21.11.2024
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Dokument-Nr. 33543

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Urteil05.12.2023BundesgerichtshofKZR 101/20
Vorinstanzen:
  • Landgericht Stuttgart, Urteil14.02.2019, 11 O 225/16
  • Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil26.03.2020, 2 U 82/19
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil05.12.2023

Bundes­ge­richtshof zum Streit um das Fernwärmenetz StuttgartEnBW muss Stuttgarter Fernwärmenetz nicht zurückbauen

Der Bundes­ge­richtshof hat in einem Rechtsstreit zwischen der Landes­hauptstadt Stuttgart und EnBW entschieden, dass die Stadt nach Beendigung des zwischen den Parteien vereinbarten Gestat­tungs­vertrags weder Eigentümerin des Fernwärmenetzes geworden ist, noch von EnBW Übereignung des Netzes verlangen kann. Ebenso wenig steht ihr ein Anspruch auf Beseitigung der Netzleitungen zu. Umgekehrt hat aber auch EnBW, die das Fernwärmenetz in Zukunft weiterbetreiben möchte, keinen kartell­recht­lichen Anspruch auf die erneute Einräumung von Wegenut­zungs­rechten zum Betrieb des Fernwärmenetzes.

Die Klägerin, die Landes­hauptstadt Stuttgart, ist Eigentümerin sämtlicher Wegegrundstücke der Stadt. EnBW, die Beklagte, betreibt das dortige Fernwärmenetz. Zunächst erschloss das Kommu­nal­un­ter­nehmen "Technische Werke der Stadt Stuttgart AG" (TWS) größere Gebiete für die Fernwär­me­ver­sorgung der Stadt. Im April 1994 schloss die Stadt mit der TWS einen "Konzes­si­ons­vertrag", mit dem der TWS Wegenut­zungs­rechte für die Verlegung und den Betrieb des Fernwärmenetzes eingeräumt wurden. Der Vertrag sah eine Laufzeit bis Ende Dezember 2013 vor. Eine Regelung zum Eigentum an den Versor­gungs­anlagen nach Beendigung des Vertrags (sog. Endschafts­re­gelung) enthielt der Vertrag nicht. Der operative Geschäfts­betrieb der TWS wurde zum 1. Januar 1997 auf die "Neckarwerke Stuttgart AG" (NWS) übertragen, an der die Stadt zunächst noch beteiligt war. Mit Wirkung vom 15. Juli 2002 verkaufte sie diese Anteile an EnBW. Anschließend wurde NWS in den Konzern der EnBW eingegliedert. Während der Vertragsdauer baute EnBW das Fernwärmenetz auf insgesamt 218 km aus. Die Fernw­är­me­lei­tungen befinden sich zum größten Teil in oder auf Grundstücken der Stadt; Anschluss­lei­tungen liegen auf Grundstücken Dritter und weitere Anlagen befinden sich auf Grundstücken der EnBW, welche die Fernwärme im Wesentlichen durch drei von ihr betriebene Heizkraftwerke einspeist. Im Jahr 2011 gab die Stadt das Ende des Konzes­si­ons­vertrags bekannt. Im Juli 2012 richtete sie einen ersten Infor­ma­ti­o­nsbrief an die interessierten Unternehmen und äußerte die Absicht, die Entscheidung über die Vergabe der Wegenut­zungs­rechte in einem transparenten und diskri­mi­nie­rungs­freien Verfahren zu treffen, wobei Ergebnis des Wettbe­wer­bs­ver­fahrens auch eine Rekom­mu­na­li­sierung sein könne. Im Juli 2013 setzte der Gemeinderat der Stadt das Verfahren aus. Sodann beschloss er am 16. Februar 2016, dass die Stadt das Eigentum am Fernwärmenetz und dessen Betrieb zum frühest­mög­lichen Zeitpunkt übernehmen solle. Daraufhin forderte die Stadt EnBW auf, das Eigentum an dem Fernwärmenetz auf sie zu übertragen. EnBW lehnte dies ab und setzt die Fernwär­me­ver­sorgung zu den bisher geltenden Bedingungen fort. Eine Nachfol­ge­ver­ein­barung wurde nicht geschlossen. Das Landgericht Stuttgart hat die auf Übereignung des Fernwärmenetzes sowie hilfsweise auf Beseitigung gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Widerklage hat es festgestellt, dass die Stadt verpflichtet ist, EnBW ein Angebot auf Abschluss eines erneuten Gestat­tungs­ver­trages zum Betrieb des Fernwärmenetzes für höchstens 20 Jahren zu unterbreiten. Das Oberlan­des­gericht Stuttgart (Urteil vom 26. März 2020 - 2 U 82/19) hat das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und EnBW verurteilt, den Störungszustand zu beseitigen, der sich durch das Vorhandensein der Fernwär­me­ver­sor­gungs­anlagen in oder auf Grundstücken der Stadt ergibt. Den auf Feststellung des Eigentums der Stadt am Fernwärmenetz gerichteten Hauptantrag und den auf Übereignung des Netzes gerichteten Hilfsantrag hat das Berufungs­gericht ebenso wie die Widerklage abgewiesen.

Stadt hat unternehmerisch gehandelt

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass das Oberlan­des­gericht die auf Kartellrecht gestützte Widerklage von EnBW auf langfristige Einräumung von Wegenut­zungs­rechten zum Weiterbetrieb des Fernwärmenetzes zu Recht abgewiesen hat. Zwar verfügt die Stadt über eine beherrschende Stellung auf dem Markt für die Vergabe von Wegenut­zungs­rechten. Indem sie EnBW die Einräumung von Wegenut­zungs­rechten verweigerte, handelte sie auch unternehmerisch. Allerdings kann ein Anspruch auf Nutzungs­recht­sein­räumung nach § 19 GWB nur dann in Betracht kommen, wenn die technischen und wirtschaft­lichen Gegebenheiten sämtlichen Interessenten den Bau paralleler Netzin­fra­s­trukturen erlauben. Davon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden. Eine dauerhafte Monopolstellung von EnBW muss die Stadt auch nicht deshalb akzeptieren, weil EnBW das Fernwärmenetz mit eigenen Ressourcen aufgebaut hat. Diese Investitionen hat EnBW im Rahmen eines zeitlich befristeten Gestat­tungs­vertrags und auf Grundlage von Wegenut­zungs­rechten vorgenommen, die das Unternehmen von der öffentlichen Hand ableitet. Insoweit ist das von ihr erworbene Eigentum an den Netzleitungen "belastet". Es kann der Stadt zudem aus kartell­recht­lichen Gründen nicht verwehrt werden, in Anlehnung an die - nur für den Strom- und Gasbereich geltende - Regelung des § 46 EnWG im eigenen Interesse und in dem der Allgemeinheit Wegenut­zungs­rechte zeitlich begrenzt zu vergeben und einen Wettbewerb um das Netz mit dem Zweck zu organisieren, die wettbe­werb­lichen Nachteile, die mit einem Leitungsmonopol verbunden sind, zumindest teilweise zu kompensieren. Insoweit hat der Bundes­ge­richtshof die Revision von EnBW zurückgewiesen.

Kein automatischer Eigen­tums­übergang nach Vertragsende

Die Revision der Landes­hauptstadt Stuttgart hat der Bundes­ge­richtshof zurückgewiesen. Er hat die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts insoweit bestätigt, als danach die Stadt mit Beendigung des Gestat­tungs­ver­trages kein Eigentum an den Netzanlagen erworben hat. Einen automatischen Eigen­tums­übergang nach Vertragsende sieht das Gesetz nicht vor. § 95 BGB verlangt für den Eigen­tums­übergang von Versor­gungs­lei­tungen (sogenannten Schein­be­stand­teilen) vielmehr eine Willen­s­ent­schließung des Eigentümers der Netzleitungen. Einen solchen Entschluss hat EnBW nicht getroffen. Ebenso bestätigt hat der Bundes­ge­richtshof die Entscheidung der Vorinstanz, wonach die Stadt von EnBW auch nicht die Übereignung der Netzanlagen verlangen kann. Ein solcher Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus einer ergänzenden Auslegung des Gestat­tungs­vertrags. Maßgebend dafür ist, dass die Stadt ein wettbe­werb­liches Verfahren zur Auswahl des zukünftigen Netzbetreibers in Gang gesetzt, dieses bislang nur ausgesetzt und nicht beendet hat. Da EnWB an diesem Verfahren beteiligt ist, besteht die Möglichkeit, dass in Zukunft nicht die Stadt, sondern weiterhin EnBW oder ein anderes am Auswahl­ver­fahren beteiligtes Unternehmen das Fernwärmenetz betreiben wird. In dieser Situation besteht kein berechtigtes Interesse der Stadt, Eigentümerin des Fernwärmenetzes zu werden. Redliche Vertrags­parteien hätten eine solche Regelung nicht vereinbart. Auch gesetzliche Vorschriften begründen keinen Anspruch auf Eigen­tums­ver­schaffung. § 997 Abs. 2 und § 552 Abs. 1 BGB bieten dafür angesichts des begonnenen und noch nicht beendeten Auswahl­ver­fahrens keine Grundlage. Der Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB kann von vornherein nicht auf Verschaffung des Eigentums gerichtet sein. Im Streitfall stehen mehrere Möglichkeiten zur Störungs­be­sei­tigung zur Verfügung und die Wahl der Mittel bleibt dem Störer, also EnBW, überlassen.

Kein Besei­ti­gungs­an­spruch der Stadt

Anders als das Oberlan­des­gericht hat der Bundes­ge­richtshof jedoch entschieden, dass EnBW nach § 1004 Abs. 1 BGB auch nicht verpflichtet ist, den eigen­tums­recht­lichen Störungszustand zu beseitigen, der sich daraus ergibt, dass sich die im Eigentum von EnBW stehenden Netzleitungen in den städtischen Wegegrund­s­tücken befinden. Vielmehr ist die Stadt verpflichtet, diesen Zustand nach § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden. Das ergibt sich aus nachver­trag­lichen Rücksicht­nah­me­pflichten in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§§ 241, 242 BGB), der auch im wettbe­werb­lichen Auswahl­ver­fahren zu beachten ist. Entscheidend ist insoweit wiederum, dass dieses Verfahren noch nicht beendet und damit auch nicht ausgeschlossen ist, dass EnBW in Zukunft weiterhin das Fernwärmenetz betreiben wird. Das Interesse, einem Bürgerbegehren Rechnung zu tragen, rechtfertigt in dieser Situation einen Beseitigungsanspruch der Stadt ebenfalls nicht. Da die Stadt die Fernwär­me­ver­sorgung nicht gefährden will, kann EnBW unter keinen Umständen verpflichtet sein, die Netzleitungen zu entfernen. Der Bundes­ge­richtshof hat daher auf die Revision der EnBW das Urteil des Oberlan­des­ge­richts Stuttgart insoweit aufgehoben und die auf Beseitigung des Störungs­zu­stands gerichtete Klage abgewiesen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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