21.11.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.
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Bundesgerichtshof Urteil09.06.2009

Unfall mit Neuwagen: Anspruch auf Neuprei­s­ent­schä­digung nur bei tatsächlicher Beschaffung eines fabrikneuen ErsatzfahrzeugsBGH begrenzt Schaden­s­er­satz­for­de­rungen von Neuwa­gen­be­sitzern nach Autounfall

Laut Urteil des Bundes­ge­richtshofs (BGH) fehlt es an einer Anspruchs­vor­aus­setzung für die geltend gemachte Neuprei­s­ent­schä­digung, wenn der Geschädigte sich kein fabrikneues Ersatzfahrzeug kauft.

Der BGH hatte in der Revisi­ons­instanz über die Schaden­er­satz­for­de­rungen der Klägerin zu befinden, deren neuer BMW im Wert von knapp 100.000 € einen Tag nach Zulassung bei einem Unfall an der linken Seite beschädigt worden war. Der Schaden betrug laut Sachver­ständigem knapp 10.000 €. Die Klägerin begehrte daraufhin vor dem Landgericht Hamburg statt Ersatz der Reparaturkosten den Ersatz der Kosten für die Anschaffung eines Neufahrzeugs. Nach Abweisung vor dem Landgericht obsiegte die Klägerin vor dem Oberlan­des­gericht Hamburg. Gegen dieses Urteil wandte sich die Revision. Unstreitig war, dass die Klägerin grundsätzlich Anspruch auf Ersatz des ihr bei dem durch den Gegner verschuldeten Unfalls entstandenen Schadens habe. Jedoch war darüber zu entscheiden, ob sie auch berechtigt sei, den ihr entstandenen Schaden auf Neuwagenbasis zu berechnen. Dies verneinten die Richter des BGH.

Grundsätzlich gilt: Dispo­si­ti­o­ns­freiheit des Geschädigten

Grundsätzlich kann der Eigentümer eines Neuwagens im Falle von dessen Beschädigung berechtigt sein, Ersatz der in aller Regel höheren Kosten für die Beschaffung eines gleichwertigen Neufahrzeugs zu verlangen. Der Geschädigte kann grundsätzlich frei wählen zwischen der Reparatur des Unfallfahrzeugs und der Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs. Er ist grundsätzlich auch in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadens­aus­gleich verlangen kann.

Wirtschaft­lich­keitsgebot und Berei­che­rungs­verbot im Schaden­s­er­satzrecht

Allerdings gebietet das Wirtschaft­lich­keits­postulat dem Geschädigten, den Schaden auf diejenige Weise zu beheben, die sich in seiner individuellen Lage als die wirtschaftlich vernünftigste darstellt, um sein Vermögen in Bezug auf den beschädigten Bestandteil in einen dem früheren gleichwertigen Zustand zu versetzen. Verursacht von mehreren zum Schadens­aus­gleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt. Darüber hinaus findet das Wahlrecht des Geschädigten seine Schranke an dem Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Er soll zwar vollen Ersatz verlangen, aber an dem Schadensfall nicht verdienen.

130-%-Rechtsprechung und Ersatz­be­schaffung eines fabrikneuen Fahrzeugs

Dem Geschädigten steht nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH in Abweichung vom Wirtschaftlichkeitsgebot ein Anspruch auf Ersatz des den Wieder­be­schaf­fungswert des beschädigten Fahrzeugs um bis zu 30 % übersteigenden Repara­tu­r­aufwands zu, sofern der Geschädigte den Zustand seines Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen. Auch im umgekehrten Fall, in dem der Ersatz­be­schaf­fungs­aufwand den Repara­tu­r­aufwand übersteigt, kommt eine Einschränkung des Wirtschaft­lich­keits­gebots unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht. Wird ein fabrikneues Fahrzeug erheblich beschädigt mit der Folge, dass es trotz Durchführung einer fachgerechten Reparatur den Charakter der Neuwertigkeit verliert, kann der Geschädigte ausnahmsweise die im Vergleich zum Repara­tu­r­aufwand höheren Kosten für die Beschaffung eines Neuwagens beanspruchen. Nach Rechtsprechung des BGH sind Fahrzeuge mit einer Fahrleistung bis zu 1.000 km als fabrikneu anzusehen.

Repariertes Fahrzeug genießt nicht dieselbe Wertschätzung wie völlig neuwertiges unfallfreies Fahrzeug

Angesichts der schadens­recht­lichen Bedeutung der Neuwertigkeit ist es dem Geschädigten in einer derartigen Situation grundsätzlich nicht zuzumuten, sich mit der Reparatur des erheblich beschädigten Fahrzeugs und der Zahlung eines den merkantilen Minderwert ausgleichenden Geldbetrags zu begnügen. Denn nach der Verkehr­s­auf­fassung genießt ein in erheblichem Umfang repariertes Fahrzeug auch unter Berück­sich­tigung eines nach den üblichen Maßstäben bemessenen Ersatzes für den merkantilen Minderwert nicht dieselbe Wertschätzung wie ein völlig neuwertiges unfallfreies Fahrzeug.

Kein Anspruch auf Ersatz fiktiver Neuan­schaf­fungs­kosten

Nach Anwendung dieser Grundsätze war für die Urteilsfindung im vorliegenden Fall die Beantwortung der umstrittenen Frage entscheidend, ob der Anspruch des Geschädigten auf Erstattung der für die Beschaffung eines Neufahrzeugs erforderlichen Kosten voraussetze, dass der Geschädigte auch tatsächlich ein Ersatzfahrzeug kaufe oder er auch Anspruch auf Ersatz fiktiver Neuan­schaf­fungs­kosten habe. Die Richter verneinten einen solchen Ersatzanspruch rein fiktiver Neuan­schaf­fungs­kosten.

Besonderes Eigentums- und Nutzungs­in­teresse des Geschädigten fehlt bei Verzicht auf Neuwagenkauf

Denn ausschlagender Gesichtspunkt für die Erstattung der im Vergleich zum Repara­tu­r­aufwand höheren und damit an sich unwirt­schaft­lichen Ersatz­be­schaf­fungskoten sei das besondere Interesse des Geschädigten am Eigentum und an der Nutzung eines Neufahrzeugs. Dies gelte aber nur dann, wenn der Geschädigte im konkreten Einzelfall tatsächlich ein solches Interesse habe und dieses durch den Kauf eines Neufahrzeugs nachweise. Verzichte er auf den Kauf eines Neufahrzeugs, fehle es indes an dem inneren Grund für die Gewährung einer Neupreisentschädigung. Ein erhöhter Schadens­aus­gleich wäre verfehlt. Er hätte eine ungerecht­fertigte Aufblähung der Ersatzleistung zur Folge und führte zu einer vom Zweck des Schadens­aus­gleichs nicht mehr gedeckten Belastung des Schädigers. Da sich die Klägerin im zu entscheidenden Fall kein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft habe, fehle es an einer Anspruchs­vor­aus­setzung für die geltend gemachte Neuprei­s­ent­schä­digung.

Quelle: ra-online (we)

der Leitsatz

Der Geschädigte, dessen neuer PKW erheblich beschädigt worden ist, kann den ihm entstandenen Schaden nur dann auf Neuwagenbasis abrechnen, wenn er ein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft hat.

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