21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil08.03.2024

Keine Nichtigkeit der während der Corona-Pandemie in einer sog. Vertreter­versammlung gefassten BeschlüsseEigentümer-Beschlüsse ohne Präsenz gültig

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass während der Corona-Pandemie gefasste Beschlüsse einer Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer nicht deshalb nichtig sind, weil die Wohnungs­ei­gentümer an der Eigentümer­versammlung nur durch Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen konnten. Die Frage, ob sich allein daraus ein Beschluss­anfechtungs­grund ergibt, ist offengeblieben.

Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer. Deren Verwalterin lud zu einer am 24. November 2020 "schriftlich" stattfindenden Eigen­tü­mer­ver­sammlung ein, verbunden mit der Aufforderung an die Wohnungs­ei­gentümer, ihr unter Verwendung beigefügter Formulare eine Vollmacht und Weisungen für die Stimmabgabe zu erteilen. Fünf von vierundzwanzig Wohnungs­ei­gen­tümern kamen der Aufforderung nach und bevoll­mäch­tigten die Verwalterin; die Kläger erteilten keine Vollmacht. In der Eigen­tü­mer­ver­sammlung war nur die Verwalterin anwesend. Mit Schreiben vom 24. November 2020 teilte die Verwalterin mit, die Wohnungs­ei­gentümer seien bei der allein von ihr abgehaltenen Versammlung aufgrund erteilter Vollmachten vertreten gewesen. Sie übermittelte zugleich ein Protokoll über die gefassten Beschlüsse. Die Beschluss­män­gelklage der Kläger hat das Amtsgericht wegen Ablaufs der einmonatigen Frist für die Anfech­tungsklage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht die Beschlüsse für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision.

Verstoß gegen Vorgaben des Wohnungs­ei­gen­tums­gesetz

Der Bundes­ge­richtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die amtsge­richtliche Entscheidung wieder­her­ge­stellt, so dass die Klage endgültig abgewiesen worden ist. Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde: Zu prüfen sind allein Nichtig­keits­gründe, weil die Kläger die einmonatige Klagefrist des § 45 Satz 1 WEG nicht gewahrt haben. Die Beschlüsse sind nicht nichtig. Die Einberufung und Abhaltung der Eigen­tü­mer­ver­sammlung vom 24. November 2020 entsprachen allerdings nicht den Vorgaben des Wohnungs­ei­gen­tums­ge­setzes. Eine Eigen­tü­mer­ver­sammlung setzt grundsätzlich ein physisches Zusammentreffen der Wohnungs­ei­gentümer voraus. Eine rein virtuelle Eigen­tü­mer­ver­sammlung sieht das Wohnungs­ei­gen­tums­gesetz derzeit nicht vor. Eine sogenannte Vertre­ter­ver­sammlung, in der - wie hier - nur eine Person anwesend ist, die neben der Versamm­lungs­leitung die Vertretung der abwesenden Eigentümer übernommen hat, ist zwar auch eine Versammlung, in der Beschlüsse gefasst werden können. Sie ist aber nur dann zulässig, wenn sämtliche Wohnungs­ei­gentümer in ein solches Vorgehen eingewilligt und den Verwalter zu der Teilnahme und Stimmabgabe bevollmächtigt haben. Daran fehlt es hier. Aufgrund der fehlenden Zustimmung aller Wohnungs­ei­gentümer hätte die Versammlung wohnungs­ei­gen­tums­rechtlich in Präsenz der Wohnungs­ei­gentümer stattfinden müssen.

Beschlüsse der Vertre­ter­ver­sammlung nicht nichtig

Das führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Beschlüsse. Ein Beschluss ist nach § 23 Abs. 4 WEG nur dann nichtig, wenn er gegen eine Rechts­vor­schrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann. Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs die Nichtigkeit eines Beschlusses daraus ergeben, dass er in den Kernbereich des Wohnungs­ei­gentums eingreift, wozu u.a. unentziehbare und unverzichtbare Indivi­du­a­l­rechte gehören. Diese Rechtsprechung betrifft aber den Inhalt von Beschlüssen, während es hier um das Zustandekommen der Beschlüsse geht. Bei der Beschluss­fassung ist das Teilnahme- und Mitwir­kungsrecht der Wohnungs­ei­gentümer verzichtbar. Die in § 24 WEG für die Einberufung einer Eigen­tü­mer­ver­sammlung enthaltenen Formvor­schriften gehören nicht zu den zwingenden Bestimmungen und Grundsätzen des Wohnungs­ei­gen­tums­ge­setzes, weil sie dispositiv sind und durch Vereinbarungen abgeändert werden können. Die Nichteinladung einzelner Wohnungs­ei­gentümer führt deshalb nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse. Ob eine Nichtigkeit dann in Betracht kommen könnte, wenn unter normalen Umständen allen Wohnungs­ei­gen­tümern die persönliche Teilnahme an der Versammlung verweigert wird, hat der Bundes­ge­richtshof dahinstehen lassen. Jedenfalls während der Corona-Pandemie begangene Rechtsverstöße dieser Art führen schon deshalb nicht zur Nichtigkeit der Beschlüsse, weil die Abhaltung einer "echten" Eigen­tü­mer­ver­sammlung unter Einhaltung der §§ 23, 24 WEG zum maßgeblichen Zeitpunkt unmöglich war.

Unauflöslichen Konflikt­si­tuation: Wohnungs­ei­gen­tumsrecht versus Infek­ti­o­ns­schutzrecht

Während der Corona-Pandemie befand sich der Verwalter in einer unauflöslichen Konflikt­si­tuation. Er stand nämlich vor dem Dilemma, entweder das Wohnungs­ei­gen­tumsrecht oder das Infek­ti­o­ns­schutzrecht zu missachten. Einerseits galten wegen der nur rudimentären Regelungen in § 6 COVMG die wohnungs­ei­gen­tums­recht­lichen Vorgaben für Eigen­tü­mer­ver­samm­lungen fort. Insbesondere musste nach § 24 Abs. 1 WEG mindestens einmal im Jahr eine Versammlung einberufen werden; von dieser Vorgabe waren die Verwalter nicht befreit. Unabhängig davon konnte es auch während der Corona-Pandemie erforderlich sein, die Eigen­tü­mer­ver­sammlung mit gemein­schaft­lichen Angelegenheiten zu befassen. Andererseits war die Durchführung einer Eigen­tü­mer­ver­sammlung über einen weiten Zeitraum infek­ti­o­ns­schutz­rechtlich ausgeschlossen. Bei Durchführung einer Eigen­tü­mer­sammlung liefen die Verwalter Gefahr, gegen bußgeldbewehrte Corona-Schutz­vor­schriften zu verstoßen.

Zumindest überprüfbare Beschlüsse

In dieser Ausnah­me­si­tuation erfolgte die Durchführung einer Vertre­ter­ver­sammlung regelmäßig aus Prakti­ka­bi­li­täts­er­wä­gungen. Es lag auch im Interesse der Wohnungs­ei­gentümer, dass der Verwalter nicht, wie es teilweise gehandhabt wurde, unter Missachtung des Wohnungs­ei­gen­tums­rechts während der Corona-Pandemie gar keine Versammlung abhielt. Durch eine Vertre­ter­ver­sammlung wurde jedenfalls die Fassung von Beschlüssen ermöglicht, die der gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden konnten. Die Eigentümer konnten sich bei der Stimmabgabe durch den Verwalter vertreten lassen und diesem jeweils konkrete Weisungen erteilen, wie er in der Versammlung abstimmen sollte. Die Frage, ob sich allein daraus, dass die Wohnungs­ei­gentümer an der Eigen­tü­mer­ver­sammlung nur durch Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen konnten, ein Beschlus­san­fech­tungsgrund ergibt, bedurfte wegen der versäumten Anfech­tungsfrist keiner Entscheidung.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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