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Dokument-Nr. 28872

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Bundesgerichtshof Beschluss23.06.2020

Erfolg für Kartellamt: BGH bestätigt vorläufig den Vorwurf der missbräuch­lichen Ausnutzung einer markt­be­herr­schenden Stellung durch FacebookFacebooks Datenerhebung behindert den Wettbewerb

Der BGH hat vorläufig den Vorwurf der missbräuch­lichen Ausnutzung einer markt­be­herr­schenden Stellung durch Facebook bestätigt und entschieden, dass dieses Verbot zum Datensammeln vom Bundes­kar­tellamt durchgesetzt werden darf.

Private Nutzer zahlen kein Entgelt für die Nutzung des sozialen Netzwerks. Ihre Teilnahme am Netzwerk setzt aber voraus, dass sie bei der Registrierung den Facebook-Nutzungs­be­din­gungen zustimmen. Diese sehen vor, dass Facebook jedem Nutzer ein perso­na­li­siertes Erlebnis bereitstellt. Dafür werden perso­nen­be­zogene Daten des Nutzers verwendet, die Facebook aus der Nutzung anderer konzerneigener Dienste wie Instagram sowie aus sonstigen Inter­ne­t­ak­ti­vitäten des Nutzers außerhalb von facebook.com zur Verfügung stehen. Die Nutzungsbedingungen nehmen auf eine Datenrichtlinie Bezug, in der die Erhebung und Nutzung perso­nen­be­zogener Daten näher erläutert wird.

Bundes­kar­tellamt untersagt Verwendung und Verarbeitung der Nutzerdaten

Das Netzwerk wird durch Online-Werbung finanziert. Hierzu kann zum einen Werbung auf Facebook-Seiten platziert werden. Mit verschiedenen von Facebook bereit­ge­stellten Program­mier­schnitt­stellen ("Facebook Business Tools") können Unternehmen zum anderen eigene Internetseiten oder Anwendungen für Mobilgeräte (Apps) in vielfältiger Form mit Facebook-Seiten verbinden. So können Facebook-Nutzer über Plugins ihr Interesse an diesen Seiten oder bestimmten Inhalten bekunden ("Gefällt-mir-Button" oder "Teilen-Button") oder Kommentare abgeben und sich über ein "Facebook-Login" auf Interseiten Dritter mit ihren bei Facebook registrierten Nutzerdaten einwählen. Über von Facebook angebotene Mess- und Analy­se­funk­tionen und -programme kann der Erfolg der Werbung eines Unternehmens gemessen und analysiert werden. Dabei wird nicht nur das Verhalten der privaten Nutzer auf Facebook-Seiten erfasst, sondern über entsprechende Schnittstellen (Facebook Pixel) auch der Aufruf von Drittseiten, ohne dass der Nutzer hierfür aktiv werden muss. Über die analytischen und statistischen Funktionen von "Facebook Analytics" erhalten Unternehmen aggregierte Daten darüber, wie Facebook-Nutzer über verschiedene Geräte, Plattformen und Internetseiten hinweg mit den von ihnen angebotenen Diensten interagieren.

Bundes­kar­tellamt untersagte Verwendung und Verarbeitung der Nutzerdaten

Das Bundes­kar­tellamt sieht in der Verwendung der Nutzungs­be­din­gungen einen Verstoß gegen das Verbot nach § 19 Abs. 1 GWB, eine markt­be­herr­schende Stellung missbräuchlich auszunutzen. Facebook sei auf dem nationalen Markt der Bereitstellung sozialer Netzwerke markt­be­herr­schend. Es missbrauche diese Stellung, indem es entgegen den Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) die private Nutzung des Netzwerks von seiner Befugnis abhängig mache, ohne weitere Einwilligung der Nutzer außerhalb von facebook.com generierte nutzer- und nutzer­ge­rä­te­be­zogene Daten mit den perso­nen­be­zogenen Daten zu verknüpfen, die aus der Facebook-Nutzung selbst entstehen. Mit Beschluss vom 6. Februar 2019 hat das Bundes­kar­tellamt Facebook und weiteren Konzern­ge­sell­schaften untersagt, entsprechende Nutzungs­be­din­gungen zu verwenden und perso­nen­be­zogene Daten entsprechend zu verarbeiten.

OLG Düsseldorf bezweifelt Rechtmäßigkeit der Verfügung des Bundes­kar­tellamtes

Das OLG Düsseldorf hat über die dagegen eingelegte Beschwerde noch nicht entschieden. Es hat aber auf Antrag von Facebook nach § 65 Abs. 3 GWB wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung die aufschiebende Wirkung der Beschwerde angeordnet. Eine solche Anordnung hat zur Folge, dass die Verfügung des Bundes­kar­tellamts nicht vollzogen werden darf, bis über die Beschwerde entschieden ist.

BGH lehnt Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde ab

Der Kartellsenat hat die Entscheidung des OLG Düsseldorf aufgehoben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde abgelehnt. Es bestehen weder ernsthafte Zweifel an der markt­be­herr­schenden Stellung von Facebook auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke noch daran, dass Facebook diese markt­be­herr­schende Stellung mit den vom Kartellamt untersagten Nutzungs­be­din­gungen missbräuchlich ausnutzt.

Facebook-Nutzern müssen Wahlmöglichkeit haben

Maßgeblich hierfür ist nicht die vom Kartellamt in der angefochtenen Verfügung in den Vordergrund gerückte Frage, ob die Verarbeitung und Nutzung von perso­nen­be­zogenen Daten der Facebook-Nutzer, die aus deren Nutzung des Internets außerhalb von facebook.com und unabhängig von einem Facebook-Login entstehen, mit den Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung in Einklang steht. Entscheidend ist vielmehr, dass Nutzungs­be­din­gungen missbräuchlich sind, die den privaten Facebook-Nutzern keine Wahlmöglichkeit lassen, ob sie das Netzwerk mit einer intensiveren Perso­na­li­sierung des Nutzungs­er­leb­nisses verwenden wollen, die mit einem potentiell unbeschränkten Zugriff auf Charakteristika auch ihrer "Off-Facebook"-Internetnutzung durch Facebook verbunden ist, oder ob sie sich nur mit einer Perso­na­li­sierung einverstanden erklären wollen, die auf den Daten beruht, die sie auf facebook.com selbst preisgeben.

Facebook ist als Betreiber eines sozialen Netzwerks auf zwei Märkten tätig

Das Missbrauch­s­urteil - das nach gefestigter Rechtsprechung sowohl die Feststellung nachteiliger Wirkungen auf den betroffenen Märkten voraussetzt als auch eine Abwägung aller beteiligten Interessen erfordert, die sich an der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Funktion des GWB orientiert - beruht dabei im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen: Facebook ist als Betreiber eines sozialen Netzwerks auf zwei Märkten tätig. Es bietet zum einen privaten Nutzern die Plattform als Medium zur Darstellung der Person des Nutzers in ihren sozialen Beziehungen und zur Kommunikation an. Es ermöglicht zum anderen Unternehmen Werbung im Netzwerk und finanziert damit auch die Nutzerplattform, für deren Nutzung die Nutzer kein (monetäres) Entgelt zahlen. Indem Facebook seinen Nutzern personalisierte Erlebnisse und damit über die bloße Platt­form­funktion hinaus Kommu­ni­ka­ti­o­ns­inhalte bereitzustellen verspricht, ergeben sich allerdings fließende Übergänge und Verschränkungen zwischen Leistungen gegenüber den Nutzern und der Refinanzierung der Platt­form­be­reit­stellung durch unter­schiedliche Formen der Online-Werbung. Als markt­be­herr­schender Netzwerk­be­treiber trägt Facebook eine besondere Verantwortung für die Aufrecht­er­haltung des noch bestehenden Wettbewerbs auf dem Markt sozialer Netzwerke. Dabei ist auch die hohe Bedeutung zu berücksichtigen, die dem Zugriff auf Daten aus ökonomischer Perspektive zukommt.

Fehlende Wahlmöglichkeit stellt kartell­rechtlich relevante Ausbeutung der Nutzer dar

Die fehlende Wahlmöglichkeit der Facebook-Nutzer beeinträchtigt nicht nur ihre persönliche Autonomie und die Wahrung ihres - auch durch die DSGVO geschützten - Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung. Vor dem Hintergrund der hohen Wechselhürden, die für die Nutzer des Netzwerks bestehen ("Lock-in-Effekte"), stellt sie vielmehr auch eine kartell­rechtlich relevante Ausbeutung der Nutzer dar, weil der Wettbewerb wegen der markt­be­herr­schenden Stellung von Facebook seine Kontroll­funktion nicht mehr wirksam ausüben kann. Nach den Feststellungen des Bundes­kar­tellamts wünschen erhebliche Teile der privaten Facebook-Nutzer einen geringeren Umfang der Preisgabe persönlicher Daten. Bei funkti­o­nie­rendem Wettbewerb auf dem Markt sozialer Netzwerke wäre ein entsprechendes Angebot zu erwarten. Hierauf könnten Nutzer ausweichen, für die der Umfang der Datenpreisgabe ein wesentliches Entschei­dungs­kri­terium wäre.

Behinderung des Wettbewerbs durch die Nutzungs­be­din­gungen

Die so ausgestalteten Nutzungs­be­din­gungen sind auch geeignet, den Wettbewerb zu behindern. Zwar ist die Marktstellung von Facebook in erster Linie durch direkte Netzwer­ke­effekte geprägt, da der Nutzen des Netzwerks für die privaten Nutzer wie für die werbetreibenden Unternehmen mit der Gesamtzahl der dem Netzwerk angeschlossenen Personen steigt. Die Marktposition von Facebook kann auch nur dann erfolgreich angegriffen werden, wenn es einem Konkurrenten gelingt, in überschaubarer Zeit eine für die Attraktivität des Netzes ausreichende Zahl von Nutzern zu gewinnen. Jedoch handelt es sich bei dem Zugang zu Daten nicht nur auf dem Werbemarkt um einen wesentlichen Wettbe­wer­b­spa­rameter, sondern auch auf dem Markt sozialer Netzwerke. Der Zugang von Facebook zu einer erheblich größeren Datenbasis verstärkt die ohnehin schon ausgeprägten "Lock-in-Effekte" weiter. Außerdem verbessert diese größere Datenbasis die Möglichkeiten der Finanzierung des sozialen Netzwerks mit den Erlösen aus Werbeverträgen, die ebenfalls von Umfang und Qualität der zur Verfügung stehenden Daten abhängen.

Beein­träch­tigung des Marktes für Online-Werbung nicht auszuschließen

Wegen der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb um Werbeverträge lässt sich schließlich auch eine Beein­träch­tigung des Marktes für Online-Werbung nicht ausschließen. Entgegen der Auffassung des Beschwer­de­ge­richts bedarf es insoweit keiner Feststellung, dass es einen eigenständigen Markt für Online-Werbung für soziale Medien gibt und Facebook auch auf diesem Markt über eine markt­be­herr­schende Stellung verfügt. Die Beein­träch­tigung muss nicht auf dem beherrschten Markt eintreten, sondern kann auch auf einem nicht beherrschten Drittmarkt eintreten.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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