21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil03.08.2023

Keine Entschädigung für coronabedingte Einnah­me­ausfälle eines Berufsmusikers im "ersten Lockdown"Veranstaltungs­verbote und -beschränkungen waren verhältnismäßig

Weil er im Corona-Lockdown im Frühjahr 2021 nicht auftreten durfte, hatte ein Musiker eine Entschädigung vom Staat verlangt. Der Bundes­ge­richtshof entschied, dass der Staat nicht für Einnah­me­verluste haften muss, die einem Berufsmusiker wegen coronabedingter Auftritts­verbote entstanden sind.

Der im Freistaat Bayern ansässige Kläger betreibt ein Musik- und Filmpro­duk­ti­o­ns­un­ter­nehmen und ist Leiter einer Musikgruppe. Seine Aufträge bestehen zu mehr als 90 Prozent aus Live-Auftritten. Er begehrt von dem beklagten Land Baden-Württemberg Entschädigung für Einnahmeausfälle, die ihm in dem Zeitraum von März bis Juli 2020 entstanden seien, weil er und seine Musikgruppe auf Grund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19-Krankheit nicht auf Veranstaltungen habe auftreten können. Das beklagte Land erließ ab dem 17. März 2020 auf der Grundlage von § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes (IfSG) sukzessive mehrere Verordnungen zur Bekämpfung des Coronavirus. Das zunächst angeordnete generelle Verbot von Versammlungen und Veranstaltungen wurde in der Folgezeit gelockert. Ab dem 1. Juni 2020 waren unter Einhaltung bestimmter Schutz­vor­keh­rungen und Hygie­ne­maß­nahmen wieder Kultur­ver­an­stal­tungen jeglicher Art unter 100 Teilnehmern gestattet. Ab dem 1. Juli 2020 waren bei Veranstaltungen mit festen Sitzplätzen sowie einem vorab festgelegten Programm bis zu 250 Teilnehmer zulässig. Das Landgericht hat die auf Zahlung von 8.326,48 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vor dem Oberlan­des­gericht erfolglos geblieben. Im Revisi­ons­ver­fahren hat der Kläger in erster Linie einen Entschä­di­gungs­an­spruch nach dem richter­recht­lichen Haftungs­in­stitut des enteig­nungs­gleichen Eingriffs weiterverfolgt.

BGH verneint Anspruch auf Entschädigung

Der BGH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Ein Entschä­di­gungs­an­spruch wegen enteig­nungs­gleichen Eingriffs setzt voraus, dass rechtswidrig in eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition von hoher Hand unmittelbar eingegriffen wird und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die in den Corona-Verordnungen des beklagten Landes angeordneten Veran­stal­tungs­verbote und -beschränkungen waren nicht rechtswidrig. Sie sind insbesondere mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. Durch die Veran­stal­tungs­verbote und -beschränkungen wurde zwar in den Gewerbebetrieb des Klägers als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG eingegriffen, da es dem Kläger vorübergehend verwehrt bzw. nur in eingeschränktem Maße möglich war, die vorhandenen Betriebsmittel bestim­mungsgemäß zu nutzen und - nach seinem revisi­ons­rechtlich zu unterstellenden Vortrag - bereits vertraglich vereinbarte Auftritts­mög­lich­keiten wahrzunehmen.

Veran­stal­tungs­verbote und -beschränkungen waren verhältnismäßig und erforderlich

Die angeordneten Veran­stal­tungs­verbote und -beschränkungen waren jedoch verhältnismäßig. Sie dienten einem verfas­sungs­rechtlich legitimen Zweck, weil sie darauf abzielten, durch die Reduzierung zwischen­mensch­licher Kontakte die weitere Verbreitung des Virus zu verlangsamen und das exponentielle Wachstum der Infektionen zu durchbrechen, um eine Überlastung des Gesund­heits­systems zu vermeiden und die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Das Robert Koch-Institut hat in seinen täglichen Lageberichten gerade auch die "soziale Distanzierung" als geeignete Gegenmaßnahme zur Verbreitung des Virus und zur Überlastung des Gesund­heits­wesens bezeichnet. Die befristet und abgestuft angeordneten Veran­stal­tungs­verbote und -beschränkungen waren auch erforderlich, weil gleich geeignete, mildere Mittel nicht zur Verfügung standen. Unter Berück­sich­tigung des ihm zustehenden weiten Beurtei­lungs­spielraums durfte das beklagte Land Mitte März 2020 davon ausgehen, dass es auf die möglichst rasche und umfassende Unterbindung sozialer Kontakte ankam, um der Gefahr einer unkon­trol­lierten Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und den damit verbundenen Bedrohungen für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung sowie die Funkti­o­ns­tüch­tigkeit des Gesund­heits­systems wirksam zu begegnen. Mit dem vorrangigen Ziel schnellst­mög­licher und umfassender Kontakt­be­schrän­kungen waren diffe­ren­zierende Übergangs- und Ausnah­me­re­ge­lungen nicht zu vereinbaren. Verhal­tens­regeln für Versammlungen und Veranstaltungen stellten selbst bei vollum­fäng­licher Beachtung kein gleich wirksames Mittel dar. Hinzu tritt das Risiko bewusst oder unbewusst fehlerhafter Anwendung der Regeln (gerade bei Veranstaltungen wie Hochzeiten, Firmenfeiern und Konzerten, auf denen die Musikgruppe des Klägers auftritt).

Einnah­me­ausfälle durch großzügige staatliche Hilfsprogramme abgemildert

Die von dem beklagten Land in der Zeit von März bis Juli 2020 angeordneten Veran­stal­tungs­verbote und -beschränkungen waren auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die öffentliche Hand hat für den zu beurteilenden Zeitraum einen verfas­sungs­gemäßen Ausgleich zwischen der Grund­rechts­be­ein­träch­tigung des Klägers und dem mit dem Veranstaltungsverbot verfolgten Schutz besonders bedeutsamer Gemein­wohl­belange gefunden. Die angeordneten Maßnahmen, also auch das Veran­stal­tungs­verbot, waren von Anfang an zeitlich befristet. Der Verord­nungsgeber hatte von vornherein eine "Ausstiegs-Strategie" im Blick und verfolgte ein stufenweises Öffnungskonzept. Eine weitere Abmilderung des Eingriffs in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bewirkten großzügige staatliche Hilfsprogramme. Hinzukamen finanzielle Leistungen des Freistaates Bayern, die dieser dort ansässigen Unternehmen, Soloselb­ständigen und Angehörigen freier Berufe, was auch dem Kläger, dessen Firmensitz in Bayern liegt, zur Verfügung stand. Soweit durch die angeordneten Veran­stal­tungs­verbote und -beschränkungen zugleich in das Grundrecht des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen wurde, gilt nichts Anderes. Daran ändert sich auch nichts, wenn man die durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistete Kunstfreiheit zusätzlich in den Blick nimmt. Die Kunstfreiheit ist in Fällen, in denen es um den Ausgleich von Erwerbsschäden auf Grund von infek­ti­o­ns­schutz­recht­lichen Veran­stal­tungs­verboten und -beschränkungen geht, nicht in ihrer immateriellen, sondern in ihrer vermö­gens­recht­lichen Dimension betroffen, so dass Art. 12 Abs. 1 GG maßgeblich ist. Der Gesetzgeber des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes war verfas­sungs­rechtlich nicht verpflichtet, für Belastungen, wie sie für den Kläger mit den in den Veran­stal­tungs­verboten und -beschränkungen liegenden Inhalts- und Schran­ken­be­stim­mungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einhergingen, Ausgleichs­ansprüche zu regeln. Der Zeitraum, in dem sich das von dem beklagten Land angeordnete Veran­stal­tungs­verbot für den Kläger faktisch wie eine Betrie­bs­un­ter­sagung auswirkte, betrug lediglich zweieinhalb Monate. Danach war es ihm in eingeschränktem Umfang wieder möglich, die von ihm angebotenen Dienst­leis­tungen zu erbringen. Ein solcher Zeitraum war unter Berück­sich­tigung des den Betriebsinhaber grundsätzlich treffenden Unter­neh­mer­risikos für den Gewerbebetrieb des Klägers nicht unzumutbar.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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