18.10.2024
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Dokument-Nr. 30947

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Urteil15.10.2021BundesgerichtshofV ZR 225/20
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Augsburg, Urteil24.05.2017, 31 C 4282/16 WEG
  • Landgericht München I, Urteil07.10.2020, 1 S 9173/17 WEG
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Bundesgerichtshof Urteil15.10.2021

BGH: Dauerhaftes Nutzungsverbot durch Mehrheits­be­schluss der Wohnungs­ei­gentümer ist rechtswidrigMangelnde Instandhaltung oder Überalterung entbinden Wohnungs­ei­gentümer nicht von ihren Sanie­rungs­pflichten

Der BGH hatte zu entscheiden, ob Wohnungs­ei­gentümer die Nutzung des gemein­schaft­lichen Eigentums mit einem Mehrheits­be­schluss aus Gründen der Verkehrs­si­cherheit dauerhaft verbieten können, wenn auch das Sondereigentum infolge des Verbots nicht mehr genutzt werden kann.

Das Verfahren betrifft ein nach dem Wohnungs­ei­gen­tums­gesetz aufgeteiltes, über 40 Jahre altes und stark sanie­rungs­be­dürftiges Parkhaus. Drei der insgesamt elf Ebenen des Parkhauses stehen als eigene Teilei­gen­tum­s­einheit im Sondereigentum der Klägerin. Sie vermietet ihre Einheit an ein benachbartes Hotel. Die übrigen Ebenen mit den Einheiten der Beklagten sind seit Jahren außer Betrieb. Nachdem das Bauordnungsamt Nachweise für die Einhaltung der brand­schutz­tech­nischen Minde­st­an­for­de­rungen angefordert hatte, beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich, dass die Ebenen, die zu der Einheit der Klägerin gehören, nicht mehr genutzt werden dürfen. Vor dem Hintergrund, dass die Gemeinschaft eine Sanierung bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgelehnt hatte, wurde der Klägerin gestattet, die brand­schutz­tech­nischen Mängel selbst und auf eigene Kosten zu beseitigen; erst nach Vorlage entsprechender Nachweise sollte sie die Nutzung wieder aufnehmen dürfen. Die Beschluss­män­gelklage der Klägerin hat das Amtsgericht abgewiesen. Ihre Berufung war erfolglos. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision wollte die Klägerin erreichen, dass der Beschluss für ungültig erklärt wird. Die Revision hat Erfolg gehabt.

Pflicht zur Behebung gravierender baulicher Mängel

Der Bundes­ge­richtshof hat der Beschluss­män­gelklage stattgegeben und den Beschluss für ungültig erklärt. Dabei hat sich der Bundes­ge­richtshof von folgenden Erwägungen leiten lassen: Im Grundsatz können die Wohnungs­ei­gentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung ein auf das gemein­schaftliche Eigentum bezogenes Nutzungsverbot zum Zwecke der Gefahrenabwehr beschließen. Das kommt aber jedenfalls dann nur aus zwingenden Gründen und in engen Grenzen in Betracht, wenn dadurch die zweck­ent­spre­chende Nutzung des Sondereigentums eingeschränkt oder - wie hier - sogar vollständig ausgeschlossen wird. Denn nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs sind die Wohnungs­ei­gentümer verpflichtet, die Behebung gravierender baulicher Mängel des gemein­schaft­lichen Eigentums zu veranlassen, die eine Nutzung des Sondereigentums zu dem vereinbarten Zweck erheblich beeinträchtigen oder sogar ausschließen. Sie können sich nicht darauf berufen, dass ihnen die damit einhergehenden Kosten nicht zuzumuten seien. Dieser Verpflichtung zur Vornahme zwingend erforderlicher Maßnahmen können sich die Wohnungs­ei­gentümer auch nicht durch ein mehrheitlich verhängtes dauerhaftes Nutzungsverbot entziehen. Als solches wirkt sich der angefochtene Beschluss faktisch aus, weil die Beseitigung der Brand­schutz­mängel der Klägerin überantwortet wurde.

Hohe Kosten kein Grund für Ausschluss des Wiederaufbaus

Ein dauerhaftes Nutzungsverbot könnte nur dann rechtmäßig sein, wenn, wie es das Berufungs­gericht für richtig hält, eine Sanie­rungs­pflicht der Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft gemäß § 22 Abs. 4 WEG aF (nunmehr § 22 WEG) ausgeschlossen wäre; dann müsste die Gefahrenabwehr durch Stilllegung des Gemein­schafts­ei­gentums erfolgen. Der Bundes­ge­richtshof hat nun geklärt, dass die Sanie­rungs­pflichten der Wohnungs­ei­gentümer, die aus der Überalterung bzw. der mangelnden Instandhaltung des Gebäudes herrühren, durch die genannte Vorschrift nicht begrenzt werden. Zerstört im Sinne von § 22 Abs. 4 WEG aF (nunmehr § 22 WEG) ist ein Gebäude nur dann, wenn seine Nutzbarkeit durch punktuelle Ereignisse (wie Brand, Überflutung oder Explosion) wesentlich beeinträchtigt oder aufgehoben ist. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Norm mit dem Zusammenhang von Zerstörung, Wiederaufbau und Versi­che­rungs­leistung. Nach dem normalen Sprachgebrauch ist ein Gebäude nur dann zerstört, wenn seine Nutzbarkeit ganz oder teilweise aufgehoben ist, nicht hingegen deshalb, weil eine Sanierung hohe Kosten verursacht. Bestätigt wird diese Sichtweise dadurch, dass das Gebäude "zu mehr als der Hälfte seines Werts" zerstört sein muss, damit der Anspruch auf Wiederaufbau ausgeschlossen ist. Bei einem punktuellen Ereignis wie einem Flutschaden bezieht sich der Wertvergleich auf den realen Gebäudewert vor und nach der Zerstörung.

Analoge Anwendung der Norm ausgeschlossen

Eine analoge Anwendung der Norm scheidet ebenfalls aus. Das Gesetz enthält schon keine planwidrige Regelungslücke. Der in § 22 Abs. 4 WEG aF geregelte Ausschluss des Wiederaufbaus steht in engem Zusammenhang mit der Aufhebung der Gemeinschaft, die das Gesetz grundsätzlich ausschließt (§ 11 WEG aF). Eine erleichterte Aufhebung der Gemeinschaft bei Überalterung des Gebäudes oder Unrentabilität der Sanierung ist im jüngsten Gesetz­ge­bungs­ver­fahren ausgiebig diskutiert worden, ohne dass dies in der zum 1. Dezember 2020 in Kraft getretenen Neufassung des Wohnungs­ei­gen­tums­ge­setzes aufgegriffen worden wäre. Die begrenzte Lebensdauer von Gebäuden könnte zwar auf rechts­po­li­tischen Handlungsbedarf schließen lassen; eine planwidrige Regelungslücke ist aber nicht erkennbar, nachdem der Gesetzgeber in Kenntnis des Problems von einer Neuregelung abgesehen hat. Zudem lässt sich die Zerstörung eines Gebäudes auch nicht - wie es eine Analogie weiter voraussetzte - mit einem Sanierungsstau vergleichen. Gerade Brand­schutz­mängel, marode Leitungen oder energetische Defizite lassen sich bei älteren Gebäuden häufig nur mit sehr hohem Sanie­rungs­aufwand beheben; trotzdem kann sich eine Sanierung als rentabel erweisen. Erst recht lässt sich die Angemessenheit der Rechtsfolge des § 22 Abs. 4 WEG aF bei einem Sanierungsstau bezweifeln. Insbesondere bei Wohngebäuden erscheint es nämlich wenig überzeugend, einen Mehrheitsbeschluss über die Sanierung ab dem Erreichen einer Wertgrenze zu untersagen, obwohl die Mehrheit der Wohnungs­ei­gentümer die Nutzbarkeit ihrer Wohnungen dauerhaft sicherstellen möchte. Die mit dem Ausschluss des Wiederaufbaus zusam­men­hängende rechts­po­li­tische Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Gemeinschaft gegen den Willen einzelner Wohnungs­ei­gentümer beendet werden kann, darf nicht durch richterliche Rechts­fort­bildung, sondern nur durch den Gesetzgeber entschieden werden. In diesem Verfahren war ohnehin nicht die Aufhebung der Gemeinschaft, sondern allein die Wirksamkeit eines dauerhaften Nutzungsverbots zu beurteilen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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