21.11.2024
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Sie sehen eine abgedunkelte Fassade von mehreren Hochhäusern, auf der ein Schutzschild leuchtet.

Dokument-Nr. 32556

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Bundesgerichtshof Urteil18.01.2023

Betriebs­schließungs­versicherung in der COVID-19-PandemieBetriebs­schließungs­versicherung muss für zweiten Lockdown zahlen

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass einer Versicherungs­nehmerin auf der Grundlage der hier vereinbarten Versicherungs­bedingungen Ansprüche aus einer Betriebs­schließungs­versicherung wegen der teilweisen Einstellung ihres Hotelbetriebs in Niedersachsen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie während des sogenannten "zweiten Lockdowns" zustehen, hingegen der Versicherer nicht verpflichtet ist, eine Entschädigung aus Anlass der Betrie­bs­schließung während des sogenannten "ersten Lockdowns" zu zahlen.

Die Klägerin hält bei dem beklagten Versicherer eine sogenannte Betriebsschließungsversicherung. Sie begehrt aufgrund der teilweisen Einstellung ihres Hotelbetriebs in der Zeit vom 18. März bis zum 25. Mai 2020 Entschä­di­gungs­leis­tungen sowie die Feststellung, dass der Versicherer verpflichtet ist, ihr den aus der erneuten Schließung ab dem 2. November 2020 entstandenen Schaden zu ersetzen. Dem Versi­che­rungs­vertrag liegen die "Bedingungen für die Betrie­bs­schließungs-Pauscha­l­ver­si­cherung Gewerbe (BBSG 19)" zugrunde. Nach Ziff. 8.1 BBSG 19 ersetzt der Versicherer dem Versi­che­rungs­nehmer im Falle einer bedin­gungs­gemäßen Betriebsschließung den entgehenden Gewinn und fortlaufende Kosten bis zum Ablauf der vereinbarten Haftzeit.

Regelungen zu melde­pflichtiger Krankheiten oder Krank­heits­er­regern

Die BBSG 19 lauten auszugsweise: "3.1Behördliche Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätig­keits­verboten: Der Versicherer leistet … Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes beim Auftreten melde­pflichtiger Krankheiten oder Krank­heits­erreger (siehe Ziffer 3.4) 3.1.1den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von melde­pflichtigen Krankheiten oder Krank­heits­er­regern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt; Tätig­keits­verbote gegen sämtliche Betrie­b­s­an­ge­hörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betrie­bs­schließung gleichgestellt (Schließung); Unter 3.4 heißt es "Meldepflichtige Krankheiten und Krank­heits­erreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krank­heits­erreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzepha­lo­pathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG."

Landkreis untersagte Beherbergung von Personen zu touristischen Zwecken

Mit Allge­mein­ver­fügung vom 18. März 2020 untersagte der zuständige Landkreis unter anderem Betreibern von Beher­ber­gungs­stätten, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen. Nach vorübergehender Lockerung der Maßnahmen war es Betreibern von Beher­ber­gungs­stätten durch die am 2. November 2020 in Kraft getretene Nieder­säch­sische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Nieder­säch­sische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 erneut untersagt, Übernach­tungs­an­gebote zu unterbreiten und Übernachtungen zu touristischen Zwecken zu gestatten. Die Klägerin bot daraufhin in der Zeit vom 18. März bis zum 25. Mai 2020 und ab dem 2. November 2020 keine Übernachtungen zu touristischen Zwecken an.

LG hielt Zahlungsklage dem Grunde nach gerechtfertigt

Das Landgericht hat ein Grund- und Teilurteil erlassen, demzufolge die Zahlungsklage dem Grunde nach gerechtfertigt und die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den aus der erneuten Schließung des versicherten Betriebes entstandenen Schaden zu ersetzen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlan­des­gericht die Zahlungsklage insgesamt abgewiesen und das weitergehende Rechtsmittel zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die Revisionen beider Parteien.

BGH: Leistungs­ver­sprechens nicht auf Rechtszustand zum Zeitpunkt des Vertrags­schlusses beschränkt

Der Bundes­ge­richtshof hat die Rechtsmittel beider Parteien zurückgewiesen. Zu Recht hat das Berufungs­gericht entschieden, dass in der Bezugnahme in Ziff. 3.4 BBSG 19 auf die im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krank­heits­erreger keine Beschränkung des Leistungs­ver­sprechens auf den Rechtszustand im Zeitpunkt des Vertrags­schlusses zu sehen ist. Dies ergibt sich aus der Unkla­r­hei­tenregel des § 305 c Abs. 2 BGB. Die mehrfache Bezugnahme der Bedingungen auf das IfSG ohne Angabe einer konkreten Gesetzesfassung oder eines Zeitpunkts, auf den es für die Frage ankommt, welcher Rechtszustand zugrunde zu legen ist, kann den Versi­che­rungs­nehmer, der die Bedeutung der Verweisung zu erschließen versucht, auf der einen Seite zu dem Verständnis führen, dass der Zeitpunkt des Eintritts des Versi­che­rungs­falles maßgeblich ist. Auf der anderen Seite ist auch eine Auslegung dahin möglich, dass eine Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG in der zum Zeitpunkt des Vertrags­schlusses geltenden Fassung erfolgen soll.

Corona namentlich ab 23. Mai 2020 genannt

Der Klausel lässt sich nach ihrem Wortlaut unter Berück­sich­tigung ihres nach verständiger Würdigung zu ermittelnden Sinnes und Zwecks jedenfalls mangels einer ausdrücklichen Beschränkung nicht eindeutig entnehmen, dass die Beklagte mit ihr zur Festlegung des Inhalts des Leistungs­ver­sprechens auf die zum Zeitpunkt des Vertrags­schlusses in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich benannten Krankheiten und Krank­heits­erreger verweist. Vielmehr ist auch die vom Berufungs­gericht erwogene Auslegung möglich, die Klausel erfasse mit ihrer Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG die zum Zeitpunkt der behördlichen Anordnung namentlich aufgeführten Krankheiten und Krank­heits­erreger. Diese Ausle­gungs­zweifel gehen zu Lasten des Verwenders. Ziff. 3.4 BBSG 19 enthält gerade - anders als die Versi­che­rungs­be­din­gungen, die dem Senatsurteil vom 26. Januar 2022 (IV ZR 144/21) zugrunde lagen - keine namentliche Aufzählung der versicherten melde­pflichtigen Krankheiten und Krank­heits­erreger. Das Berufungs­gericht ist demnach zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin aus Anlass der teilweisen Einstellung ihres Betriebs ab dem 2. November 2020 die begehrte Feststellung verlangen kann, weil die Krankheit COVID-19 und der Krank­heits­erreger SARS-CoV-2 mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19. Mai 2020 am 23. Mai 2020 in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. t und § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 44a IfSG namentlich genannt wurden.

Nur die mit Namen bezeichneten Krankheiten und Krank­heits­erreger vom Versi­che­rungs­schutz umfasst

Zu Recht hat das Berufungs­gericht weiter angenommen, dass es an der nach Ziff. 3.4 BBSG 19 vorausgesetzten namentlichen Nennung der Krankheit oder des Krank­heits­er­regers in den §§ 6 und 7 IfSG im Zeitpunkt der ersten Betrie­bs­schließung durch die Allge­mein­ver­fügung vom 18. März 2020 fehlte. Nicht maßgeblich ist hierbei, dass bereits mit dem Inkrafttreten einer auf der Grundlage von § 15 IfSG erlassenen Verordnung am 1. Februar 2020 die Meldepflichten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG auf den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie den Tod in Bezug auf eine Infektion mit COVID-19 und auf den direkten oder indirekten Nachweis einer Infektion mit SARS-CoV-2 ausgedehnt wurden. Mit der Begrenzung des Leistungs­ver­sprechens auf "die im Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krank­heits­erreger" erschließt sich dem durch­schnitt­lichen Versi­che­rungs­nehmer, dass nur die in diesen Vorschriften mit Namen bezeichneten Krankheiten und Krank­heits­erreger vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen.

Versi­che­rungs­schutz auf die im Gesetz benannten Krankheiten und Krank­heits­erreger zu begrenzen

Zwar bedeutet es für den Versi­che­rungs­nehmer in der Sache keinen Unterschied, ob die auf einer Erweiterung der melde­pflichtigen Krankheiten und Krank­heits­erreger beruhende Schließung seines Betriebs ihre Grundlage in einem formellen Gesetz oder in einer Rechts­ver­ordnung hat. Dessen ungeachtet bleibt es aber die eigen­ver­ant­wortliche Entscheidung des Versicherers im Rahmen seines Leistungs­an­gebots, ob auch solche Erweiterungen des Kreises der melde­pflichtigen Krankheiten und Krank­heits­erreger durch eine Rechts­ver­ordnung vom Versi­che­rungs­schutz umfasst sein sollen. Indem die Klausel unmiss­ver­ständlich die namentliche Benennung der Krankheiten und Krank­heits­erreger in den §§ 6 und 7 IfSG verlangt, macht sie für den durch­schnitt­lichen Versi­che­rungs­nehmer das Anliegen der Beklagten erkennbar und nachvollziehbar, den Versi­che­rungs­schutz jedenfalls auf die im Gesetz selbst benannten Krankheiten und Krank­heits­erreger zu begrenzen.

Mögliche Lücken im Versi­che­rungs­schutz erkennbar

Ziff. 3.4 BBSG 19 verstößt auch nicht gegen das Trans­pa­renzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der durch­schnittliche Versi­che­rungs­nehmer entnimmt - wie dargestellt - dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Bedingungen, dass in Ziff. 3.4 BBSG 19 die melde­pflichtigen Krankheiten und Krank­heits­erreger im Sinne der hier vereinbarten Bedingungen in der Weise abschließend definiert werden, als sie in den §§ 6 und 7 IfSG unter Nennung ihres Namens aufgeführt sein müssen, um Anlass für die Gewährung von Versi­che­rungs­schutz sein zu können. Für den durch­schnitt­lichen Versi­che­rungs­nehmer ist hinreichend erkennbar, dass der sich nach Ziff. 3.4 BBSG 19 aus dem Wortlaut der §§ 6 und 7 IfSG ergebende Katalog versicherter Krankheiten und Krank­heits­erreger nicht sämtliche nach dem IfSG melde­pflichtigen Krankheiten und Krank­heits­erreger erfasst und daher Lücken im Versi­che­rungs­schutz bestehen können. Ihm wird durch die Bedingungen nicht der Eindruck vermittelt, dass jede Betrie­bs­schließung auf der Grundlage des IfSG vom Versi­che­rungs­schutz erfasst wird.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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