte der Bundes­ge­richtshof die Ansicht des Kammergerichts, wonach sich der Zahnarzt nicht zwischen Bus und Schülergruppe habe durchzwängen dürfen, sondern die Gruppe weiträumig habe umfahren müssen. Diese Ansicht habe verkannt, dass eine räumliche Enge aufgrund einer Mensche­n­an­sammlung auf einer Zufahrtsstraße ohne Durch­gangs­verkehr für sich genommen keine kritische Situation darstellt und somit auch keine Umfah­rungs­pflicht begründet. Das Kammergericht hätte wiederum Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Zahnarzt die potentielle Gefährlichkeit der Situation rechtzeitig habe erkennen können.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)

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