23.11.2024
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Dokument-Nr. 31875

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Urteil14.06.2022BundesgerichtshofVI ZR 110/21
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Stuttgart, Urteil08.09.2020, 5 C 2071/19
  • Landgericht Stuttgart, Urteil11.03.2021, 5 S 180/20
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil14.06.2022

Kein Unterlassungs­anspruch für Anwohner bei Verstößen gegen Lkw-Durch­fahrts­verbotBGH weist Klage zu Verstößen gegen Lkw-Durch­fahrts­verbot ab

Der Bundes­ge­richtshof verneint einen Unterlassungs­anspruch von Anwohnern bei Verstößen gegen das nach dem Luftrein­hal­teplan der Landes­hauptstadt Stuttgart bestimmte Lkw-Durch­fahrts­verbot.

Die Kläger sind Eigentümer von innerhalb der Stuttgarter Umwelt- und Lkw-Durch­fahrts­ver­botszone gelegenen Grundstücken an bzw. in unmittelbarer Nähe der H. Straße. Sie machen geltend, die Beklagte, die eine Spedition betreibt, verstoße mehrmals täglich gegen das Durch­fahrts­verbot, indem sie das Gebiet mit Lkw befahre, und nehmen die Beklagte deshalb unter Berufung auf die mit der Feinstaub- und Stick­o­xid­be­lastung verbundene Gesund­heits­ge­fährdung auf Unterlassung des Befahrens der H. Straße in Anspruch.

Klage in allen Instanzen erfolglos

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Dagegen haben die Kläger die vom Landgericht zugelassene Revision eingelegt und ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Der Bundes­ge­richtshof hat die Revision zurückgewiesen. Den Klägern steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Kläger wenden sich nicht gegen die Beurteilung des Landgerichts, wonach sich das Unter­las­sungs­be­gehren nicht auf § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB aufgrund einer Gesund­heits­ver­letzung stützen lässt. Diese Beurteilung ist rechtlich auch nicht zu beanstanden. Sie nehmen auch die Annahme des Landgerichts hin, dass der Beklagten auf der Grundlage des klägerischen Vortrags keine wesentliche Beein­träch­tigung der Benutzung der klägerischen Grundstücke im Sinne des § 906 BGB zuzurechnen ist. Auch insoweit sind Rechtsfehler des Landgerichts nicht ersichtlich. Damit scheidet ein auf die Eigen­tü­mer­stellung der Kläger gestützter Unter­las­sungs­an­spruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 906 BGB ebenfalls aus.

Angeordnetes Durch­fahrts­verbot kein Schutzgesetz zugunsten einzelner Anwohner

Ein Unter­las­sungs­an­spruch analog § 823 Abs. 2 i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes steht den Klägern auch bei einem unterstellten Verstoß von Mitarbeitern der Beklagten gegen das Lkw-Durch­fahrts­verbot nicht zu. Das auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG in Verbindung mit dem Luftrei­ne­hal­teplan für die Landes­hauptstadt Stuttgart angeordnete Durch­fahrts­verbot ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der einzelnen Anwohner innerhalb der Durch­fahrts­ver­botszone, das es diesen ermöglicht, dem Verbot Zuwider­han­delnde zivilrechtlich auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes oder eines bestimmten Rechts­in­teresses zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entste­hungs­ge­schichte des Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat.

Kläger nur als Teil der Allgemeinheit begünstigt

Es reicht nicht aus, dass der Indivi­du­al­schutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Im Streitfall wurde das Lkw-Durch­fahrts­verbot nicht für bestimmte Straßen zur Reduzierung der die dortigen Anlieger beein­träch­ti­genden Schad­s­toff­kon­zen­tra­tionen, sondern grundsätzlich für das gesamte Stadtgebiet angeordnet, um allgemein die Luftqualität zu verbessern und der Überschreitung von Immis­si­ons­grenz­werten entge­gen­zu­wirken. Die Kläger sind insoweit nur als Teil der Allgemeinheit begünstigt. Bereits dies spricht gegen die Annahme, ein Schutz von Einzel­in­teressen in der von den Klägern begehrten Weise sei Intention des streit­ge­gen­ständ­lichen Lkw-Durch­fahrts­verbots.

Kein individuell deliktische Unter­las­sungs­an­spruch

Unter dem potentiell dritt­schüt­zenden Aspekt des Gesund­heits­schutzes käme auch ein Unter­las­sungs­an­spruch des Einzelnen hinsichtlich des Befahrens der gesamten Verbotszone nicht in Betracht. Denn schon angesichts der Größe der Verbotszone kann nicht angenommen werden, dass die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone durch Kraftfahrzeuge verursachten Immissionen für jeden Anlieger innerhalb dieser Zone die unmittelbare Gefahr einer Überschreitung der Immis­si­ons­grenzwerte an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort und damit eine potentielle Gesund­heits­be­ein­träch­tigung verursachen. Im Ergebnis lässt sich daher im Streitfall kein Personenkreis bestimmen, der durch das Lkw-Durch­fahrts­verbot seinem Zweck entsprechend im Wege der Einräumung eines individuellen deliktischen Unter­las­sungs­an­spruchs bei Verstößen gegen das Verbot geschützt werden sollte. Es ist nichts ersichtlich dafür, dass § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG i.V.m. der streit­ge­gen­ständ­lichen Planmaßnahme einen Anspruch auf Normvollzug zwischen einzelnen Bürgern begründen will.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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