23.11.2024
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Dokument-Nr. 29171

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Bundesgerichtshof Urteil03.09.2020

Kohl-Tonbänder: Erbin kann Auskunft über Verbleib der Verviel­fäl­ti­gungen von Tonbändern verlangenKein Auskunfts­an­spruch auf weitere Unterlagen

Der BGH hat entschieden, dass der Erbin des früheren Bundeskanzlers und vormaligen Klägers Dr. Helmut Kohl Auskunft über die Existenz und den Verbleib der Verviel­fäl­ti­gungen von Tonband­aufzeichnungen zu erteilen ist, der Auskunfts­an­spruch hinsichtlich weiterer Unterlagen indes verjährt ist.

Dr. Kohl und der Beklagte, ein bekannter Journalist, schlossen 1999 mit einem Verlag jeweils selbständige, inhaltlich aber aufeinander abgestimmte Verträge. Deren Gegenstand war die Erstellung der Memoiren des ehemaligen Bundeskanzlers; die schriftliche Abfassung des Werkes sollte durch den Beklagten erfolgen. Kohl und der Beklagte, die die Einzelheiten ihrer Zusammenarbeit unmittelbar miteinander besprechen sollten, trafen sich in den Jahren 2001 und 2002 an über 100 Tagen im Wohnhaus des früheren Bundeskanzlers zu Gesprächen, die insgesamt etwa 630 Stunden dauerten und mit einem Tonbandgerät aufgenommen wurden. Kohl sprach dabei auf Fragen und Stichworte des Beklagten ausführlich über sein gesamtes Leben, sowohl über die Zeit, in der er höchste politische Ämter innehatte, als auch über seinen vorherigen Werdegang. Die Tonbänder, die Kohl persönlich zu keinem Zeitpunkt in den Händen hatte, nahm der Beklagte zur Vorbereitung der geplanten Buchver­öf­fent­lichung jeweils mit nach Hause. Von den Aufnahmen fertigte er Kopien an und ließ Abschriften anfertigen. Außerdem gewährte bzw. ermöglichte Kohl dem Beklagten Zugang zu zahlreichen Unterlagen.

Verbleib der Unterlagen lauf Beklagten unbekannt

Später überwarfen sich die Parteien. Kohl kündigte die Zusammenarbeit mit dem Beklagten und bat diesen u.a. mit anwaltlichem Schreiben vom 18. März 2010 um Prüfung und Weiterleitung einzeln in dem Schreiben aufgeführter Akten sowie weiterer Unterlagen, die noch nicht als fehlend aufgefallen seien, aber sich noch im Bestand des Beklagten befänden. Hierauf antwortete der Beklagte am 30. März 2010, die in dem Schreiben aufgeführten Akten befänden sich nicht in seinem Besitz. Einst in Kohls Büro gefertigte Kopien könnten nicht zurückgegeben werden, da sie unter verschiedenen Gesichtspunkten bearbeitet und ausgewertet worden seien. Im Übrigen handele es sich um allgemein zugängliche Reden und durchweg öffentliche Auftritte. Ende 2014 erklärte der Beklagte in einer Fernsehsendung, Kopien der Tonbänder angefertigt zu haben, die "in deutschen Landen und auch im Ausland" verstreut seien und an die "man nicht so schnell drankommen" werde.

Kohl-Erbin verlangt Auskunft über Verbleib der Verviel­fäl­ti­gungen von Tonbändern

In einem früheren Verfahren machte Kohl erfolgreich die Herausgabe der Origi­nal­ton­bänder geltend (vgl. Presse­mit­teilung 118/2015 vom 10. Juli 2015). Im vorliegenden Verfahren, das nach seinem Tod von seiner Erbin fortgeführt worden ist, verlangt diese im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über Existenz und Verbleib schriftlicher, digitaler und sonstiger Verviel­fäl­ti­gungen der Tonbänder sowie über weitere Unterlagen, die der Beklagte aus der Zusammenarbeit im Rahmen der Erstellung der Memoiren besitzt oder weitergegeben hat.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Landgericht hat der Klage bezüglich der schriftlichen, digitalen und sonstigen Verviel­fäl­ti­gungen der Tonbänder stattgegeben und sie hinsichtlich der weiteren Unterlagen abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlan­des­gericht die Klage auch im Hinblick auf schriftliche Verviel­fäl­ti­gungs­stücke des Tonbandinhalts mit der Begründung abgewiesen, diese Ansprüche seien verjährt. Die Verurteilung des Beklagten zur Auskunft über die digitalen und sonstigen Verviel­fäl­ti­gungen hat es bestätigt. Die Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Rechtsmittel eingelegt, mit denen sie ihre erstin­sta­nz­lichen Anträge jeweils weiterverfolgen.

BGH verneint Verjährung des Anspruchs bezüglich Verviel­fäl­ti­gungs­stücke

Der Bundes­ge­richtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und das erstin­sta­nzliche Urteil wieder­her­ge­stellt. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Beklagte aufgrund eines zwischen ihm und dem Erblasser bestehenden Rechts­ver­hält­nisses verpflichtet war, das durch die Zusammenarbeit mit dem Erblasser Erlangte an diesen herauszugeben (§ 667 BGB), auf Verlangen Auskunft über den Stand des Geschäfts zu geben und über die Ausführung Rechenschaft abzulegen (§ 666 BGB). Der für ein solches Verhältnis erforderliche Rechts­bin­dungswille ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaft­liches Interesse hat. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungs­ge­richts konnte der Erblasser gegenüber dem Beklagten nur dann seine persönlichen Erinnerungen, Informationen, Einschätzungen und unter Umständen auch Gefühle preisgeben, wenn sichergestellt war, dass er gleichwohl nicht nur "Herr über das überlassene Material", sondern auch "Herr über seine Erinnerungen" bleiben konnte. Dies hat das Berufungs­gericht rechts­feh­lerfrei als ein erhebliches rechtliches Interesse im Sinne der genannten Maßstäbe gewertet und sich auch mit den weiteren Einwendungen des Beklagten hinreichend ausein­an­der­gesetzt. Die Wirkungen dieses Rechts­ver­hält­nisses richten sich nach Auftragsrecht. Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, insbesondere aus seiner Stellung als Historiker und Journalist sowie dem Umfang und der Eigen­stän­digkeit seiner Tätigkeit ergebe sich, dass er habe berechtigt sein sollen, die Unterlagen für die Abfassung eigener Werke - jedenfalls bei Wahrung eines hinreichenden zeitlichen Abstands - zu nutzen, hat das Berufungs­gericht rechts­feh­lerfrei insbesondere ausgeführt, jedenfalls aufgrund der vorzeitigen Beendigung der Zusammenarbeit über die Memoiren sei einer etwaigen Zustimmung des Erblassers zu einer Veröf­fent­lichung durch den Beklagten die Grundlage entzogen worden.

Anspruch auf Schadensersatz wegen falscher Auskunft

Der daraus folgende Anspruch gemäß § 666 Fall 3 BGB auf Erteilung der geltend gemachten Auskünfte ist allerdings infolge der Mitteilung des Beklagten vom 30. März 2010 durch Erfüllung erloschen. Ein Auskunftsanspruch ist erfüllt, wenn die Angaben nach dem erklärten Willen des Schuldners die Auskunft im geschuldeten Gesamtumfang darstellen. Die Mitteilung des Beklagten ist vor dem Hintergrund der vorangegangenen Korrespondenz in dem Sinn zu verstehen, dass er abschließend erklärte, über keine heraus­ga­be­pflichtigen Gegenstände mehr zu verfügen. Da diese Erklärung jedoch schuldhaft falsch war, hat die Klägerin nunmehr einen Anspruch auf Schadensersatz (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB), der darauf gerichtet ist, so gestellt zu werden, wie sie bei richtiger Auskunft stünde. Der Schaden kann dabei insbesondere darin liegen, dass aufgrund der falschen Auskunft ein Anspruch nicht geltend gemacht worden ist. Dies ist hier der Anspruch auf Herausgabe der Verviel­fäl­ti­gungen der Tonbänder und der weiteren Unterlagen.

Ergänzender Auskunfts­an­spruch wegen vorsätzlicher Pflicht­ver­letzung

Da die Klägerin im Unklaren über Inhalt und Umfang ihres Schaden­s­er­satz­an­spruchs ist, steht ihr zu dessen Durchsetzung aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ein ergänzender Auskunfts­an­spruch zu. Jedenfalls bei einer schweren, insbesondere vorsätzlichen Pflicht­ver­letzung ist es gerechtfertigt, dem Gläubiger zur Durchsetzung seiner Schaden­s­er­satz­ansprüche einen hierauf bezogenen ergänzenden Auskunfts­an­spruch zu gewähren. Die nicht angegriffenen tatrich­ter­lichen Feststellungen lassen allein den Schluss darauf zu, dass der Beklagte mit seiner Erklärung, über keine Gegenstände zu verfügen, die an den Erblasser herauszugeben seien, diesen vorsätzlich in die Irre führte. Darüber hinaus bestand aufgrund der Erklärung des Beklagten Ende 2014, die Kopien der Tonbänder seien "in deutschen Landen und auch im Ausland" verstreut und man werde "nicht so schnell drankommen", die begründete Befürchtung, der Beklagte habe die Durchsetzung von Heraus­ga­be­ansprüchen des Erblassers gezielt vereiteln wollen.

Verjährung bezüglich weiterer Unterlagen

Der Anspruch ist allerdings verjährt, soweit die Klägerin Auskunft über die weiteren Unterlagen begehrt. Das Berufungs­gericht hat rechts­feh­lerfrei festgestellt, dass Kohl bereits Ende 2012 vor Augen gestanden habe, dass der Beklagte möglicherweise noch über Unterlagen verfügte. Der Erblasser hatte also zu diesem Zeitpunkt die erforderlichen Kenntnisse, um eine Auskunfts- und Schaden­s­er­satzklage erheben zu können, so dass die dreijährige Verjäh­rungsfrist mit dem Schluss dieses Jahres zu laufen begann. Eine solche Klage hat der Erblasser jedoch erst 2016 erhoben. Demgegenüber wurde die Verjährung hinsichtlich der Verviel­fäl­ti­gungen der Tonbänder durch die 2014 - und damit rechtzeitig - erhobene Klage gehemmt. Dies gilt entgegen der Ansicht des Oberlan­des­ge­richts auch für die schriftlichen Verviel­fäl­ti­gungen. Zwar wusste der Erblasser von deren Anfertigung. Aufgrund der Erklärung des Beklagten vom 30. März 2010 konnte er jedoch ohne grobe Fahrlässigkeit davon ausgehen, dass sie nicht mehr existierten.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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