21.11.2024
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Dokument-Nr. 5764

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Bundesgerichtshof Beschluss28.02.2008

BGH fällt Grund­sat­z­ent­scheidung zur Haftung für Ad-hoc-MeldungenProzess wegen Schrempp-Rücktritt wird neu aufgerollt

Der II. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hatte erstmals in einem Rechts­be­schwer­de­ver­fahren gegen den in einem Kapitalanleger-Musterverfahren ergangenen Musterentscheid eines Oberlan­des­ge­richts zu befinden.

I.Der Musterkläger begehrt aus von seinem Vater abgetretenem Recht von der börsennotierten Musterbeklagten - die im hier maßgeblichen Zeitraum noch als "DaimlerChrysler AG" firmierte - Schadensersatz wegen angeblich verspäteter Ad-hoc-Mitteilung über das vorzeitige Ausscheiden ihres damaligen Vorstands­vor­sit­zenden Prof. Schrempp.

Der Aufsichtsrat der Musterbeklagten beschloss in seiner Sitzung vom 28. Juli 2005 gegen 9.50 Uhr, dass Prof. Schrempp zum 31. Dezember 2005 aus dem Amt des Vorstands­vor­sit­zenden ausscheide und Dr. Zetsche sein Amtsnachfolger werden solle. Hiervon informierte die Musterbeklagte die Geschäfts­füh­rungen der Börsen und der Bundesanstalt für Finanz­dienst­leis­tungs­aufsicht (BaFin) um 10.02 Uhr. Um 10.32 Uhr wurde die Ad-hoc-Mitteilung in der Meldungs­da­tenbank der Deutschen Gesellschaft für Ad-hoc-Publizität (DGAP) veröffentlicht, nachdem zuvor um 9.30 Uhr die Unter­neh­men­s­er­gebnisse der Musterbeklagten für das zweite Quartal 2005 in gleicher Form mitgeteilt worden waren. Nach der Mitteilung der Quartalszahlen stieg der Kurs der Aktien der Musterbeklagten zunächst auf 38,70 €, nach der Meldung über das Ausscheiden Prof. Schrempps noch am selben Tag auf 40,40 € und in der Folgezeit auf 42,95 €. Der Vater des Musterklägers hatte an jenem 28. Juli 2005 um 9.00 Uhr 800 Aktien der Musterbeklagten zum niedrigeren Kurs von 36,50 € und bereits vorher am 16. Mai 2005 100 Aktien zu dem noch niedrigeren Kurs von 31,85 € verkauft.

Der Musterkläger behauptet, Prof. Schrempp habe bereits im Mai 2005 in einem Gespräch gegenüber dem Aufsichts­rats­vor­sit­zenden Kopper erklärt, dass er sein Amt als Vorstands­vor­sit­zender vorzeitig, und zwar zum 31. Dezember 2005, "zur Verfügung stelle"; dies sei als einseitige Amtsnie­der­legung zu verstehen gewesen. Ein derartiges vorzeitiges Ausscheiden Prof. Schrempps habe auch schon im Mai 2005 zwischen diesem, Kopper und dessen Stellvertreter Klemm festgestanden. Ein wesentlicher Teil des Aufsichtsrats sei jedenfalls vor der Aufsichts­rats­sitzung vom 28. Juli 2005 informiert gewesen. Demgegenüber behauptet die Musterbeklagte, der Aufsichtsrat als Gesamtgremium habe vor dem 28. Juli 2005 keine Kenntnis von den Überlegungen des Vorstands­vor­sit­zenden über dessen einvernehmlich zu vereinbarendes vorzeitiges Ausscheiden gehabt.

Auf Vorla­ge­be­schluss des Landgerichts hat das Oberlan­des­gericht durch Musterentscheid festgestellt, dass durch die Vorgänge im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ausscheiden Prof. Schrempps eine Inside­r­in­for­mation im Sinne des § 37 b Abs. 1 WpHG erst aufgrund der Entscheidung des Aufsichtsrats am 28. Juli 2005 um ca. 9.50 Uhr entstanden ist und dass die Musterbeklagte diese unverzüglich veröffentlicht hat. Angesichts dessen hat das Oberlan­des­gericht über die ihm vom Landgericht vorgelegten zehn weiteren hilfsweise gestellten Feststel­lungs­anträge keine Entscheidung mehr getroffen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Musterkläger mit der Rechts­be­schwerde.

II.Der II. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat durch Beschluss vom 25. Februar 2008 den angefochtenen Musterentscheid wegen verfah­rens­feh­ler­hafter Feststellungen zu den umstrittenen Umständen des Ausscheidens Prof. Schrempps aus dem Vorstandsamt aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Oberlan­des­ge­richts zurückverwiesen.

Das Oberlan­des­gericht hat den zentralen Streitpunkt der Äußerungen Prof. Schrempps gegenüber dem Aufsichts­rats­vor­sit­zenden Kopper im Mai 2005 über die "Zurver­fü­gung­s­tellung seines Amtes" rechts­feh­lerhaft als unstreitige einvernehmliche Ausschei­dens­re­gelung angesehen; denn der Musterkläger hat eine solche stets bestritten und unter Beweisantritt das Gegenteil behauptet. Mit dem Muster­fest­stel­lungs­antrag verfolgte der Musterkläger im Rahmen des Feststel­lungsziels die gerichtliche Feststellung, dass das vorzeitige Ausscheiden Prof. Schrempps bereits im Mai 2005 feststand und daher als Insidertatsache zu veröffentlichen gewesen wäre. Schon dort behauptete er konkret, dass Prof. Schrempp im Mai 2005 definitiv die (einseitige) Niederlegung seines Amtes zum Jahresende jedenfalls gegenüber dem Aufsichts­rats­vor­sit­zenden Kopper erklärt habe, mit der Folge der Beendigung seines Organ­ver­hält­nisses. Diese zentrale Behauptung zur einseitigen Rücktritts­er­klärung Prof. Schrempps hat der Musterkläger zu keinem Zeitpunkt während des Muster­ver­fahrens vor dem Oberlan­des­gericht fallengelassen. Die im Widerspruch dazu stehende, gleichwohl zur tragenden Grundlage des Muste­rent­scheids gemachte Annahme des Oberlan­des­ge­richts, der Musterkläger habe seine Behauptung des (einseitigen) Rücktritts mit dem - erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten, nicht nachgelassenen - Schriftsatz vom 1. Februar 2007 fallen gelassen, weil dort nur noch davon die Rede sei, Schrempp habe "sein Amt vorzeitig … zur Verfügung gestellt", ist rechtlich unhaltbar.

Angesichts des weiterhin streitigen Gesche­hens­ablaufs war die Erhebung der vom Musterkläger angebotenen Beweise prozessual geboten.

III.Aufgrund der durch den Bundes­ge­richtshof angeordneten Zurück­ver­weisung wird nunmehr ein anderer Senat des Berufungs­ge­richts in der wieder­er­öffneten mündlichen Verhandlung die bisher verfah­rens­feh­lerhaft versäumte Beweiserhebung u.a. zu der streitigen Äußerung Prof. Schrempps gegenüber dem Aufsichts­rats­vor­sit­zenden Kopper im Mai 2005 bezüglich der "Zur-Verfügung-Stellung seines Amtes" nachzuholen und alsdann erneut in der Sache zu entscheiden haben.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 53/08 des BGH vom 14.03.2008

der Leitsatz

WpHG § 13 Abs. 1 Satz 3 (Fassung: 28. Oktober 2004);

ZPO §§ 138 Abs. 3, 139, 286

a) Veröf­fent­li­chungs­pflichtige Inside­r­in­for­ma­tionen i.S. von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG können auch zukunfts­be­zogene Umstände, wie Pläne, Vorhaben und Absichten einer Person sein, wenn die Tatsachen, auf die sie sich beziehen, sich zwar noch nicht endgültig manifestiert haben, jedoch i.S. des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG hinreichend präzise sind und ihre Verwirklichung hinreichend wahrscheinlich ist.

b) Das Tatbe­stands­merkmal der hinreichenden Wahrschein­lichkeit i.S. des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG ist jedenfalls dann erfüllt, wenn eine "überwiegende" Wahrschein­lichkeit - d.h. eine Eintritts­wahr­schein­lichkeit von über 50 % - besteht.

c) Der Tatrichter darf bisher streitige Tatsachen nur dann als zugestanden ansehen, wenn die betroffene Partei ihre Absicht, sie bestreiten zu wollen, unmiss­ver­ständlich fallen gelassen hat. Im Zweifel hat das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Erörterungs- und Fragepflicht eine eindeutige Prozes­s­er­klärung der betroffenen Partei herbeizuführen.

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