21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil15.07.2021

Platz-/Reser­vie­rungs­gebühr für die Zeit vor dem Einzug des Pflege­be­dürftigen in das Pflegeheim auch gegenüber Privat­ver­si­cherten unzulässigPrivat Pflege-Pflicht­ver­si­cherten sind den gesetzlich Pflege-Pflicht­ver­si­cherten gleichgestellt

Der Bundes­ge­richtshofs hat heute über die Frage entschieden, ob eine Platz-/Reser­vie­rungs­gebühr, die einem privat­ver­si­cherten Pflege­be­dürftigen für die Zeit vor dem tatsächlichen Einzug in das Pflegeheim berechnet wurde, zurückerstattet werden muss.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Für die inzwischen verstorbene Mutter des Klägers bestand eine private Pflege­pflicht­ver­si­cherung. Der Kläger schloss als Vertreter seiner Mutter mit der Beklagten als Einrich­tungs­trägerin einen schriftlichen "Vertrag für vollstationäre Pflege­ein­rich­tungen" mit Wirkung zum 15. Februar 2016 ab. Der Einzug der Beklagten erfolgte am 29. Februar 2016. Der Pflegevertrag sieht vor, dass die (künftige) Bewohnerin vom Vertragsbeginn bis zum Einzugstermin eine Platzgebühr in Höhe von 75 % der Pflegevergütung, der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie des Umlagebetrags nach der Alten­pfle­ge­aus­bil­dungs­aus­gleichs­ver­ordnung (AltPflAusglVO) zu entrichten hat. Der Kläger bezahlte zunächst den Rechnungsbetrag. 2018 forderte er die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung auf. Der Kläger hat geltend gemacht, gemäß § 87 a SGB XI habe eine Vergü­tungs­pflicht erst ab dem tatsächlichen Einzug seiner Mutter in das Pflegeheim der Beklagten am 29. Februar 2016 bestanden. Abweichende Vereinbarungen seien unwirksam. Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung des geforderten Betrags verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das erstin­sta­nzliche Urteil dahin abgeändert, dass die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 209,30 € nebst Zinsen und vorge­richt­lichen Rechts­an­walts­kosten verurteilt worden ist.

BGH: Vereinbarung über einer Platz-/Reser­vie­rungs­gebühr unwirksam

Der BGH hat auf die Revision des Klägers das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Die Vereinbarung einer Platz-/Reser­vie­rungs­gebühr ist mit § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG in Verbindung mit § 87 a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar und daher unwirksam (15 Abs. 1 Satz 2 WBVG, § 87 a Abs. 1 Satz 4 SGB XI). Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG müssen in Verträgen mit Verbrauchern, die Leistungen nach dem Elften Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB XI) in Anspruch nehmen, die Vereinbarungen den Regelungen des Siebten und Achten Kapitels des Elften Buches Sozial­ge­setzbuch sowie den aufgrund dieser Kapitel getroffenen Regelungen entsprechen. Die Verweisung in § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG auf die Vorschriften des Achten Kapitels des SGB XI über die Vergütung der Pflege­leis­tungen schließt die zu diesen Bestimmungen zählende Regelung des § 87 a Abs. 1 SGB XI ein.

Anwen­dungs­bereich umfasst auch Leistungen für Privat­ver­si­cherte

Entgegen der Auffassung des Berufungs­ge­richts umfasst der Anwen­dungs­bereich des § 15 Abs. 1 WBVG nicht nur Verbraucher, die Leistungen der sozialen Pflege­ver­si­cherung im Sinne des § 28 SGB XI unmittelbar beziehen, sondern auch Verbraucher, die Leistungen einer privaten Pflege­pflicht­ver­si­cherung erhalten und damit mittelbar Leistungen auf der Basis des Vierten Kapitels des SGB XI in Anspruch nehmen. Dafür sprechen nicht nur der enge systematische Zusammenhang und die leistungsmäßige Gleichstellung der sozialen und der privaten Pflege­ver­si­cherung (§ 23 in Verbindung mit § 110 SGB XI), sondern vor allem auch der in der Geset­zes­be­gründung eindeutig zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck der Vorschrift. In der Geset­zes­be­gründung wird ausgeführt, dass mit § 15 Abs. 1 WBVG eine Sonderregelung für das Verhältnis zwischen vertraglichen Vereinbarungen von Unternehmer und Verbraucher und den gesetzlichen Regelungen des SGB XI geschaffen werde. Hiernach seien vertragliche Vereinbarungen, die den Vorschriften des SGB XI sowie den aufgrund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen nicht entsprächen, unwirksam. Erfasst würden mit der Bezugnahme auf die Regelungen des SGB XI auch die Fälle mittelbarer Leistungs­i­n­an­spruchnahme im Rahmen der privaten Pflege­pflicht­ver­si­cherung.

Vorrang des gesetzlichen Leistungs­er­brin­gungs­rechts

Dem in der Geset­zes­be­gründung betonten Zweck des § 15 Abs. 1 WBVG, den Vorrang des Leistungs­er­brin­gungs­rechts nach dem SGB XI vor vertraglichen Vereinbarungen nach dem WBVG sicherzustellen und die zivil­recht­lichen/vertrags­recht­lichen Vorgaben des WBVG mit den leistungs­recht­lichen Bestimmungen des SGB XI zu harmonisieren, kann nur dann umfassend Rechnung getragen werden, wenn der Anwen­dungs­bereich der Norm auch auf die Fälle der mittelbaren Inanspruchnahme von Sozia­l­leis­tungen nach dem SGB XI erstreckt wird. Andernfalls käme es zu einer kaum nachvoll­ziehbaren Ungleich­be­handlung der hinsichtlich des Leistungs­umfangs gleich­ge­stellten Versicherten in der privaten Pflege­ver­si­cherung, die der Gesetzgeber in diesem Bereich gerade vermeiden wollte.

Prinzip der taggenauen Leistungs­a­b­rechnung

Es ist mit § 87 a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar, eine Platz- oder Reservierungsgebühr auf der Basis des vertraglichen Leistungs­entgelts - gegebenenfalls vermindert um pauschalierte ersparte Aufwendungen - für die Zeit vor der Aufnahme des Pflege­be­dürftigen in das Pflegeheim bis zum tatsächlichen Einzugstermin vertraglich festzulegen. Dies widerspräche nicht nur dem Prinzip der Abrechnung der tatsächlichen Leistungs­er­bringung auf Tagesbasis, sondern begründete auch die (naheliegende) Gefahr, dass Leerstände im Anschluss an einen Auszug oder das Versterben eines Heimbewohners doppelt berücksichtigt würden, nämlich zum einen über die in die Pflegesätze eingeflossene Auslas­tungs­ka­l­ku­lation und/oder etwaige Wagnis- und Risikozuschläge und zum anderen über die zusätzliche Inrech­nung­s­tellung eines Leistungs­entgelts ohne tatsächliche Leistungs­er­bringung gegenüber einem zukünftigen Heimbewohner. § 87 a Abs. 1 Satz 4 SGB XI erklärt die Regelungen zur Zahlungspflicht nach § 87 a Abs. 1 Satz 1 SGB XI für zwingend. Wegen § 15 Abs. 1 Satz 2 WBVG ist es auch nicht möglich, abweichenden Vereinbarungen in einem Wohn- und Betreu­ungs­vertrag den Vorrang einzuräumen. Die Beklagte ist daher nach Berei­che­rungsrecht zur Rückerstattung weiterer 918,54 € verpflichtet. Der Senat konnte jedoch nicht abschließend entscheiden, weil Feststellungen dazu nachzuholen sind, ob der Kläger für den geltend gemachten Anspruch aktiv­le­gi­timiert ist.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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